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Zeitgenosse

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Er hatte einige Kulturjournalisten ins Palais Lobkowitz eingeladen, wo, seit wir uns erinnern können, das Französische Kulturinstitut untergebracht ist. Es war kein offizieller Empfang, auch keine Pressekonferenz, sondern eine zwanglose erste Kontaktnahme, eine gegenseitige Präsentation. Ich hatte mit einer halben, höchstens einer Stunde gerechnet, denn es war ein Arbeitsvormittag wie alle anderen. Aber dann saß man, sechs oder sieben Kollegen, volle zwei Stunden in angeregtem Gespräch beisammen und war überrascht von dem Stil des neuen Mannes und erstaunt über den Umfang von Kenntnissen und Interessen, die er an den Tag legte. Denn von Rene Cheval hatte man nur gewußt, daß er lange Jahre an der französischen Botschaft in Bonn tätig gewesen war,daß er zahlreiche Artikel über Romain Rolland geschrieben hatte und Autor eines bemerkenswertes Buches über Deutschland ist, eines Buches von mehr als 300 Seiten Umfang mit besonderer Berücksichtigung der'kul-turellen, speziell der literarischen Verhältnisse in der Bundesrepublik.

Rene Cheval, 1918 in Besancon geboren, stammt aus einer Lehrerfamilie und studierte Germanistik in Lyon, jener Universität, an der er 1942—1945 selbst unterrichtete. Inzwischen war er im Krieg gewesen, in Gefangenschaft geraten und 1941 geflohen. 1945—1948 war er als Referent für Hochschulfragen bei der Militärregierung von Württemberg tätig. Darnach leitete er die Französischen Kulturinstitute von Tübingen und Stuttgart, dann wurde er Kulturattache, später Kulturrat an den französischen Botschaften von New York, Stockholm, Warschau und Bonn. In jenen Jahren hat er seine Habilitationsschrift über „Romain Rolland, Deutschland und der Krieg“ fertiggestellt und 1963—1966 einen Lehrstuhl für Literaturwissenschaft an der Universität Rennes innegehabt Schließlich kam er nach Bonn — und 1973 an die französische Botschaft nach Wien.

Charakteristisch für Rene Cheval ist, neben seiner allseitigen Informiertheit, sein weitreichendes, speziell kulturelles und literarisches Interesse auch am Geistesleben und den besonderen Verhältnissen des jeweiligen Gastlandes. Unter seinen etwa zwei Dutzend größeren Studien nehmen die über Romain Rolland einen breiten Raum ein, in denen über Deutschland und Europa ebenso Bedeutendes steht wie über seinen Lieblingsautor. Cheval schrieb nicht nur über die deutsche Romantik in Frankreich, über das literarische Schwaben, über Rene Schickele und Thomas Mann, sondern er hat auch einen sehr aufschlußreichen Essay mit dem Titel verfaßt „Ein Franzose entdeckt Österreich“, der, zunächst als Vortragstext benützt, in der Schriftenreihe der Volkshochschule Brigittenau erschienen ist Darin stehen nicht nur geistreiche, sondern auch kritische Anmerkungen, etwa über die österreichische Bürokratie (die der französischen so sehr verwandt ist), über eine gewisse Neigung zum Chaotischen, Lässigen und Unzuverlässigen. Vom Österreicher hat der Franzose eine zwar sympathische, aber nur sehr vage Vorstellung: als eine liebenswürdig-gemütliche Variante des Deutschen, wie er ihn gerne haben möchte. Aber: „Wer die Menschen von heute noch mit Träumen versorgen kann, auch wenn Träume sich nicht erfüllen, verdient unsere Liebe und unseren Dank.“ Damit schließt Chevals Rede über Österreich, aus der Sicht eines Franzosen. — Wir aber, besonders in unserer Eigenschaft als Publizisten, sind Cheval dankbar für seine stete Hilfsbereitschaft in allem, was Information und Verständigung im weitesten Sinn betrifft. — Kleine und größere Bitten um Literatur, Texte, Information und Kontakte erledigt er, ganz unbürokratisch, meist gleich selbst, sozusagen aus dem Handgelenk. Das weiß der Journalist sehr zu schätzen, besonders, wenn auch ihm das gute Verhältnis zwischen Österreich und Frankreich, dem wir kulturell so viel zu danken haben, am Herzen liegt

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