Reisen als politisches Statement
Zum Dossier. Es sei "unmoralisch", Urlaub in Österreich zuverbringen, hieß es im Zuge der Sanktionengegen Österreich seitens der 14 anderen EU-Staaten. Dafür boykottieren Österreicher nun das besonders österreichkritische Belgien. DieVerquickung von Tourismus und Politik ist so neu nicht. Schon vor mehr als 100 Jahren praktizierten Deutschtümler völkisch korrektes Reisen.
Zum Dossier. Es sei "unmoralisch", Urlaub in Österreich zuverbringen, hieß es im Zuge der Sanktionengegen Österreich seitens der 14 anderen EU-Staaten. Dafür boykottieren Österreicher nun das besonders österreichkritische Belgien. DieVerquickung von Tourismus und Politik ist so neu nicht. Schon vor mehr als 100 Jahren praktizierten Deutschtümler völkisch korrektes Reisen.
Wir verzeichnen keinen Tourismusrückgang, im Moment zumindest noch nicht", meint Thomas Häckel, der Geschäftsführer der Wirtschaftsgemeinschaft Bregenz Tourismus: "Wir sind eine Kunst- und Kulturstadt und tagsüber ausreichend mit Tourismus beglückt." Die Schönheiten der in die Vorarlberger Alpenlandschaft eingebetteten Stadt ziehen ungebrochen ausländische Gäste an sich. Eine einzige Ausnahme gab es bisher: Eine belgische Gruppe stornierte einen geplanten Auftritt und blieb fern. Die Belgier werden so in Vorarlberg ihrem Ruf als Österreich-Hasser vollkommen gerecht.
"Man muss da wirklich unterscheiden. Belgien ist nicht Belgien, es gibt Wallonen und Flamen. Und zweitere sind Österreich sehr freundlich gesonnen. Die flämische Regierung hat sich den Maßnahmen der EU nicht angeschlossen", bedauert Liesbet Vandebroek, die Direktorin der Tourismuswerbung Flandern/Brüssel in Wien die undifferenzierte Sicht der meisten Österreicher. "Die Flamen fahren sogar vermehrt nach Österreich. Wir haben heuer statt üblicherweise vier sogar fünf Busreisen verkaufen können", hat sie in ihrem Bereich einen Besucherzuwachs in der Alpenrepublik feststellen können. Dass es im Februar zu einem großen Minus der Reisen aus Belgien in die Alpenrepublik kam, lag weniger an der politischen Lage als vielmehr am Umstand, dass die Energieferien der Flamen heuer im Vergleich zum Vorjahr erst im März begonnen haben. Betrachtet man die Monate Jänner bis März, ist ein dickes Plus für Österreichs Tourismus zu verzeichnen.
Umgekehrt sieht es freilich anders aus. "Normalerweise ist diese Jahreszeit die Hauptsaison für Belgien, da haben wir deutlich weniger Anfragen feststellen können", bedauert Vandebroek das stagnierende Interesse der Österreicher an Flanderns Schönheiten. "Wir haben bis zu 50 Prozent Einbußen, viele Briefe, in denen steht, dass die Leute jetzt nicht mehr wollen. Ganze Gruppen aus Österreich haben aufgrund der politischen Situation storniert." Den Grund darin sieht sie auch in einem wesentlichen Mentalitätsunterschied zwischen Österreichern und Flamen. Diese leben nach dem Motto "Lasst die Politiker reden" und vertrauen ihrer eigenen Meinung, während man sich hierzulande von Medienberichten stark beeinflussen und verunsichern lässt.
"Alle Österreicher glauben, Belgien sei unsicher, sie bekämen kein Taxi und würden im Restaurant nicht bedient. Dabei ist das doch Unsinn. Sie haben doch keinen Zettel auf dem Kopf, auf dem steht, dass sie Österreicher sind": Vandebroek muss am Telefon viel Überzeugungsarbeit leisten, um das geschwundene Vertrauen ihrer österreichischen Kunden in den flämischen Tourismus wieder herzustellen. Besonders stark trifft das Verhalten der EU gerade Brüssel. "Diese Stadt hatte immer schon Imageprobleme, die sind jetzt noch größer." Momentan, sagt sie, fliegen nur Menschen nach Brüssel, die geschäftlich dort zu tun haben.
Auch in der "Maison de la France" hat Christel Sarry gegen österreichische Vorbehalte anzukämpfen. "Bei uns rufen viele Österreichern an und fragen, ob sie trotzdem hinfahren sollen," erzählt sie. Bei den Reisebüros gibt es allerdings keine massiven Stornierungen. "Leider gibt es hin und wieder Leute, die bisher positiv eingestellt waren, und nun plötzlich nicht mehr nach Frankreich wollen. Ich hoffe, das dauert nicht mehr lang." In Frankreich selbst wurde sie zwar auf Österreich angesprochen, allerdings nur in der Hoffnung, etwas über die Wahrheit zu erfahren. "Die Leute informieren sich, und wollen wissen, wie es bei uns wirklich ist. Was sie in den Medien lesen, das können sie sich nicht vorstellen", schildert sie die Franzosen als medienkritisch. Obwohl Sarry bewusst nur deutsch gesprochen hat, ist ihr die französische Bevölkerung genauso freundlich begegnet wie immer.
"Tourismus ist Völkerverständigung, wer damit zu tun hat, behandelt jeden Gast mit derselben Höflichkeit als Kunden", beurteilt sie gegenteilige Meldungen als von der Presse aufgebauschte Ausnahmen. "Die Art der Information sollte sich bald ändern. Die Berichterstattung ist einfach nicht normal. Hoffentlich behalten die Leute weiterhin klareren Kopf als die Medien, selbst wenn sie gegenteilige Botschaften lesen. Bis sich die Situation entspannt."
Eine Entspannung der Lage wünscht sich auch Christian Piller, Tourismusdirektor in Salzburg. "Beim normalen Städtetourismus spüren wir noch nichts. Wir haben eine durchaus gute Buchungslage. Zwei größere Absagen im Kongressbereich sind mir zu Ohren gekommen, da sind 800 Mediziner für einen Dreitageskongress aus Salzburg nach Lyon abgewandert. Im Hotel ,Österreichischer Hof' hat eine amerikanische Gruppe abgesagt, das war bisher alles."
Das dicke Ende ...
Im heurigen Jahr werden sich die EU-Sanktionen seiner Meinung nach noch nicht auswirken, das dicke Ende werde allerdings noch kommen. "In zwei, drei Jahren wird man das spüren. Da finden nämlich die Kongresse statt, die heuer abgeschlossen werden. Ich hoffe, dass die Leute bald vernünftig werden." Genauere Zahlen kann er keine nennen, dass weniger Interesse an Messen und am Kongressgeschäft besteht, zeichnet sich anhand der Anzeigen schon ab. "Man muss noch zwei bis vier Monate abwarten. Ich hoffe, dass die Entwicklung gegen Ende des Jahres besser wird", übt er sich in Zweckoptimismus.
"Merkbare, quantifizierbare Auswirkungen gibt es ausschließlich bei den Kongressen," kann Wolfgang Kraus, der Tourismusdirektorstellvertreter in Wien, die Salzburger Erfahrung teilen. "Da haben wir Einbußen von 60.000 Übernachtungen im heurigen Jahr." Er hofft, insgesamt bei einem Verlust von unter einem Prozent zu bleiben. Betroffen ist vor allem die Fünf Stern-Hotellerie. "Ich möchte das aber keinesfalls dramatisieren.
Früher wurde nämlich in diesem Segment noch gar keine Statistik geführt. Es gibt also keine Vergleichswerte, und unter Umständen haben diese Stornos gar nichts mit der Regierung zu tun."
Der Tourismusverband gab bei der Österreichischen Gesellschaft für Marketing eine Studie in Auftrag, die anhand von Telefoninterviews in neun Ländern erheben sollte, wie viele Urlauber aufgrund der politischen Lage von Ferien in Österreich Abstand nehmen wollten. Das Resultat ergab einen Wert von maximal einem Prozent. Damit lässt sichs leben, vor allem, wenn man bedenkt, dass es im März zu einem Nächtigungsplus von 48 Prozent bei französischen Touristen kam. Nur die Belgier zeigten sich weniger Wien-freudig.
Ihre Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent verringert. Wenn man allerdings bedenkt, dass die Gruppe der Franzosen 3,2 Prozent des Gesamtumsatzes, jene der Belgier aber nur 1,2 Prozent ausmacht, ist die belgische Wien-Abstinenz zu verkraften.
Außerdem zahlen es ihnen die Österreicher auf ihre Art vielfach zurück: Ihr Interesse am besonders österreichkritischen Flandern ist ja sogar um die Hälfte gefallen.
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