Fremde: Angst und Faszination

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Fremdenfeindlichkeit ist auch in Österreich ein brisant-aktuelles Thema. Christen nehmen dabei klare Positionen ein. Dennoch: Das Fremde und die Fremden machen auch angst.

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Fremdenfeindlichkeit ist auch in Österreich ein brisant-aktuelles Thema. Christen nehmen dabei klare Positionen ein. Dennoch: Das Fremde und die Fremden machen auch angst.

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Fremde haben es bei uns nicht leicht, obwohl Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft offiziell geächtet wird. Aufgrund der negativen geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, die mit Rassismus, Nationalismus und religiösem Fanatismus gemacht wurden, gilt Wohlwollen gegenüber Fremden als moralische Norm. Angst vor dem Fremden, Xenophobie genannt, ist nach allgemeiner Überzeugung Ausdruck dumpfer Vorurteile, die durch Erziehung und politische Aufklärung überwunden werden müssen. Fremdenangst - oder gar Fremdenfeindlichkeit - ist als Mittel der Politik verpönt, und selbst diejenigen, die von ihm Gebrauch machen, streiten dies öffentlich heftig ab.

Doch auch bei ihren politischen Gegnern schlummern unter der Decke politischer Korrektheit ambivalente Gefühle gegenüber Fremden. Trotz multikultureller Vielfalt und dem Bekenntnis zur offenen Gesellschaft bleibt die Angst vor dem Fremden und den Fremden. Sie verschwindet nicht schon dadurch, daß sie offiziell geleugnet wird. Irgendwann erleben wir dann die Wiederkehr des Verdrängten, und sei es in subtilen Formen.

Fremdenangst: auch in der Bibel!

Daß Fremdenfeindlichkeit dem Geist des christlichen, aber auch des jüdischen Glaubens widerspricht, ist zweifellos richtig. Der biblische Befund zu Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit ist aber durchaus vielschichtig. Wie auch sonst in der Antike finden sich im Alten Testament zahlreiche Belege für eine ablehnende Haltung gegenüber Fremden: Für Israel sind fremde Völker zunächst Feinde. Das entspricht der geschichtlichen Erfahrung. Abgelehnt wird auch deren fremde Religion, die dem monotheistischen Glauben an Jahwe, den Gott Israels, widerspricht und zur Gefahr werden kann. Fremden Einzelpersonen und Reisenden wird jedoch Gastfreundschaft entgegengebracht. Allmählich entwickelt sich in alttestamentlicher Zeit eine Art Fremdenrecht. Die Entwicklung kulminiert im Gebot der Fremdenliebe, das mit der Liebe Gottes zu den Fremden begründet wird (Dtn 10,18f).

In gesamtbiblischer Sicht erscheint die Angst vor dem Fremden, welche sich zur offenen Feindschaft steigern kann, auch als ein eminent theologisches Problem. Sie betrifft nicht allein das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch, sondern auch das Verhältnis des Menschen zu Gott, darin zugleich aber auch sein Selbstverhältnis. Zu den provozierenden Aussagen der Bibel gehört diejenige, daß Gott selbst dem Menschen wie ein Fremder erscheinen kann. Obwohl der Mensch Gottes Geschöpf und Ebenbild ist, bleibt ihm Gott fremd. Fremd ist er nicht nur, weil er das menschliche Fassungsvermögen übersteigt, sondern auch, weil es zwischen Gott und Mensch aufgrund der menschlichen Sünde zur Entfremdung kommt.

Was kann die Theologie sagen?

Der spezifische Beitrag der Theologie zum interdisziplinären Gespräch über das Phänomen der Xenophobie besteht darin, auf seinen Transzendenzbezug hinzuweisen. Es läßt sich zeigen, daß die Kategorie des Fremden im neuzeitlichen Sinne zumindest implizit eine religiöse Kategorie ist. Sie verweist auf die neuzeitliche Erfahrung der Fremdheit Gottes ebenso wie die Erfahrung der Fremdheit des eigenen Selbst, der Erfahrung nämlich, seiner selbst keineswegs so mächtig zu sein, wie wir glauben möchten und gewöhnlich vorgeben. Das von außen auf uns zukommende Fremde, das wir ablehnen und abzuwehren suchen, ist die Fläche und teilweise überhaupt das Produkt unserer Projektionen eines Fremden und Unbeherrschbaren, das wir in uns selbst entdecken und an uns selbst fürchten. Die Bibel deutet dieses Fremde als Macht der Sünde. Werden ihre Wurzeln bedacht, so wird verständlich, weshalb die bloße moralische Ächtung der Fremdenfeindlichkeit und wohlmeinende ethische Appelle allein der Komplexität des Phänomens nicht gerecht werden.

Das rätselhafte Fremde Die Möglichkeit der Fremdenfeindschaft verweist auf die grundlegende Ambivalenz des Fremden. Fremd sind das Fremde und der Fremde nicht an sich, sondern immer nur für ein Gegenüber. Hierbei ist zwischen dem Fremden und dem Anderen zu unterscheiden. Der oder das Andere ist nicht notwendigerweise das mir Fremde. Es ist zunächst das Andere meiner selbst und kann als dialektisch zu mir gehörig verstanden werden. Das Fremde dagegen ist das nicht Zugehörige, vom Eigenen Abgegrenzte und Ausgeschlossene. Es ist das zunächst Unbekannte und Unverstandene. Daß es rätselhaft bleibt, macht gerade das Wesen des Fremden aus. Wie der jüdische Philosoph Emanuel Levinas (1906-95) gezeigt hat, kann der Fremde daher nicht durch mich definiert werden, sondern ich kann ihm nur begegnen.

Wie das Fremde ist aber auch jede Begegnung ambivalent. Eine Begegnung ist ein Zusammentreffen, das sowohl die Möglichkeit der Kommunikation als auch der Konfrontation in sich schließt. Insofern ist in jedem Vorgang der Begegnung die Gefahr möglicher Feindschaft virulent. Das drückt schon das Wort "Begegnung" aus, in welchem ja die Vokabel "gegen" bzw. "Gegner" steckt. Eine Philosophie wie eine Theologie des Fremden bleibt unvollständig, solange das Phänomen der Feindschaft nicht mitbedacht wird.

Das Fremde ist aber in seiner Rätselhaftigkeit nicht nur potentiell bedrohlich, sondern zugleich anziehend. Es fasziniert, weil es jenseits des Vertrauten neue Möglichkeiten erahnen läßt. Unter die Furcht vor dem anderen und Unbekannten mischt sich die Sehnsucht nach dem ganz anderen. Dieses birgt in sich die Möglichkeit der Identitätszerstörung wie der Erweiterung und Bereicherung der Identität.

Fremde erzeugen Angst Die Stimmung, in welcher die Ambivalenz des Fremden in seiner Bedrohlichkeit und gleichzeitigen Faszination wahrgenommen wird, ist die Angst. Der dänische Denker Sören Kierkegaard hat die Angst beschrieben als Ineinander von Anziehung und Abstoßung. Fremdenfeindschaft, welche diese Ambivalenz nach einer Seite auflöst, läßt sich also nicht allein auf sozialpsychologische, ökonomische oder politische Faktoren zurückführen, so gewiß diese Fremdenfeindschaft begünstigen oder auch zurückdrängen können. Sie muß aber verstanden werden als eine grundsätzliche Möglichkeit, welche mit der Struktur menschlicher Existenz gegeben ist.

Die religiöse Dimension des Fremden und seiner Ambivalenz hat der protestantische Theologe Rudolf Otto 1917 in seiner berühmten Abhandlung über "Das Heilige" auf den Begriff des Numinosen - damit ist die gleichzeitig anziehende und abstoßende Komponente des Göttlichen gemeint - gebracht. Otto spricht auch vom Geheimnis des "Ganz anderen", das es ebenso von ganzem Herzen zu lieben als auch zu fürchten gilt. Ottos Begrifflichkeit abwandelnd hat der evangelische Theologe Karl Barth (1886- 1968) den biblischen Gott als den Ganz Anderen bezeichnet. Er ist der fremde, der "unbekannte Gott", dem nach Apostelgeschichte 17,23ff die Athener auf dem Areopag einen Altar errichtet hatten und den Paulus in seiner Areopagrede mit dem Gott Jesu Christi identifizierte.

Gott kommt als Fremder in die Welt Das Neue Testament schildert, wie Gott in Jesus von Nazareth als Fremder in die Welt kommt und abgelehnt wird. Das Geschick Jesu von Nazareth, der in der Vollmacht des fremden Gottes wirkt und predigt, wird zum Geschick dieses Gottes, der sich ganz mit diesem Menschen identifiziert und so mit denen versöhnen will, die in Feindschaft mit im leben. Dementsprechend findet die schon im Alten Testament gebotene Liebe zum Fremden ihre Zuspitzung im Gebot der Feindesliebe.

Der Gedanke der Menschwerdung Gottes bedeutet, daß Begegnung mit dem fremden Menschen zur Begegnung mit dem fremden Gott, seine Zurückweisung zur Ablehnung des menschgewordenen Gottes wird. Im Matthäusevangelium sagt Jesus im Gleichnis vom Weltgericht Jesus: "Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan bzw. nicht getan habt, daß habt ihr mir getan bzw. nicht getan" (Mt 25,40.45). Wie die Geringsten und Verachteten, so sind auch die Fremden die Gestalt der verborgenen Gegenwart Christi: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen bzw. nicht aufgenommen" (Mt 25,25.43).

Mit dem fremden Menschen findet der fremde Gott Aufnahme, und zwar nicht nur äußerlich, sondern auch im Herzen dessen, der sich dem Fremden zuwendet. In diesem Vorgang wird die Angst vor dem Fremden überwunden, ohne daß dieses sein Geheimnis verliert.

Der Autor ist Professor für Systemat. Theologie H.B. an der Evang.-Theol. Fakultät in Wien.

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