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Mißverstandene Öffnung zur Welt

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Nur in skizzenhaftem Umriß können die mancherlei Widersprüche angedeutet werden, die sich im katholischen Leben der Gegenwart zeigen. Da ist zunächst einmal der Widerspruch zwischen dezidiert erklärtem Willen der Konzilsväter, übrigens im Anschluß an Johannes XXIII. und dessen Enzykliken „Mater et ma-gistra“ und „Pacem in terris“, die politischen Sachentscheidungen sollten der freien, nur vom Sittengesetz geleiteten Einsicht der verantwortlichen Staatsmänner überlassen bleiben, und den zuweilen massiven Forderungen, Ratschlägen und Einmischungen einer neuen Generation von Theologen, die mit ihrer „politischen Theologie“ im Grunde nichts anderes produzieren als den wohlbekannten alten integralistischen Klerikalismus — nur mit umgekehrten politischen Vorzeichen. Die Mischung aus caesaropapistischer Theologie und linker Politik ist zuerst in Italien entstanden, sie leitet sich (wenn auch mit zweifelhaftem Recht) von Antonio Rosminis naturrechtlicher Sozialphilosophie ab und hat in Dosseti und Georgio La Pira ihre bekanntesten Vertreter gefunden. Aber überzieht der Theologe, der mit Bibelzitaten und Thomas-Argumenten für die CDU plädiert, sein Konto etwa mehr als der Theologe, der mit Zitaten der gleichen

Bibel und aus Teilhard-Schriften für die Revolution mit gewaltsamen Mitteln eintritt? Die große seelsorgerliche Chance, die in einem ernstgemeinten und redlich vollzogenen Rückzug der Kirchenmänner aus der vorderen Front der Politik liegt, wird auf diese Weise in Frage gestellt, ja vertan; wenn nur die Parolen wechseln, das Engagement der Theologen aber gleich intensivvordergründig bleibt, hat es der Laie schwer, bei ihnen etwas anderes als banalen Opportunismus oder ein bedenkliches Verfallensein an den Zeitgeist zu entdecken.

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Der vielleicht folgenschwerste Widerspruch im Bilde des heutigen Katholizismus zeigt sich so: Auf der einen Seite wird die Rolle der Christen für die menschliche Gesellschaft immer höher gewertet, die Unentbehrlichkeit der Christen für die Weiterentwicklung der Menschheit, ja des gesamten Kosmos (im Sinne Teilhards), immer filigran-artiger emporstilisiert. Auf der anderen Seite werden die Anforderungen, die an das praktische Christenleben gestellt werden, immer weiter herabgesetzt, dem persönlichen Glücksstreben immer mehr Entgegenkommen erwiesen, das Hinderliche, Unbequeme, Lästige immer weiter abgebaut.

Auch das mag vom Geiste des Neuen Testaments und damit aus dem Wesen des Christentums gefordert sein (hier sind allerdings erhebliche Zweifel anzubringen) — für die Glaubwürdigkeit und die Weltwirksamkeit der Christen ist eine solche Entwicklung höchst nachteilig, denn die Welt erwartet von den Christen, zumal von den in einer wohl verfaßten Kirche lebenden katholischen Christen, einen exemplarischen Lebensstil, der gerade nicht eine Sittlichkeit zu Schlußverkaufspreisen, sondern ein verantwortliches Ethos, nicht Gleichförmigkeit mit der Welt, sondern Widerspruch zur Welt, wie sie ist, anzeigt.

Jahrhundertelang haben Verzicht, Opferbereitschaft und Selbstverleugnung um höherer Werte willen die Haltung der Christenmenschen geprägt. Dabei sind gewiß viele Übertreibungen und Fehlhaltungen vorgekommen, Menschen sind daran innerlich zugrunde gegangen; Korrekturen sind notwendig geworden. Aber die immensen Leistungen in sozialer und karitativer Hinsicht, von denen unsere Gegenwart noch zehrt, ohne sie recht zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn in ihrem Ursprung zu verstehen, wären ohne diese heute auch in der Kirche weithin gering geachteten Tugenden nicht denkbar. Es dauert nicht mehr

lange, dann ist dieses Erbe der Vergangenheit aufgebraucht. Der Priestermangel, die Zölibatsdebatte, das Aussterben der Krankenpflege-Orden, die täglichen Rückzüge von Ordensschwestern aus sozialkaritativen Einrichtungen — das alles sind nur die Symptome einer Erkrankung, die bis an die Wurzel reicht. Für den, der das Wesen des Christentums im Kreuz symbolisiert sieht, ist es unfaßbar, daß es christliches Leben ohne den Querbalken, der senkrecht zu den natürlichen Neigungen überhaupt steht, soll geben können. Größe und Kraft des Christentums sind stets aus der Spannung gewachsen, die zwischen Natur und Gnade, Glücksstreben und Askese, Diesseitsbewährung und Jenseitshoffnung besteht. Die Reduzierung des christlichen Lebens auf Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit, Nächstenliebe — also auf Diesseitigkeit — hebt jene Spannung auf und schafft damit die Energie ab, aus der das Christentum in der Vergangenheit gelebt hat. Und doch dürfte es so sein, daß nur die unbedingte, weder durch gutgemeinte zeitfreundliche Zugeständnisse noch durch vermeintlich schlaues Mimikry entstellte Treue zur ursprünglichen Ganzheit der Botschaft vom Kreuz und Auferstehung der Kirche auch heute

eine Chance gibt, Seelen zu fangen und festzuhalten, wobei als Nebeneffekt sowohl die „Kulturleistungen“ wie der „Öffentlichkeitseinfluß“ sich quasi von selbst ergeben, während umgekehrte Strategie nur zeitweise erfolgreich sein kann, von ihrer inneren Fragwürdigkeit ganz zu schweigen.

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Nur wenn die Kirche sich wieder getraut, ihre ja keineswegs aufgegebenen, sondern nur taktisch heruntergespielten asketischen Forderungen wieder in voller Härte und Klarheit auch offen auszusprechen, ... orientiert an beiden Balken des Kreuzes; nur wenn die Kirche sich wieder getraut, nicht bloß alles, was für Fortschritt gehalten wird, mit möglichst raschem Glückwunsch zu bedenken und alle Erfolge von Freund und Feind (und diese besonders) schnell und laut zu bejubeln, um ihre Unvoreingenommenheit und Modernität zu beweisen, sondern, wo es nötig ist, auch ein klares Wort der Verweigerung, der Absage und der Verurteilung riskiert; nur wenn sie herausfindet aus dem Minderwertigkeitskomplex, der sie zur Zeit in einer unfruchtbaren, ja lächerlichen „Wir-auch“-Praxis festhält — wir sind auch für den Frieden, für die Mondfahrt, für die Herzverpflanzung, fürs Tiefseetauchen usw. —; nur wenn sie wieder glaubhaft zu machen versteht, daß sie etwas zu bieten hat, wofür keine andere Instanz sich anheischig machen kann, nämlich eine Hoffnung auf eine absolut unverfügbare Macht jenseits dieser Welt und,ihrer Mächte — nur dann kann sie damit rechnen, daß sie, nach der Uberwindung ihrer derzeitigen inneren Krise, tatsächlich als erneuerte Kirche erkannt wird, die ihr eigenes Wesen klarer, anziehender und wirkungsvoller manifestiert als zuvor.

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