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Aussichten des Arzneimittelmarktes

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Österreich war, wie fast alle Kleinstaaten Europas, in den letzten Jahrzehnten auf die Einfuhr von Heilmitteln angewiesen. Nicht nur Rohstoffe, die aus klimatischen oder geologischen Gründen bei uns nicht vorhanden waren, wurden eingeführt, sondern auch Fertigpräparate und Erzeugnisse der pharmazeutisch-chemischen Industrie verschiedener Länder, vor allem Deutschlands, die dann in unseren Apotheken weiter verarbeitet wurden. Ebenso bezog auch unsere eigene pharmazeutische Industrie Halbfertigfabrikate, um sie zu Endprodukten aufzuarbeiten. Die Schließung von I.-G.-Farbenfabriken hat somit auf die Zukunft unseres gesamten Heilmittelwesens einen entscheidenden Einfluß. Wir haben zwar eine eigene Industrie, aber sie ist noch nicht leistungsfähig genug, um den Gesamtbedarf auch nur annähernd zu decken Außerdem wurden, wie erwähnt, bei uns nur ganz wenige Arzneimittel synthetisiert. Lediglich Organpräparate wurden, mit Ausnahme von Insulin, von einer Wiener Fabrik in genügender Menge erzeugt.

An Rohstoffen haben wir im Inland hauptsächlich die verschiedenen Kräuter, soweit sie in unserem Klima gedeihen, zur Verfügung. Es kann auch in Zukunft die systematische Anpflanzung von Drogen im Großen wieder ausgebaut werden und uns, zum Beispiel in den wichtigsten Herzmitteln, exportfähig machen.

Die Petroleu mderivate, öle, Vaselin und Paraffine der verschiedensten Sorten, die wir einführen müssen, sind auf dem Weltmarkt in bester Qualität aus Amerika wieder erhältlich, und zwar zu wesentlich niedrigeren Preisen als während der letzten Jahre aus Rumänien. So kostete rumänisches Vaselin in der Schweiz bis zu sFr. 7.50, während heute amerikanische Ware um sFr. 1.20 ab Philadelphia geliefert wird. Dabei handelt es sich bei dem amerikanischen Vaselin um bestes, weißes, langfädiges Material, während da rumänische meist noch Petroleumgeruch anhaften hatte und so für viele Zwecke der pharmazeutischen Industrie nicht geeignet war. Ungefähr das Gleiche gilt von Lanolin, Wollfett, einer Salbengrundlage, die zwar nicht so häufig wie Vaselin verwendet wird, aber doch von ebenso großer Bedeutung ist, da es ihm gegenüber den Vorteil der Lipoid-löslichkeit hat. (Dies bedeutet, daß es von der Haut aufgenommen wird.) Überdies bindet es Wasser. In diese Salbengrundlage können also nicht wie bei Vaselin nur ölige oder pulverförmige Substanzen verarbeitet werden, sondern auch wässerige Lösungen.

Die ätherischen öle und ähnliche Erzeugnisse kamen vor dem Krieg hauptsächlich aus dem Fernen Osten, kleine Mengen auch aus Frankreich und Bulgarien. Weltberühmt war unter anderem das Menthol der Yao-Peppermint Co. in Schanghai. Durch die Blockade entstand ein Monopol der deutschsynthetischen Präparate, da die deutsche Industrie den Neutralen gegenüber reichlich ausnützte. Doch niemals konnte die Qualität der Naturprodukte erreicht werden. Wie lange es noch dauern wird, bis Ostasien wieder Produkte liefern kann, läßt sich heute noch nicht absehen. Spanien beliefert nach wie vor den Weltmarkt mit Weinstein, Zitronensäure, Quecksilber, Wolfram und Mangan. Stockungen in diesen Artikeln sind nur durch Transport- und Zahlungsschwierigkeiten bedingt Auch italienischer Schwefel ist wieder zu haben.

Eine höchst wichtige und in den Apotheken nahezu nicht mehr erhältliche Heilmittelart sind die A 1 k a 1 o i d e, im wesentlichen eine große Gruppe sehr stark wirkender Inhaltsstoffe meist tropischer Pflanzen, zu denen unter anderer das Coffein, das Theobrom in und das Morphin zählen. Es ist ebenfalls • ei* Folge der Transport- und Zahlungsschwierigkeiten, wenn auch diese Produkte heute fehlen.

Alles in allem betrachtet erscheint der Mangel an Rohstoffen, der die Arbeit der pharmazeutisch-chemischen Industrie lahmlegte, auf dem Weltmarkt überwunden und auch die Arzneimittelversorgung Österreichs wird in dem Augenblick in Ordnung kommen, in dem wir mit der übrigen Welt wieder in wirtschaftlicher Verbindung stehen. Unsere eigene Industrie kann dann — zumindest durch das Aufarbeiten von Halbfabrikaten — ihren Anteil an unserer Versorgung leisten. Daneben

werden wir freilich noch vieles, vor allem Chemotherapeutika, einführen müssen. Als Lieferanten kommen da in erster Linie Amerika, Frankreich, England und vor allem die Schweiz in Betracht, die ihre Exportaussichten selbst als sehr gut bewertet und — symptomatisch für das Ende der Rohstoffengpässe und Zwangswirtschaft — das halbstaatliche schweizerische Chemiesyndikat auflöst, durch das die ganze einschlägige Einfuhr gelaufen ist.

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