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Um die Ordnung Europas

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Der Historiker, der die handelnden Persönlichkeiten der Kongreßzeit zum Gegenstand seiner Betrachtung macht und sich'dabei die Aufgabe stellt, heute das Leben eines Metternich, eines Friedrich von Gentz oder eines Talleyrand neu darzustellen, wie es Golo Mann in seinem Buche: Friedrich von Gentz, Geschichte eines europäischen Staatsmannes, Europa-Verlag, Zürich-Wien 1947 (amerikanische Ausgabe 1946), tut, muß, da für diese Zeit neue Quellenfunde oder die Erschließung neuen Aktenmaterials voraussichtlich kaum mehr zu erwarten sind, auf eine vertiefte Beantwortung der Rankeschen Frage: Wie es nun eigentlich gewesen sei? wohl verzichten. Daran denkt vermutlich auch Golo Mann, wenn er sagt, er wolle mit der erneuten Behandlung des Gegenstandes „indirekt“ zum Verständnis der Gegenwart beitragen, und auch keine Möglichkeit sieht, sich der Gestalt Friedrichs von Gentz in anderer Weise zu nähern.

Dem mit der einschlägigen Literatur auch nur bis zu den zwanziger Jahren einigermaßen Vertrauten bietet die Zeichnung der Entwicklung Gentz’, die mit der Akzentuierung des Kampfes gegen den Nationalismus und die demokratischen Tendenzen als Schößlinge der Revolution zur These erweitert wird, auch nicht eine neue Erkenntnis.

Die geistesgeschichtliche Erscheinung Friedrichs von Gentz wird dabei allerdings auch allzu vereinzelt, bald allzu losgelöst von ihrem Zeitalter, bald allzusehr im Gegensatz zu ihm gesehen, und die Behauptung der einsamen Höhe ihres Denkens, Wirkens und Strebens scheint dem Verfasser nur durch die Herabsetzung oder Vernachlässigung alles Mitlebenden — besonders sofern es sich um deutsche Dinge handelt — zu glücken. Es ist viel vom Gedanken euro- päisdier Gemeinsamkeit die Rede, und es werden als dessen Nothelfer immer wieder die Staatsdenker des 17. Jahrhunderts und ihre Ausleger im 18. Jahrhundert beschworen. Mit keinem Wort gedenkt aber Golo Mann der Tatsadie, daß dieser abendländische Gemeinsamkeitsgedanke nichts anderes ist als die Säkularisation der Idee des Heiligen Römischen Reiches des Mittelalters. Das vorklassische Deutsdiland nennt Golo Mann „halb barbarisch“, die Klassik ist ihm eine in ihrer Entstehung rätselhafte „Treibhausblüte“, die er in das Mäzenatentum Karl Augusts von Weimar, in „zwei oder drei Genien“, in ein wenig Griechenland Und ein wenig England und in die Begeisterung der Berliner Juden dafür dekomponiert. Die Romantiker, die doch zu manchem glücklichen Gedanken von Gentz Pate gestanden und die die „Franzosen und Engländer des

18. Jahrhunderts“ wohl auch gelesen hatten wie Gentz, sind für Golo Mann „Abenteurer des Geistes“. Und doch kannte Friedrich Schlegel damals schon Hie Schriften Seines Freundes Friedrich von Hardenberg- Novalis: „Die Christenheit oder Europa“, 1799, und dessen FragmentenSämmlung „Glauben und Liebe oder der König und die Königin“, 1798, in denen die ganze europäische ideenpolitische Problematik der Zeit in wahrhaft prophetischer Ahnung aufklang. Mit wenigen Ausnahmen, so etwa Schillers

— warum, bleibt freilich auch unklar —, erhält jede historische Persönlichkeit eine abwertende Zensur. Sie werden mit Etiketten versehen, die am meisten noch vcn dem Überlegenheitsgefühl des Autors sprechen. Die Gegensätzlichkeit: des Friedensprogramms des Freiherrn vom Stein — der im allgemeinen nodi gut wegkommt — zu dem Metternichs und Friedrichs von Gentz verdeckt dem Blick des Verfassers, daß dessen Anschauungen denen des alternden Gentz näherstanden, als Golo Mann wahrhaben mödite. Daß das Ethos des kantischen Rechtsgedankens zugleich die Grundlage der preußischen Reform war, dessen wird in dem Buche Manns mit keinem Worte gedacht. Woher Golo Mann, nachdem also vor seinem Richterstuhl weder eine Epoche noch eine Persönlichkeit der deutschen Geschichte, Geistesgeschichte und Politik vom Mittelalter bis in die Restaurationszeit als Ganzes bestehen konnte, noch den Mut nimmt, am Schlüsse seines Vorwortes zu sagen: „... und an irgendwelche geistige Vergangenheit und Tradition wird man ja dort früher oder später wohl anknüpfen müssen", bleibt dunkel.

Die „einseitige und halbe Position“ Friedrichs von Gentz, die nach Golo Mann seinen Verrat an sich selbst ausmachen soll, gründet gar nicht sosehr in seiner eigenen persönlichen Haltung, sondern vielmehr in der Tragik der Unzeitgemäßen, der Konservativen überhaupt in ihrem Kampf gegen den Zeitgeist. In einem Brief an A. H. Müller nennt Gentz die Notwendigkeit der wechselseitigen Ergänzung rationaler und traditioneller Bildung die „Quintessenz seiner jetzt zur Reife gediehenen Weitansicht“. Sie ist nichts anderes als die späte Ergänzung eines Briefes an Johannes von Müller, in dem Gentz die intelligible wie die moralische Welt auf den zwei Prinzipien des Fortschreitens und der Beschränkung dieses Fortschrittes ruhen sieht und von der Gleichgewichtslage beider die besten Zeiten der Welt erwartet. Golo Mann nennt das alles „britische Tradition“. Das mag von drüben her so aussehen. Dies ist aber nichts anderes als beste österreichische Tradition. Aber kann man solche Einsichten von einem Autor verlangen, der dem habsburgischen deutschen Kaisertum nur eine knappe Seite Widmet, die noch dazu nur das Abfällige daran verzeichnet, über die damals noch immer lebendige Reichstradition gerade in Österreich stillschweigend hinweggeht, mit keinem Worte der barocken Hoch-Zeit des Habsburgerreiches gedenkt, Maria Theresia gar nicht, Joseph II. nur mit ein paar nichtssagenden Zeilen erwähnt, vom Begriff des Josephinismus überhaupt nich weiß, in Wien der Jahrhundertwende im Gegensatz! zu Berlin und London nur „läppisdie Sinnlichkeit" zu Hause sein läßt, an der österreichischen Aristokratie höchstens ihre MäZenaten- haltung gegenüber der erblühenden Musik zu loben findet? Karl Posti-Sealsfields „Austria as it is“ erschien im Jahre 1828. Züm guten Teil aus dieser Rüstkammer stammen aber diese Vorwürfe und Anklagen wider Österreich, die sett den vor- märzüchen Tagen dann in der liberalisti- schen und preußischen Geschichtssdireibung zu stehenden Redefiguren wurden. Die Wendungen: „So pries er (Napoleon), vom Schein der Krone geblendet, die Gans...“, nämlich Maria Luise, oder „... statt dessen war es die gewesene Kaiserin, die blöde in ihrer Schönbrunner Stube saß —“ habe ich sonst nirgends gefunden; sie dürften allerdings Golo Manns eigenste Prägung sein.

Das Gentz Bild des österreichischen Lesers wird durch die Lektüre dieses Buches kaum in etwas reicher werden. Dazu sind seine wissenschaftlichen Ansprüche gerade in der Erkenntnis europäischer Dinge, die seine Heimat einmal wesentlich mitgestalten half, noch immer zu hoch geblieben.

In weit höherem Maße gilt dies noch von dem Buche von Raoul Auernheimer, Metternich, Staatsmann und Kavalier, Ullstein-Verlag, Wien 1947 (erste englische Ausgabe New York 1940). Der durch eine Reihe form- wie sprachschöüer Erzählungen und Romane sowie durch liebenswürdige Komödien und durch seine journalistische Tätigkeit einst bekannte Wiener Autor geht in der Betrachung großer historischer Ereignisse und Gestalten von der Ansicht aus, daß jenen oft unscheinbare, zutiefst mensdi- liche, private, familiäre, persönliche Motive zugrunde lägen, die die Weltgeschichte sel ten, wohl aber oft die Anekdote verzeichnet. Auch der ernste Historiker wird beim Entwurf seines Gemäldes auf die unter- und hintergründige Untermalung dur(h Anekdote, Bonmots und On dit nicht ganz verzichten können. Wesentlich bleibt hiebei die kritische Auswahl mindestens nach dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit.

Wie Golo Mann legt auch Auernheimer in seinem Buche besonderen Nadidruck auf den Kampf der Restaurationspolitiker gegen den Nationalismus. Das tiefere Problem berühren freilich beide Autoren nicht:- wie der Kampf gegen den Nationalismus im

19. Jahrhundert ohne einen solchen gegen die Demokratie, mit der er nun einmal, unlöslich vereint, auftrat, zu führen gewesen wäre?

Auernheimer bemüht sich auch über die Persönlichkeit Metternichs hinaus, Geist und Wesen dieses Zeitalters, des österreichischen Biedermeiers, in einer Auswahl von Versen und Charakterzügen Grillparzers, Raimunds, Nestroys, Stifters, Feuchters- lebens gewissermaßen mit dem Silberstift zu zeichnen. Diese Blätter helfen dem Lesenden hinweg über manchen Rückfall in die Trivialität dės Lustspiels oder der Operette, über die die Darstellung der patriarchalischen Regierungszustärtde in der Zeit Franz’ I. — der übrigens der Sohn und nicht, der Neffe Leopolds II. (S. 20) war — sich nicht zu erheben vermag.

Ob der ernste und besonders über öster- ’ reich als einer abendländischen Ordnuhgs- macht nachdenkende Leser nicht doch lieber nach jenen Werken greifen wird,- die die wissenschaftliche Voraussetzung des vorliegenden bilden, hängt von der Höhe seines Anspruches ab und von einer Entscheidung, die er gleichnisweise auf ' die Frage geben würde: ob er lieber Schubert oder „Das Dreimäderlhaus“ hören wolle?

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