Die Reinigung vom Gewalt-Gott
Europas geistige Größe fußt auf einem jüdisch-christlich-muslimischen Fundament.
Europas geistige Größe fußt auf einem jüdisch-christlich-muslimischen Fundament.
K inder christlicher Konfessionen drücken gemeinsam mit Muslimen und Juden die Schulbank, nicht zu vergessen diejenigen, die von den Eltern "religionslos" erzogen werden. Kreuzesdarstellungen mit dem gequälten Leib Jesu erregen zunehmend Unmut. Fundamentalismen aller Arten wuchern bereits im Untergrund. Zugleich wird in seltener Einmütigkeit von den Bildungseliten der Geist der Toleranz gepriesen. Totale Gleichgültigkeit oder zurück zu einer allgemeinen Verbindlichkeit (welcher?), das ist eine Gretchenfrage der heutigen europäischen Gesellschaft.
Georg Baudler, praktischer Theologe und Ausbildner von Religionslehrern in Aachen, weicht diesen Fragen nicht aus. Seine jüngste Publikation "Die Befreiung von einem Gott der Gewalt" ist ein engagiertes Buch. Er erkennt einen Weg der Zuversicht und möchte ihn seinen Lesern erschließen.
Diese Zuversicht sieht er begründet im gemeinsamen jüdisch-christlich-muslimischen Erbe: Daß alle drei Religionen Abraham für sich reklamieren, ist für Baudler nicht ein eifersüchtiger Wettstreit um ein "Ehrenmitglied", sondern ein tiefes Zeichen für ihren einheitlichen Wurzelgrund. Abraham, der sich vertrauensvoll einem Gott anheimgibt, der - wie alle Gottheiten der menschlichen Frühgeschichte - für den Menschen auch eine dunkle Seite hat, ist nämlich die Urgestalt des glaubenden Menschen.
Für Baudler ist biblische Heilsgeschichte die schrittweise, an Menschenschicksalen erfahrbare Reinigung der Gottesvorstellung vom Gott der Gewalt zum Gott der Liebe. Er redet aber nicht einer Esoterik das Wort, die die Schattenseiten des Lebens ausblendet. Immer wieder muß der Mensch - und das ist das jüdische Element - so wie Mose am Sinai zu Gott hinaufsteigen, um auch in und nach Erfahrungen von Leid und Dunkelheit von neuem nach seiner Weisung zu fragen.
Immer wieder ist auch die christliche Erfahrung möglich, daß selbst die absolute Absurdität, wie sie in der Kreuzigung Jesu zum Ausdruck kommt: von Gott getragen, umfangen und in einen neuen Anfang gewandelt - in die Auferstehung. Diesen Aspekt ergänzend bringt die gläubige, allein schon in der Gebetshaltung erkennbare Hingabe des Muslimen noch einmal das zum Ausdruck, was schon Abraham existentiell vollzogen hat.
Baudlers Folgerung: Die Entwicklung Europas als eines multikulturellen und multireligiösen Raumes kann nur dann friedlich und zugleich auf der Basis einer gemeinsamen Verwurzelung ablaufen, wenn die drei großen monotheististischen Religionen nicht länger rivalisierend miteinander konkurrieren. Gerade so würden sie ja einem Gott der Wort- und Institutionsgewalt das Wort reden, den sie von ihrer Entstehungsgeschichte her schon überwunden haben. In einem derartigen Paradox würden sie ihre eigentliche Identität verlieren und könnten nicht jene Kraft entfalten, die in ihnen grundgelegt ist und die - zusammen gesehen - von entscheidender Bedeutung dafür ist, daß Europa nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine geistige Größe entfalten kann.
Baudlers Buch ist eine Fundgrube theologischer, religionsgeschichtlicher, seelsorglicher und pädagogischer Überlegungen. Seine Gedanken zu einem religionenübergreifenden Unterricht über religiöse und philosophische Daseinsbewältigung lassen auch die buddhistisch-hinduistischen Wege nicht außer acht. Manches mag ungewohnt klingen und Widerspruch erregen. Doch immer ist es ein engagierter, fachlich kompetenter Zeitgenosse, der sich mitteilt: Wer Baudler liest, wird über ihn sprechen wollen.
Die Befreiung von einem Gott der Gewalt. Erlösung in der Religionsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam. Patmos Verlag, Düsseldorf 1999. 396 Seiten, geb., öS 400,-/e 29,07
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!