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„Über das Recht des Dichters verkannt zu bleiben“

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Vor kurzem wäre Rudolf Borchardt 75 Jahre geworden. Er starb, nachdem er ein halbes Leben in Pisa verbracht hatte, kurz vor Kriegsende, von seinen eigenen Landsleuten verschleppt und auf der Flucht, in der Nähe von Innsbruck Eret Monate, Jahre später erfuhr man von seinem plötzlichen Tod. Der Schweizer Literarhistoriker Max Rychner, der ihn bei Vorträgen und im Gespräch in Zürich erlebte, gibt eine fesselnde Beschreibung des Menschen: der zeitlos-männlichen Erscheinung, des durchgeformten, schmalen, braunen Gesichts mit den hellen Augen, der aufrecht-gespannten Haltung, seiner Schlagfertigkeit, seiner umfassenden Gelehrsamkeit und Belesenheit und des phänomenalen Gedächtnisse . Vor allem aber faszinierte Borchardt durch seine Rhetorik, die sich zu sich selbst bekannte und die durch beherrschte, aber wohlberechnete Gebärden wirkungsvoll unterstützt wurde. Diese Rhetorik steht in einem seltsamen Gegensatz zur äußeren Erscheinung dieses „Offiziers in Zivil“, der die formbewußteste Form und die stilisierteste Haltung zur seinen gemacht hatte. Und Rhetorik ist auch in Borchardts Schriften, jener hymnische Ton, wenn vom Gestern, und jenes Pathos der Distanz, jener eifervolle Zorn, wenn von der Gegenwart die Rede geht, jenes Pathos, das sich auf den Anspruch gründet, daß poesie „ein Stand des Reiches und ein Faktcįr der Welt, mit einem Votum auf den Lippen, mit einer Waffe an der Seite“ ist.

Dieser Wortführer einer „konservativen Revolution“ — wie Hofmannsthal einmal das kulturpolitische Bekenntnis seines Freundeskreises formuliert hat — war ein Liebhaber der reinen Töne und ungemischten Farben der frühen Frühe europäischer Kunst. Deshalb übertrug er in sein geliebtes Deutsch die „Altionischen Götterlieder“ und „Die großen Troubadore“ als Vorstufen der antiken und der französischen klassischen Dichtung. Dante übersetzte Borchardt in ein künstliches Ober- mitteldeutsch, wie es im 14. Jahrhundert diesseits der Alpen hätte gesprochen werden können. Hier tritt jener artistische Zug Borchardts zutage, der einer der Gründe dafür ist, daß Borchardts Werk zu einem der unbekanntesten der neueren Literatur zählt. Ein anderer Grund ist die schwere Gedankenfracht, mit der seine Prosa belastet ist. Borchardt wußte das und begründete in einem Brief an den Schweizer Korrodi „das Recht des Dichters, verkannt zu bleiben“.

Es war eine kulturelle Tat des Verlages, einen Prosazyklus dieses schwierigen und anspruchsvollen Schriftstellers als Band XII der „Bibliothek Suhrkamp“ an einen breiteren Leserkreis heranzutragen. Gelingt es, bei der Lektüre die Aufmerksamkeit vom Rethori- schen auf die Grundlinien, auf die Essenz zurückzulenken, 60 ist der Gewinn außerordentlich. Der Titelessay „Villa“ enthält die Beschreibung, Philosophie und Soziologie des römischen Landhauses: „Veltheim“ analysiert die unzeitgemäße Gestalt eines der letzten Abenteurer von Format (von Anno 1908): der an Hofmannsthal gerichtete „Eranosbrief“ handelt in der oben angedeuteten Tonart von der bösen Zeit, von Borchardt und auch von dem Gefeierten: die Analyse von Stefan Georges „Siebentem Ring“ sei allen Literarhistorikern und solchen, die es werden wollen, zur aufmerksamen Lektüre empfohlen.

Ein indirektes Zeugnis für Borchardts Persönlichkeit und Kunstgeschmack, zudem freilich auch eine einzigartige, wertvolle, eigenwillige und erregende Auswahl ‘ ist der vom Verlag in einer soliden Dünndruckausgabe neuaufgelegte „Ewige Vorrat deutscher Poesie“. Hier macht der Dichter von dem Recht Gebrauch, das Bekannte, aber als minderwertig Erkannte rücksichtslos auszuscheiden. Seinem strengen Urteil fällt sehr vieles aus dem 19. Jahrhundert und fast die gesamte Lyrik der Gegenwart zum Opfer. Den Beschluß des Bandes bilden: je ein Gedicht von C. F. Meyer und Gottfried Keller, vier Stücke von Hofmannsthal und ein Sonett von R. A. Schröder. Bei der Auswahl aus den vorhergehenden, milder beurteilten Jahrhunderten gelten als Kriterien — neben der Untadelig- keit der Sprachform — der Bezug zum Ewigen und zur Klassik. So wird der Leser nicht zum Genießen eingeladen, sondern in einem dramatischen Ablauf des deutschen Geisteslebens einbezogen, der ihn auf dessen Bühne nötigt und mitzuhandeln zwingt. Wie frei und eigenmächtig Borchardt mit den Texten umgesprungen ist, mag man im Nachwort auf Seite 426 nachlesen Dieses Nachwort — eine einzige, wohlproportionierte donnernde Tirade, schließt mit einem Verdikt und-einem Dank: „Die Kriterien, mit denen diese Sammlung begründet worden ist und die sie beherrschen, wären von der gestrigen Wissenschaft nicht zu entwickeln gewesen, weil sie aufgehört hat, sie zu besitzen und erst der rächenden Hand Josef Nadlers hat warten müssen, teils noch wartet, um sich für ihre Gesinnung und ihren Besitz von Grund auf neu zu bereiten. Aber gerade, weil der Herausgeber den vorliegenden Bänden des Werkes dieses einzigartigen Restaurators der deutschen Geistesgeschichte (gemeint iet Nadlers .Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften“) die unschätzbaren Einsichten und Belehrungen verdankt und seinen künftigen Aufschlüssen ebenso reiche zu verdanken hofft — genug auch hievon.“

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