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Zwischen Requisit und Hit

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Wo heute junge Menschen zu protestierendem Zweck auftreten, haben sie es bereits durch das Äußere ihrer haarigen und bärtigen Erscheinung ziemlich leicht, eigenwillige Einstellung zu bekunden. Trotzdem ist es bekanntlich keineswegs so, daß jeder Bartträger und jeder Langbehaarte bereit wäre, sich auf Grund seines Äußeren politisch oder weltanschaulich abstempeln zu lassen. Haar- und Barttracht sind ganz offenbar eine typische Zeiterscheinung unserer Gegenwart — aber selbstverständlich ist „alles schon da gewesen“.

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Wo heute junge Menschen zu protestierendem Zweck auftreten, haben sie es bereits durch das Äußere ihrer haarigen und bärtigen Erscheinung ziemlich leicht, eigenwillige Einstellung zu bekunden. Trotzdem ist es bekanntlich keineswegs so, daß jeder Bartträger und jeder Langbehaarte bereit wäre, sich auf Grund seines Äußeren politisch oder weltanschaulich abstempeln zu lassen. Haar- und Barttracht sind ganz offenbar eine typische Zeiterscheinung unserer Gegenwart — aber selbstverständlich ist „alles schon da gewesen“.

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Naturwuchses deutlich. Auch für die griechisch-orthodoxe Kirche gehören Vollbart und wallendes Haupthaar zum unabdingbaren Äußeren des Geistlichen. Als mit der Völkerwanderung furchterregende Germanen ins Römische Reich eindrangen, tru-' gen sie üppige Barte; daß sie auf solches Attribut stolz waren, zeigt der Stammesname der „Langbärte“, der Langobarden, die Oberitalien eroberten und der Lombardei den Namen gaben.

Einen „Rückfall“ in dieser kulturellen Entwicklung hatte es jedoch im Bereich des Mittelmeeres gegeben, denn mit dem Hellenismus, besonders mit Unterstützung Alexanders des Großen, verbreitete sich die Mode, die Gesichter glatt zu rasieren. Damit blühten die Barbierstuben auf, zugleich auch als wichtiger Treffpunkt zum Austausch von Tagesneuigkeiten.

Als sich die Römer vom altväterlichen — vollbärtigen — Bauernvolk zum Träger hellenistischer Kultur entwickelten, war das rasierte Kinn äußeres Kennzeichen. Scipio Afri-canus, der Wegbereiter griechischen Geistes, ließ sich täglich rasieren; Caesar und Cicero wie Kaiser Augu-stus kennt man nicht anders als in klassisch römischer Bartlosigkeit.

Dazu gehört auch der kurzgeschorene „Römerkopf“ und der „Cäsarenschnitt“, wie er von Kaiser Augustus kreiert und durch die Titusfrisur — benannt nach dem ganz kurz geschnittenen gelockten Haar des Kaisers Titus — in den Sprachschatz des Friseurgewerbes eingegangen ist.

Und seither blieb sie vom Bestand bis in die neueste Zeit. Wandelbar waren nur die Erscheinungsformen. Vercingetorix, in Frankreich heute als legendärer Freiheitsheld des alten Gallien verehrt, trug den martialischen Schnauzbart, der Westgotenkönig Theoderich der Große einen schmucken Kotelettenbart. Karl der Große und mit ihm die Vornehmen an seinem Hofe trugen „Grannen“, das waren stolze Schnurrbarte, während das Volk bei den üblichen Vollbärten geblieben war.

Nach dem englischen „Buch der Superlative“ mißt der längste Schnurrbart der Welt fast zwei Meter, doch in dem österreichischen Inn-Städtchen Braunau steht das Denkmal des Stadthauptmannes und Ratsherrn Hans Steininger, dessen Kinnbart die stattliche Länge von —

Haar und Bart sind vor allem etwas Natürliches, und deshalb ist es auch naturgegeben, diese Kennzeichen wachsen zu lassen und sie zur Schau zu stellen. Verständlicherweise empfindet der Mensch es so, und zwar mit berechtigtem Stolz, denn Haar und Bartwuchs sind ja Zeichen der Mannbarkeit.

Nach dem Bericht des Alten Testaments war Simsons Kraft dahin, als seine Geliebte ihm listig die Haarpracht raubte. Und sehr sinnfällig ließ Pippin, der Vater Karls des Großen, dem letzten Merowinger die Locken scheren zum Zeichen, daß dessen Königsmacht nun erloschen sei. So wurden Sklaven und Gefangene kahlgeschoren zur Kennzeichnung ihrer Erniedrigung. Aus moderner Zeit ist ein grausames Bild in Erinnerung, das durch die Weltpresse ging: Als Frankreich 1945 befreit wurde, trieb die jubelnde Menge kahlgeschorene Frauen durch die Straßen, die zur Strafe für ihre „collaboration“ den weiblichen Schmuck eingebüßt hatten...

Merkmal sozialen Ranges

Seit je kennzeichnet Haar und Bart den Herrn, den Freien und seinen sozialen Rang. Gottvater und Jesus, Apostel und Propheten, alttestamentarische Richter und Kirchenväter sind im Bilde bärtig und langbehaart dargestellt. In der hochentwickelten Kultur des alten Ägypten war der Bart dem König als Zeichen seiner Würde vorbehalten. Eine Skulptur aus dem Jahre 2800 v. Chr. zeigt den König Chefren in dem majestätischen Königsbart, der lang und schmal, künstlich versteift das Kinn hervorhebt; später erscheint auch die gezopfte Bartperücke.

Eigentümlich stilisierte Kinnbärte in Lanzettenform zeigen auch die griechischen Helden auf den kunstvollen Vasenbildern der frühen Antike, und Homer preist „die haupthaarumwallten Achaier“. Aus der Blütezeit der Klassik ist der kurze runde Vollbart überliefert, wie er von den Bildnisbüsten bekannt ist. So zeigen sich die Großen jener Epoche, Sophokles und die Dramatiker, ebenso Sokrates und Piaton wie Perikles, der jener Zeit den Namen gab, im runden Vollbart.

Mohammed trug selbstverständlich dieses Zeichen der Würde, die für seine Anhänger im übermenschlichen Bereich liegt, und wenn für sie die höchste Bekräftigung eines Eides „beim Barte des Propheten“ erfolgt, dann wird hier für den ist es zu glauben? — 2,7 m aufgewiesen haben soll.

Beim Haupthaar war das Erscheinungsbild nicht weniger wichtig. Der Römerkopf konnte auf die Dauer keinen Anklang finden; den „Rundkopf“ mit seinem Kurzschnitt empfand man als Bild des Sklavischen. Langes Haar war selbstverständlich Ausdruck männlicher Vitalkraft, und bald übersteigerte sich protzenhaft dieser Anspruch: Mit der üppigen Allongeperücke will der Mann des Barock sein Sozialprestige augenfällig hervorheben. Nicht vergebens ist im traditionsbewußten England die Lockenperücke noch heute gleichsam ein Amtszeichen für den Richter wie auch für den Beamten am Königshof.

Haare lang oder Haare kurz — nicht das war Frage, sondern: gepflegt oder ungepflegt. Die gepuderte Perücke mit den zierlich gedrehten Löckchen war ja Ausdruck des gestelzten Rokoko, und so wurde die Reaktion entsprechend heftig — am Beispiel von heute nur allzu verständlich. Goethes leidenschaftlicher Werther wirft Perücke und Spitzenjabqt ab und trägt Hals und Haare frei und natürlich. Zur Bekundung ihres Abscheus gegen den Zwang und das Unnatürliche schleuderten auch die patriotischen Studenten der Freiheitskriege die „Requisiten der Reaktion“ — neben dem Korporalstock den Perückenzopf, einen hessischen „Prahl-, Pracht- und Patentzopf“ — ins Feuer des Wartburgfestes. Der Voll-und Schnurrbart waren freiheitlicher Ausdruck großdeutscher Gesinnung — so bekenntnishaft, daß die „Demagogenbärte“ als staatsfeindlich verdächtig galten und Verhaftung riskierten. Marx und Engels, Bebel und Liebknecht demonstrierten mit Haar und Bart ihren Sozialismus, aber nur Karl Marx — in der Jugend „ein schwarzer Kerl“ — blieb seiner Löwenmähne auch als Weißhaariger treu.

Der Bart ist ab!

Nach dem ersten Weltkrieg strich die Mode den Bart ersatzlos. Ein Vollbart galt modernem Denken plötzlich als absolut rückständig. In der Weimarer Republik mochte von Frankreich her ein kesses Menjou-Bärtchen Eingang finden, doch das Dritte Reich mit seiner Gleichschaltung wollte nichts von langhaarigen „Tangojünglingen“ wissen und sorgte für ein einheitliches Bild der heilrufenden Gesichter — mit einer Ausnahme: dem „Führer“ mit der Zahnbürste auf der Oberlippe. Schnurrbarte — weltberühmt wurde die „Fliege“ Charly Chaplins — sah man nur vereinzelt, Vollbarte überhaupt nicht.

Und dann urplötzlich in den sechziger Jahren: Wahrscheinlich begann es mit den Liverpooler Beatles, die über Nacht Weltruhm erlangten und deren „Pilzköpfe“ weltweite Nachahmung fanden. Die Mode bekam dann politischen Akzent, im Westen dokumentierten die Barte angeblich ein Bekenntnis zu den kommunistischen Dschungelrevolutionären in Amerika, in Rumänien dagegen wurden sie von den Kommunisten als Zeichen westlicher Dekadenz verboten, ebenso wiederum von den griechischen Antikommunisten aus umgekehrten • Gründen ...

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