"Moralisch verpflichtet zur Reparation"

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Auch im Griechenland der Nachkriegszeit haben Österreichs Vertreter mit der Opferthese argumentiert - und klargestellt, dass Griechenland "nicht einen Pfennig von uns bekommen wird". Das geht aus den Original-Dokumenten hervor, die Hagen Fleischer im Laufe der letzten 20 Jahre ausgewertet hat. Der gebürtige Wiener mit griechischer und deutscher Staatsbürgerschaft lehrt und forscht seit 1979 an den Universitäten Athen und Kreta zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik und den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Als beratender Experte und Vertreter Griechenlands war er Mitglied der Internationalen Historikerkommission zur Waldheim-Affäre.

Die Furche: Während der Besatzung Griechenlands 1941 bis 1944 haben Österreicher in der Wehrmacht gekämpft. Hat Griechenland in der Nachkriegszeit Österreich nie zur Rechenschaft ziehen wollen?

hagen Fleischer: Da haben sich die Österreicher rechtzeitig aus der Affäre gezogen mit dem Reparationsverzicht im Staatsvertrag 1955 und dem Verweis auf die Moskauer Deklaration von 1943, die Österreich als "erstes Opfer der Nazi-Aggression" titulierte. Ab 1946/47 war eine österreichische Gesandtschaft in Athen, die griechischerseits auf Reparationszahlungen angesprochen wurde. Darauf spielte der österreichische Gesandte Wildner die beleidigte Unschuld. 1968, als der jüdische Zentralrat das diplomatische Corps einlud zum 25. Jahrestag der Vernichtung der großen jüdischen Gemeinde von Salonika, kam der deutsche Botschafter. Sein österreichischer Kollege Steiner hat im Auswärtigen Amt rückgemeldet, er werde nicht teilnehmen, andernfalls könnten die Griechen eine österreichische Mitschuld am Holocaust daraus ableiten.

Die Furche: Sie schreiben, "Die beiden Wehrmachtsdivisionen mit der blutigsten Bilanz wiesen einen besonders hohen Anteil an gebirgserprobten 'Ostmärkern' auf."

Fleischer: Diese Einheiten, die aus gebirgserfahrenen Bayern und "Ostmärkern" bestanden, haben furchtbar gewütet. So war etwa der Österreicher Willibald Akamphuber, von Hitler persönlich mit dem "Blutorden" ausgezeichnet, Leiter des Exekutionskommandos der 117. Jägerdivision, das u. a. die gesamte männliche Bevölkerung Kalavrytas und der umliegenden Dörfer erschoss. Aber auch auf höchster Ebene agierten Österreicher: so der "Oberbefehlshaber Südosteuropa", Alexander Loehr und der "Höhere SSund Polizeiführer Griechenland", Walter Schimana. Loehr wurde von Kurt Waldheim über die "Feindlage" informiert, da letzterer sämtliche Materialien zur "Feindbekämpfung" koordinierte: Verhöre von Gefangenen, Meldungen untergeordneter Einheiten, etc. Waldheim besaß keine Exekutiv- Vollmacht, trug aber -als einer der am besten informierten Offiziere auf dem Balkan - konsultative Mitverantwortung für zumindest einige der begangenen Kriegsverbrechen.

Die Furche: Die ausstehenden Zahlungen werden mit 7,2 Milliarden Dollar beziffert. Wie berechnet man bei so einem humanitären Desaster einen Schadensbetrag?

Fleischer: Genaue Summen lassen sich nach sieben Jahrzehnten schwer errechnen. Aus den Opfergemeinden erklären einige: "Ich will kein Blutgeld." Andere entgegnen: "Ich bin in Hunger und Elend aufgewachsen und will zumindest im reifen Alter eine Entschädigung für mich oder meine Kinder." Diese 7,2 Milliarden Dollar waren ein Kompromiss zwischen Amerikanern und Griechen. Die zu zahlenden Witwen-und Waisenrenten, Pensionen etc. sind da noch gar nicht inkludiert. Darüber hinaus "lieh" sich die Wehrmacht 1942-44 den Gegenwert von 476 Millionen Reichsmark bei der griechischen Zentralbank für ihre aufwändige Kriegsmaschinerie im östlichen Mittelmeerraum, Rommels Afrikakorps eingeschlossen! In heutiger Kaufkraft sind das etwa 10 Mrd. Euro. Dieser "Besatzungskredit" wurde noch von den Nazibehörden als "Reichsverschuldung gegenüber Griechenland" berechnet und zu einem geringen Teil getilgt, damit also auch de facto anerkannt.

Die Furche: Wieso hat Griechenland bis heute fast keine Reparationen erhalten?

Fleischer: Um 1960 erhielten die NS-geschädigten Länder Westeuropas von Bonn partielle Entschädigung, "Wiedergutmachung". Im Falle Griechenlands waren es 115 Millionen D-Mark, in erster Linie für die Juden. Im Zuge des Kalten Krieges brauchten die Amerikaner die Westdeutschen als Brückenkopf gegen den Osten -so waren die großen Reparationen vom Tisch. Durch die deutsche Wiedervereinigung 1990 wurden die 1953 im "Londoner Schuldenabkommen" eingefrorenen Entschädigungsansprüche reaktiviert. 1995 machte die griechische Regierung alle Forderungen in einer Verbalnote geltend, zudem haben die griechischen "Märtyrergemeinden" eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht. Beide Initiativen scheiterten an der deutschen Mauertaktik.

Die Furche: Wie wird das Thema Reparationszahlungen in Griechenland diskutiert?

Fleischer: Schon vor den letzten Wahlen waren sich alle Parteien einig, dass Deutschland moralisch, historisch, wirtschaftlich zu Zahlungen verpflichtet ist. Das deutsche Gegenargument lautet stereotyp: Reparationen zahlen Verlierer an Gewinner, aber mittlerweile sind wir deutsche Partner und Freunde, also ist das Thema obsolet. Die Reparationsfrage ist für die Bundesrepublik höchst problematisch, denn im Falle von Zahlungen an Griechenland wäre ein Präzedenzfall geschaffen und andere Länder könnten auch Forderungen stellen. Doch der Besatzungskredit hat keinen Reparationscharakter und wurde sogar vom NS-Regime anerkannt. Berlin kann also nicht mit dem Recht des Stärkeren ein offenes bilaterales Problem einseitig als "final geklärt" abhaken. Stattdessen sind unter Partnern verschiedene Rechtsauffassungen am Verhandlungstisch von Diplomaten und Experten - also Juristen, Historiker, Ökonomen - einvernehmlich zu klären.

Die Furche: Sollten die Griechen klagen, könnten sie Erfolg haben, vor allem mit der Forderung auf Rückzahlung der Zwangsanleihen, heißt es selbst vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages.

Fleischer: Nach dem Kodex von Moral und historischer Gerechtigkeit stünden die Chancen sehr gut. Das Problem liegt jedoch in der Praxis: Die Überlebenden der Opfergemeinde Distomo haben vor deutschen und internationalen Gerichten geklagt und nur vor griechischen und italienischen Gerichten Recht bekommen, was von den Deutschen nicht anerkannt wurde. Alle Gerichte, auch der deutsche Bundesgerichtshof, haben das Massaker von Distomo, wo Frauen, Kinder, Greise ermordet wurden, als extrem grausames Kriegsverbrechen bezeichnet, doch die eigene Zuständigkeit bestritten. Ganz allgemein verschanzen sich die Deutschen hinter legalistischen Argumenten wie der Staatenimmunität, etc.

Die Furche: In den deutschsprachigen Medien klingt durch: Jetzt ,wo die Griechen pleite sind, holen sie das Reparationskaninchen aus dem Zylinder.

Fleischer: Sowas bringt mich in meiner Brückenfunktion wirklich auf die Palme. Die Griechen haben das Thema seit 1945 kontinuierlich angesprochen, stießen aber deutscherseits stets auf taube Ohren. Auch hatten sie nicht die Möglichkeit, sich selbst zu entschädigen, wie nach dem Krieg etwa Franzosen und Polen. Sie zeigten sich sogar sehr versöhnlich gegenüber den Deutschen und insbesondere den Österreichern. Immerhin aber hat sich in den letzten Monaten der Informationspegel, die Bewusstseinsbildung der öffentlichen Meinung in den Nachfolgestaaten des unseligen "Großdeutschen Reiches" verbessert -abgesehen von den unverbesserlichen Hetzblättern.

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