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Wo das Radio zum Menschen macht

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Vieles an dem, was wir Entwick­lungshilfe - modischer: Entwicklungs­politik - nennen, stimmt nicht. Zum Beispiel, daß die öffentliche Hilfe, ob­wohl Gegenteiliges beschlossen ist, seit den Sechzigerjahren zurückgeht.

Oder: daß der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe für die Landwirt­schaft bei rund 15 Prozent liegt, obwohl 66 Prozent der Drittweltbewohner in der Landwirtschaft arbeiten.

Und daß (die Statistik stammt aus dem Jahr 1972) 73 Prozent der öffentli­chen Entwicklungshilfe in Form von Kredittilgungen, Zinsen und Gewinn­transfers in die Geber länder zurück flie­ßen.

Hervorragende (wenn auch leicht überholte) Statistiken solcher Art sind dem Paperback-Band „Überentwick­lung - Unterentwicklung“ von Rudolf H. Strahm (Laetare-Verlag, 1978) zu entnehmen. Und hervorragende Anga­ben darüber, daß an der Wurzel jeder sinnvollen Entwicklungspolitik die Vermittlung von Wissen und Bildung liegen muß, macht P. Franz Tatten- bach SJ, gebürtiger Österreicher, der Institute für Erwachsenenbildung und Radiounterricht in Costa Rica und Guatemala leitet.

Interessierten Zuhörern erzählte P. Tattenbach jüngst in Wien, daß Guate­mala mit rund 70 Prozent der Erwach­senen eine Art Analphabetismus-Re­kord in Lateinamerika hält. Bischöfe, Orden (diese vor allem) und viele Men­schen aus allen Schichten tragen heute die Alphabetisierungskampagne. Seit über einem Jahr steuert das guatemal­tekische Institut für Radiobildung dazu maßgeblich bei und hat bereits 5000 Hörer.

„Einerseits waren Bischöfe und Priester die ersten, die sich um die In­dios annahmen,“ berichtet P. Tatten­bach. „Andererseits waren sie im Ge­folge der fremdländischen Eroberer ge­kommen, was eine tiefe Kluft zur hei­mischen Bevölkerung erzeugen mußte. Der Frontwechsel der Hierarchie weg von den Herrschenden und hin zum Volk ist voll im Gang ...“

Dazu ein Freiwilligenhelfer des österreichischen Nikaragua-Hilfs­fonds: „Zwei Institutionen, mit denen ich hierzulande nichts mehr anfangen kann, haben mich in Nikaragua durch ihre dortigen Leistungen wieder ver­söhnt: Kirche und Universitäten.“

In Costa Rica, wo ein relativ weit

entwickeltes Schulsystem nur noch an die 15 Prozent Analphabeten zurückge­lassen hat, spielt Bildung per Funk durch das 1973 gegründete Institut für Radiounterricht eine zentrale Rolle. „Das Transistorgerät ist für die Men­schen hier eine wichtigere Erfindung als die Buchdruckerkunst Gutenbergs,“ er­läutert Georg Gaupp-Berghausen.

Gaupp ist Geschäftsführer des Euro­päischen Arbeitskreises für Erwachse­nenbildung in der Dritten Welt. Ein an­deres Mitglied ist Eduard Ploier, Präsi­dent der Katholischen Aktion Öster­reichs. Einzelne Gliederungen der KAÖ tragen seit Jahren maßgeblich zu dieser Bildungsarbeit bei.

Am spektakulärsten hat sich wohl Nikaragua nach dem Sturz des So- moza-Regimes in die Alphabetisierung gestürzt. Zwischen 90.000 und 100.000 Nikaraguaner haben sich zwischen März und August 1980 freiwillig und entschädigungslos zur Verfügung ge­stellt, um den über 50 Prozent Anal­phabeten unter ihren Landsleuten das Lesen und Schreiben beizubringen.

Die Marxisten in der Sandinistischen Befreiungsfront arbeiteten nach dem kubanischen Rezept und mit kubani­schen Instruktoren. Aber noch können in Nikaragua .auch Nichtmarxisten und Nichtkubaner mitmachen.

Leute um Tattenbach sagten sich: Wir werben junge christliche Lehrer aus Spanien an! 50 Spanischlehrer ver­pflichteten sich freiwillig auf ein Jahr und flogen letzten August, mit Mitteln der Katholischen Männerbewegung Österreichs, des Nikaragua-Hilfsfonds der Bundesregierung und einer kleine­ren Spende aus Liechtenstein ausge­stattet, nach Nikaragua. P. Tatten­bach:

„Ein schöner Erfolg schon heute. Die Auswahl der Lehrer war sehr gut, sie fanden rasch Kontakt. Der nächste Schritt wird eine Konzentration auf be­rufsspezifische Weiterbildung, der übernächste der schrittweise Aufbau ei­nes sinnvollen Schulsystems sein.“

Bildungshilfe wird dazu führen, daß sich die heimische Bevölkerung der Entwicklungsländer künftig nicht mehr mit egoistischer Almosenhilfe der In­dustriewelt, wie sie sich in den eingangs zitierten Statistiken widerspiegelt, zu­friedengeben wird. Aber nur so kann die Menschheit das erregende Drama ihrer Einswerdung bewältigen.

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