Nur Ärger mit den Türmen

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Die Debatte um das Schweizer Minarettverbot zieht weite Kreise. In vielen Reaktionen und Stellungnahmen offenbart sich die ganze Ratlosigkeit einer „aufgeklärten“ Gesellschaft im Umgang mit Religion.

Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Lustiger den Spieß gewissermaßen umdrehen und islamische statt christlicher Symbole fordern würde. „Für Minarette. Gegen Kreuze“ schleudert nun also Christian Rainer im profil in die Diskursarena. Während man sich dem Minarett im Freien entziehen könne, seien die Schüler im geschlossenen Raum dem Kreuz an der Wand hilflos ausgesetzt, meint Rainer. Und weil wir schon in (Heraus-)Geberlaune sind, schaffen wir auch gleich noch den Religionsunterricht ab.

Wieso architektonische Zeichen weniger „prägenden Charakter“ haben sollten als Symbole innerhalb von Gebäuden, bleibt freilich schleierhaft. Nichts ist so öffentlich wie Architektur, nichts kann man sich daher weniger entziehen als markanten Gebäuden, zumal Türmen oder Kuppeln jedweder Art, ob religiös konnotiert oder nicht. Und jede Architektur bedeutet eine Art von Selbstbehauptung, formuliert irgendeinen Anspruch auf Prägung.

„Irrationale Inhalte“

Offenbar ist aber nicht nur das Kreuz in der Klasse, sondern auch der Religionsunterricht eine Bedrohung: Bedenklich sei, so der profil-Chef, die „Vermittlung irrationaler Inhalte“ sowie „die Selbstverständlichkeit, mit der Stundenpläne rund um die Bedürfnisse der christlichen Mehrheit gestrickt“ würden. Was Letzteres bedeutet, ist nicht ganz klar – die vielen Religionsstunden in der ersten oder gar letzten Stunde wird Rainer ja nicht gemeint haben. Was aber die Irrationalität angeht, so möchte man gerne wissen, ob und inwiefern ein Rilke-Gedicht oder ein Picasso-Stillleben rationaler sind als die Evangelien (abgesehen davon, dass der Religionsunterricht auch ganz handfestes historisches und kulturwissenschaftliches Wissen vermittelt).

Das eigentliche Pendant zu den Minaretten sind freilich nicht die Kreuze an der Wand, sondern die Kirchtürme. Hier aber wird es erst richtig spannend. Denn Kreuze könnte man problemlos abhängen – aber dass auch Kirchtürme verschwinden müssten, hat noch keiner gefordert. Dabei kann sich diesen wirklich niemand entziehen; kaum etwas prägt europäische Städte, Dörfer und Landstriche so sehr wie die Kirchen und Klöster. Daher müsste man, wenn christliche Symbole als Zumutung empfunden werden, hier zuvörderst ansetzen (weswegen Bischof Küngs Suggestivfrage – „Wann werden dann Kirchen abgerissen werden?“ – schon ihre Logik hatte).

Oder man macht sich die Sicht eines Falter-Leserbriefschreibers zu eigen, der meint: „Die alten Kirchtürme mögen … stehen bleiben – als Mahnmale dafür, wie wir Religion nicht (mehr) haben wollen.“ Der Mann wird hier zitiert, weil er in seiner Ratlosigkeit das ganze Dilemma so schön auf den Punkt bringt und damit für viele steht. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: die Abertausenden Kirchtürme samt ihren Kreuzen und Glocken, dazu noch – falls auch dies Gnade findet – ungezählte Kapellen, Wegkreuze, fromme Darstellungen an Außenwänden und in Mauernischen als Mahnmale. Das wäre wohl die ultimative Zumutung! Das Zentrum jeder Stadt, jeder Dorfplatz gekrönt von einem Mahnmal! Soviel Erinnerungs- und Gedenkkultur, oder sollte man gar sagen: Trauerarbeit, würden uns auch die politisch Korrektesten nicht abverlangen wollen. Dagegen müsste man sich mit Rudolf Burger nach allen Regeln der Kunst wehren.

Ressourcen-Überschuss

Nein, es hilft nichts, wir können uns nicht auf der grünen Wiese neu aufstellen, „unbelastet“ von der Geschichte. Abgesehen davon, dass auf dieser grünen Wiese über kurz oder lang wieder diverse Arten religiöser Türme aus dem Boden schießen würden. Weil keine Gesellschaft – und erst recht kein so fragiles Gebilde wie eine demokratisch-pluralistisch verfasste – allein aus sich heraus bestehen kann, sondern vielmehr von einem Überschuss an Ressourcen der Spiritualität, der Hoffnung und der Zuwendung zum Nächsten lebt. An der Diskussion um Sichtbarkeit von Religion führt kein Weg vorbei. Christen sollten sich ohne Überheblichkeit, aber selbstbewusst und entschieden daran beteiligen.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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