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Ein Ruckschlag

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In Mariazell hätte sich ein Pfingst-wunder neuerer Art ereignen sollen. Es hat sich nicht ereignet. Bischöfe aus allen Ländern Mitteleuropas hätten in diesem Ort, der durch Jahrhunderte hindurch auch ihren Völkern Wallfahrtsort und Gnadenstätte war, gemeinsam das Meßopfer feiern und in einem gemeinsamen Geist, aber in verschiedenen Sprachen reden sollen. Es ist nicht dazu gekommen. Alle sind sie eingeladen gewesen, die Bischöfe aus der Tschechoslowakei, aus Ungarn, aus Polen, aus Jugoslawien. Gekommen ist nur der Erzbischof von Agram, Kardinal Seper. Er stand am Altar mit dem Erzbischof von Wien, Kardinal Doktor König. Die Stelle der anderen Bischöfe nahmen Briester ihrer Sprache, aber nicht ihres Landes ein. Den Bischöfen selbst war die Ausreise verweigert worden. Sie alle, die ungarischen, tschechoslowakischen, polnischen Bischöfe hatten die Einladung Kardinal Königs, nach Mariazell zu kommen, mit Freude und Dankbarkeit angenommen, niemand zweifelte an ihrem Kommen. Aber sie kamen nicht, sie konnten nicht kommen, der Staat verwehrte es ihnen, der kommunistische Staat verwehrte seinen Staatsbürgern die Ausreise in ein neutrales Land, das Regime verwehrte den Bischöfen, an einer religiösen Feier teilzunehmen, an einer Pfingstfeier, an einer Feier des Friedens und der Verständigung.

Warum? fragt man. Und man fragt vergebens. Es kommt keine Antwort. Man hat sich nicht einmal die Mühe genommen, dieses Ausreiseverbot irgendwie zu motivieren. Der Staatsabsolutismus kommunistischer Prägung hat es nicht notwendig, seinen Bürgern Rechenschaft zu geben, hat es anscheinend auch nicht notwendig, dem einladenden Land, dem einladenden Kardinal gegenüber, den man zwar gerne zitiert, gewisse Mandestformen internationaler Höflichkeit einzuhalten.

Mariazell sollte keine Demonstration, sondern eine Manifestation des Friedens und der Verständigung, eine Stätte der Begegnung und ein Ort des Gebetes in verschiedenen Sprachen sein. Es ist eine Demonstration geworden, eine Demonstration der Unfreiheit, der Staatswillkür, vielleicht der Unsicherheit, vielleicht der Angst. Zum Reden dürfen die Menschen zusammenkommen aus Ost und West, zum Beten aber nicht. Das scheint zu gefährlich zu sein. Wer immer eine Auflockerung überholter starrer Grenzen für notwendig erachtet, wer immer das Gemeinsame über das Trennende stellt, wer an den Frieden, an die Verständigung in Mitteleuropa glaubt, wer die Völker des Ostens zu verstehen sucht, den trifft dieser Rückschlag hart. Das gilt auch für „Die Furche“. Andere mögen darin eine Bestätigung der Meinung sehen, daß eben trotz aller schönen Worte die Paßpolizei noch immer den Geist dirigiere. Wir gehören nicht zu jenen, die sich darüber freuen, weil wir glauben, daß trotz allem der Geist stärker ist als jede administrative Schikane, der Wille zur Verständigung zukunftsträchtiger als Angst und Mißtrauen, das Gebet stärker als die Polizei. Mariazell hätte ein Pfingsten der Völkerverständigung werden können. Es ist es nicht geworden. Ein kalter Hauch der ideologischen Eiszeit kam vom Osten. Er kann uns frösteln machen, aber er kann uns den Glauben nicht nehmen, daß eines Tages die Sonne stärker sein wird.

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