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VON NEUEN BÜCHERN

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Von Henry Dumery, deutsdi von Marianne Vincent und Mathilde Lehne. Seelsorgerverlag, Herder, Wien, 222 Seiten

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Von Henry Dumery, deutsdi von Marianne Vincent und Mathilde Lehne. Seelsorgerverlag, Herder, Wien, 222 Seiten

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Aus priesterlicher Verantwortung und Erfahrung, bewegt von den Einsichten des modernen französischen Katholizismus, geleitet von einem sichern Gefühl für den Mensdien der Gegenwart, schildert Henry Dumery die Gefahren, denen das Apostolat in bedeutendem Maße unterworfen ist. Es geschieht nicht, um zu kritisieren, sondern um weiter zu führen im Sinne reiner und gesteigerter Aktion. Indem Henry Dumery von den Versuchungen Christi ausgeht, gibt er seiner Warnung und Wegweisung den festen theologisdien Grund. Freilich bleiben die Versuchungen in der Wüste zu einem großen Teil Geheimnis. Daß der Unversuchbare sich versuchen ließ; daß der Teufel ihn für versuchbar hielt, sind Vorstellungen, die wir nicht vollziehen können. Und doch müssen wir annehmen, daß der Herr selbst den Jüngern davon berichtet hat. Er hat damit die Anschläge des Teufels ge- offenbart. Er hat sie überwunden, aber nicht aufgehoben. Der Teufel wird sie gegen den fortlebenden Christus erneuern, so lang die Welt und die geschichtliche Kirche bestehen.

Henry Dumery sieht in der Kirche die Entsprechung zwischen dem Gesetz der Inkarnation und dem Gesetz der Transzendenz. Zwischen beiden besteht eine „heilsame Spannung“, aus der sich die Kirche in der Welt entfaltet. Die Transzendenz rechtfertigt die Inkarnation, und die Inkarnation verwirklicht die Transzendenz.“ Das heißt: „Die Transzendenz muß in der Inkarnation selbst zum Ausdruck kommen." Der Leib der Kirche, ihre geschichtliche Gestalt, soll nicht ein Körper unter Körpern sein; er soll durch den Kontakt mit dem Leib der Gesellschaft auf die Seelen einwirken. Die erste Forderung der Kirche ist somit: .der Primat des inneren Lebens. Das Apostolat ist also „immer etwas dem Wesen nach Geistiges“. Daher erblickt Dumery in dem „Primat der äußeren Werke“ die gefährliche Bedrohung; sie ist wohl aus den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten des Ursprungs zu verstehen; das .übermäßige Streben nach Erfolg“ haftet der ganzen Zeit und somit auch dem religiösen Leben an. Nun aber handelt es sich darum, zu erkennen, daß wir den fes'stellbaren Erfolg nicht suchen sollen: „wir sind nur Widerhall für das Zeugnis, das die Wahrheit sich in allen Seelen selber zu geben sucht“. Die „Wirksamkeit des Zeugnisses" hängt nicht von uns ab, alles kommt darauf an, daß wir ein reines Zeugnis ablegen und leben, daß die Christen es an jeder nur irgend erreichbaren Stelle vertreten; daß das „große Werk der Inkarnation des christlichen Geistes in der Gesellschaft“ sich endlich vollziehe, des unvermischten Geistes, der keine Zugeständnisse macht an die Klugheit der Welt, sich von ihr nicht bestimmen läßt, sich vielmehr essentiell von ihr unterscheide.

Im Pragmatismus, in der Verfälschung des Religiösen durch falschen Messianismus, im Abfall des Geistigen, das heißt in der Ablenkung der übernatürlichen Macht „auf ein Ziel irdischer Herrschaft“ sieht Dumery die drei Versuchungen, deren letzte bei weitem die gefährlichste ist, weil sie die Botschaft selbst „aufsaugt“. Zu ihr hin steigern sich die Gefahren, angefangen von der Überschätzung des Geldes und philantropischer oder cari- tativer Bestrebungen, über zu hitzigem Bekehrungseifer, die Überbewertung statistisch erfaßter Ergebnisse, die Last der Verwaltungsarbeit der Geistlichen, die Vernachlässigung der Erziehung der Erwachsenen, und veiter über Propaganda- und Schweigetechnik und konfessionelle Politik bis zum Kampf um die Schule, den Dumery von der Familie, nicht von der Konfession her geführt wissen will. Mit Recht weist Domkapitular Doktor Karl Rudolf im Vorwort darauf hin, daß in “-ankreich gemachte Erfahrungen nicht ohne \bwandlungen in andere Länder übertragen werden dürfen. Zur Diskussion aber steht unabweislich Dumerys Forderung nach Differenzierung des religiösen vom geschichtlichen Bereich, nach der „Freigabe des Zeitlichen“. Die Kirche hat die Aufgabe, „die Gewissen zu leiten und zu befreien". Erst dadurch wird sie „wirklich zum Salz der ganzen Erde“. Das bedeutet für den Klerus nicht den Rückzug in die Sakristeien, nachdem er „die Kämpfe auf dem Markte aufgegeben hat , im Gegenteil, nun erst wird die Aktion ihn einfordern ; der Geistliche soll überall dort sein, wo ein für die Sache Christi streitender Christ — oder ein Gegner Christi — seiner bedarf.

Das Buch darf sich auf die Worte Leos XIII. berufen: .Die Kirche fürchtet die Wahrheit nicht. Es ist eine sehr ernste christliche Gewissenserforschung, wie an das Apostolat wendet es sich an den Klerus; im Grunde geht es um die unserer Zeit antwortende, ihr gerecht werdende Gestalt des Christentums. Dumery weiß wohl, daß die Lösung nur dem Ganzen gelingen kann; daß es sinnlos ist, sich zu übereilen, um das .unendliche Problem der Heiligung der Welt“ aus eigenem Vermögen zu lösen. Aber die Berechtigung des Anstoßes, den er gibt, ist schon erwiesen; nicht der Verlust der Wirksamkeit, sondern der Verlust der Reinheit ist zu fürchten, wie Dumery abschließend sagt. Er zeigt damit unwider- sprechlich ins Künftige: dorthin, wo wir allein die Verheißung erwarten dürfen.

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