Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Wir Pharisäer sagen: So nicht, Jesus!
Menschenmassen aus allen Landesteilen sammelten sich am Dienstag, um einem gewissen Rabbi Jesus stundenlang zuzuhören. Von wem der Newcomer als Rabbi ausgebildet wurde, liegt ebenso im dunkeln wie die übrige Geschichte des vor einigen Monaten noch völlig unbekannten Mannes.
Seine Rede am Dienstag beweist, daß Jesus offensichtlich die
Volksmassen in Bann ziehen kann. Woran liegt das? Haben wir einen neuen Gottesmann, einen weisen Propheten, einen Charis- matiker vor uns? Oder versteht er es, dem Volk nach dem Mund zu reden, ihm falsche Hoffnungen vorzugaukeln und die Zuhörer mit ein paar rhetorischen Tricks zu fesseln?
Jedenfalls scheint es auf den ersten Blick gegen Jesus keinen Einwand zu geben. So betonte er am Beginn seiner Rede, kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes dürfe aufgehoben werden. Beim genauen Hinhören fällt aber auf, daß er voranstellt, er selbst sei gekommen, um das Gesetz zu erfüllen. Das ist eine glatte Lüge.
So wurde aus zuverlässiger Quelle bekannt, daß er am vergangenen Sabbat zusammen mit einigen Jüngern Ähren am Feld abpflückte. Ganz abgesehen davon, was es mit seinen angeblichen Wundern wirklich auf sich hat, eines ist sicher: überheblich mißachtet er laufend das Gesetz und somit Gott.
Es gibt eine Menge Leute in der Jesusbewegung, die sein Wort von der Erfüllung des Gesetzes anders deuten wollen: Jesus spreche mit der Vollmacht Gottes und wisse daher genau, worauf es unserem Herrn ankomme. Das bedeutet Blasphemie zum Quadrat!
Eben weil Gott weiß, daß wir Menschen hinfällig und begrenzt sind, hat er uns sein heiliges Gesetz, die Tora, geschenkt. Hier lesen wir seinen Willen, nirgendwo sonst. Wo kämen wir hin, wenn jeder Fanatiker und Träumer so tun würde, als hätte er die Weisheit mit dem Löffel gegessen?
Momentan schwimmt Jesus auf der Pazifismuswelle. „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen!“ rief er der Menge zu. Er verdeutlichte noch: „Leistet dem, der etwas Böses tut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die linke hirl“; - So
Hätten wir in der Vergangenheit — dementsprechend — alle Wünsche der Heiden erfüllt, wäre der Tempel heute voll von Götzenbildern, und wir kennten Ja-
we und das Gesetz nicht mehr!
Nach Ansicht gelehrter Männer, die der gestrigen Rede beiwohnten, vertritt Jesus eine „Gesinnungsethik“. Es komme also nicht auf den Buchstaben des Gesetzes an, sondern auf die innere Einstellung des Menschen. Schön und gut, ein netter Ansatz, aber doch sehr subjektivistisch!
Schließlich kann nicht jeder nach eigenem Gutdünken seine Ordnung bestimmen. Sie ist uns allen eindeutig von Gott gegeben. Das Gebot der Stunde heißt Rückbesinnung auf die alten Werte und die überlieferten Grunde sätze. Hier finden wir das Haus auf Fels, das allen Erschütterungen standhält, nicht bei Jesus, der das am Ende seiner Rede behauptete.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!