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Gesetz ex 1770

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Sicherlich, gemessen an den legisti-schen Problemen seit 1966 nimmt sich die Sache wahrlich bescheiden, beinahe lächerlich aus: Das Schicksal der Regierungsvorlagen zum ersten und zweiten Rechtsbereini-gungsvorbereitungsgesetz wird nicht nur kleinliche Juristen traurig stimmen.

Während die Regierungsvorlage zum ersten Gesetz bereits seit Jänner 1967 in einem Unterausschuß des parlamentarischen Verfassungsausschusses Staub ansammelt, dürfte der Schimmel auf den zweiten dickbändigen Elaborat noch keine großen Zerstörungen angerichtet haben, lief doch die Begutachtung dafür erst im vergangenen Jahr ab. Beiden Regierungsvorlagen ist jedoch eines gemeinsam — sie schlafen den gesunden Schlaf des Bürokratismus, der dem Vernehmen nach der gesündeste sein soll.

Und da auch der Bundeskanzler, der sich seit jeher vehement für die Rechtsbereinigung und systematische Ordnung geltender Rechtsquellen eingesetzt hatte, mit keinem Kuß dem Dornröschenschlaf dieser Regierungsvorlagen Abbruch tun konnte — deshalb ist in ceterum das „General-normativum über die Erlassung letztwilliger Anordnungen in Seuchenfällen“ aus dem Jahre 1770 (in Worten: siebzehnhundertundsiebzig) noch in Gültigkeit. Die angehenden Jusstudenten können jedoch beruhigt sein: Dem Vernehmen nach wurde noch nie dieses Normativum, das heuer immerhin seinen 200. Geburtstag feiert, zum Stoff einer Prüfung gemacht, da müssen schon die viel älteren senatus consulta des ius Romanum herhalten ...

Bestehen bleibt die Tatsache, daß der Österreicher sich vorsehen möge, daß er nicht mit Hofdekreten, Hofentschließungen, kaiserlichen Handschreiben und sonstigen Patenten in Konflikt kommt, von denen manche nur noch in Privatbibliotheken oder überhaupt nicht mehr zu erhalten sind. Für alle diese Rechtsvorschriften, die vor dem Jahre 1918 ergangen sind, hätte das erste Rechts-bereinigungsvorbereitungsgesetz den legistischen Tod bedeuten sollen; das zweite Gesetz dieser Art hätte den überflüssigen, zweifelhaften oder nicht mehr benötigten Gesetzesballast aus der Zeit nach 1918 bis 1967 durch Generalaufhebungsakt beseitigen sollen. Doch es kam nicht dazu.

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Dabei wird allen daran Beteiligten von Herzen gerne konzediert, daß die Sisyphus-Arbeit gegen die Ordnung und Systemisierung unserer Rechtsquellen ein Freizeitvergnügen

ist. Das beweisen schon internationale Erfahrungen. So kämpft man In Deutschland und der Schweiz schon seit 1946 mit dem Problem der Rechtsbereinigung herum. In den USA, wo man versucht, die Rechtsvorschriften sowohl mit negativer als auch mit positiver Ausschlußwirkung zu sammeln, spricht man von jahrzehntelanger Arbeit. Und doch: Es ist kein gutes Gefühl, zu wissen, oder besser gesagt, nicht zu wissen, daß in Österreich Normen gelten, die nicht jedermann zugänglich sind, da sie ob ihres Seltenheitswertes bereits in den Safes reicher Antiquitätenhändler verschwunden sind. Weiters ist es etwas beunruhigend, daß unter jenen 330 Rechtsvorschriften, die das erste Rechtsbereinigungsgesetz ausdrücklich von der Aufhebung ausnimmt, das Hofdekret vom 21. Mal 1774 über die Vermögens- und Erbfähigkeit des englischen Fräuleins ebenso wie das „Gesetz vom 2. August 1892, womit die Kronenwährung (!) festgestellt wird“ und das „Hofdekret vom 26. Jänner 1810 über die testamentarische und gesetzliche Erbfolge nach ungarischen Exreligiösen“ erscheinen. Auch in der Regierungsvorlage zum Rechtsbereinigungsvorberei-tungsgesetz Nummer 2 fanden einige „Antiquitäten“ bedauerlicherweise Unterschlupf.

Womit die Frage nach dem oder den Schuldigen für dieses Versäumnis zu stellen ist. Parteipolitische Überlegungen dürften auch kaum groß im Spiel sein, wenngleich im Jahre 1967 von sozialistischen Abgeordneten der Vorwurf erhoben wurde, die Regierung wolle eine „Blankovollmacht zur Aufhebung hunderter Rechtsvorschriften, ohne daß sie ihren Inhalt kennt“. Wie dem auch sei, die Verantwortung für die Nichtverab-schiedung der Gesetzesmaterie liegt einzig und allein bei den Parlamentariern. Aber man kann ihnen auch zugute halten: Daß sie sich gedacht haben, „auf ein paar Jahre mehr kommt es auch nicht mehr an!“ Nicht zu exkulpieren sind jedoch die Ersteller des ÖVP-Arbeitsprogram-mes für die siebziger Jahre, „Fortschritt und Sicherheit“. Oder soll der Passus: „Die Gesetze sollen kurz und verständlich sein. Der Staatsbürger soll sie nicht nur kennen, sondern auch verstehen können, da ja deren Nichtkenntnis nicht vor Rechtsnachteilen schützt“, darauf hinweisen, daß vielleicht in der neuen Legislaturperiode ein neuer Start für eine Rechtsbereinigung gemacht werden soll?

Eine Aufgabe für den von der ÖVP geforderten Volksanwalt oder Om-budsman liegt somit bereits auf dem Präsentierteller.

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