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Kein Kantönligeist

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Sobald nach der napoleonischen Zeit Tirol und Vorarlberg wieder mit Oesterreich vereinigt waren, griff die Wiener Regierung mit Energie ihren alten Plan wieder auf, die Grenzen der Kirchensprengel mit den' neuen Grenzen ihres Hoheitsgebiete in Einklang zu bringen. In Vorarlberg, wo sich bisher drei Diözesen mit hauptsächlich nichtösterreichischem Territorium trafen: Chur, Konstanz und Augsburg, wäre ihr dies wohl nicht so bald gelungen, wenn nicht Consalvi, der große päpstliche Staatsmann, mit seiner Kraft den Widerstand der Diözesen gebrochen hätte. Chur, das mit einem Zuwachs in der Ostschweiz und Zentralschweiz entschädigt wurde, gab zuerst 1816 nach; das zähe Hinhalten Wessenbergs, des Generalvikars von Konstanz, konnte erst 1819 endgültig überwunden werden, durch den Druck, der seitens der Karlsruher Regierung gegen ihn ausgeübt werden mußte — zwei Jahre später war es mit der alten Diözese Konstanz ohnehin zu Ende.

So konnte durch die Bulle „Ex imposito“ vom 2. Mai 1818 auch die kirchliche Verwaltungseinheit Vorarlbergs geschmiedet werden — allerdings nicht ganz im Sinne Consalvis, der den Diplomaten Oesterreichs gegenüber ein Jahr lang an seiner eigenen Diözesanbildung für Vorarlberg festgehalten hatte, eine Absicht, die auch in der Bulle ausgedrückt war. Am lieben Geld scheiterte damals der Plan, und später wurde er auch von Rom selbst nie mehr aufgegriffen. Schon der Nachfolger Pius' VII., der Zelanti-papst Leo XII., schlug andere Wege ein, und seither wurde die Bistumsfrage von Rom aus nicht mehr begünstigt. Vorarlberg ist somit wohl ein geschlossener Kirchenverwaltungssprengel, der aber einer höheren Einheit eingegliedert blieb, früher an Brixen, jetzt an die Apostolische Administratur nördlich des Brenners angeschlossen, die darum auch den Titel führt: Innsbruck-Feldkirch. Eine gewisse Eigenständigkeit besitzt das Gebiet dadurch, daß es ständig einen exponierten Generalvikar haben soll, der mit der bischöflichen Würde bekleidet ist. Ob einmal der Weg von der in der Gründungsbulle erfolgten Zirkumskription zur Konstituierung einer eigenen Diözese für die 200.000 Katholiken Vorarlbergs führen wird, wie es manchen vorschwebt, muß die Zukunft weisen.

Es ist naheliegend, daß ein so eigenständiges Gebilde, wie es das alemannische „Ländle“ ist, seinen besonderen Lebensrhythmus auch im kirchlichen Raum ausdrücken will; in manchen Belangen kontrastiert es mit dem Nachbarland Tirol. So ist es nicht von ungefähr, daß in Tirol die Uebertragung des Amtes eines Dekans mit der Verleihung einer Dekanatspfarre gegeben ist, während die sechs Dekane Vorarlbergs von ihren definitiv bestellten Mitbrüdern gewählt und dann vom Bischof bestätigt werden. In Vorarlberg hat von jeher fast jeder Hilfspriester eine eigene Benefiziatenwohnung mit eigenem Haushalt, und das von Brixen aus durch Jahrzehnte fortgesetzte Bemühen, diese Hilfspriesterstellen in Kooperaturen nach Tiroler Vorbild zu verwandeln, scheiterte am zähen Widerstand der Bevölkerung.

Dies und manches andere, was der Sonderart des Vorarlbergers entspricht, wird seit langem von der aufgeschlossenen Diözesanführung, besonders vom Oberhirten Bischof Dr. Rusch, nicht als „Kantönligeist“ betrachtet, sondern verständnisvoll berücksichtigt, so daß eine glückliche Synthese zwischen Sonderart und diözesaner Gemeinschaft gegeben ist, gefördert durch das gemeinsame Priesterseminar und die gemeinsame Finanzkammer.

Manchmal wurde ironisch bemerkt, die Weihbischöfe Vorarlbergs müßten dauernd „in parti-bus infidelium“ hausen (die frühere Bezeichnung der Titularbischöfe). Nun, im Lande der Ungläubigen brauchten sich die Generalvikarc keineswegs zu fühlen; dem „sanften Gesetz“ ihres Wirkens kam der Volkscharakter entgegen, so daß zwar nicht ohne gelegentliche Spannungen, aber im wiedergefundenen Ausgleich zwischen dem nüchtern vorwärtsstrebenden Volkselement und der beharrenden Macht der Kirche ein inniges Verhältnis sich erhalten konnte — das Resultat: „Das schwarze Ländle.“

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