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Eines Tages hört die Erzählerin aus der Nebenwohnung leise Stimmen. Bruchstücke sind zu hören wie: "… Knast … lieber, als in die Fänge der Finanz ..." Dann geht's um Liegenschaften überall in der Welt, wo es gut und teuer ist, um märchenhafte Renditen, und alles in genau dem lässigen Ton, den man von TV-Krimis kennt. Doch das observierte Paar ist nur einträchtig ins Spiel vertieft: DKT - Das kaufmännische Talent. Die Geschichte ist von Barbara Neuwirth und enthält eine selbstironische Volte auf das Verhältnis von Literatur und der Welt des Big Business, das sich meist durch eine gewisse Distanz auszeichnet.

Aktuell kommt selbst Heinrich Breloer, dessen Kostümfilmversion von Thomas Manns "Buddenbrooks" soeben in die Kinos kam, nicht um das Thema herum, das er allerdings kaum ins Filmbild rückte: "Es sind Betrüger unterwegs wie der Bräutigam von Tony Buddenbrook, das Geschäft wird dadurch vergiftet." Doch es ging und geht eben nicht um einzelne Betrüger, sondern um die Tatsache, dass das "normale" Geschäftsgebaren einen Schritt in Richtung legalen Graubereichs macht, und das zeigt Thomas Mann ohne Beschönigung. Das eigentliche Problem ist das Systemische, und genau das versuchen die Verursacher der Krise wegzureden.

Es kracht im Gebälk

Deshalb lautet der Merksatz, der heute von Politikern wie Wirtschaftsfachleuten verkündet wird: Die Krise ist keine so schlimme, wenn wir sie nicht herbeireden. "Ich habe gesagt, es kracht im Gebälk; ich habe gesagt, Sie sollten ruhig auf den Plätzen bleiben, damit das Gebäude nicht einstürzt", schrieb Peter Handke schon 1967 in seiner "Begrüßung des Aufsichtsrats" über krisengerechtes Verhalten der betroffenen Verlierer. Eingefordert wird nicht nur Stillschweigen, sondern auch Vertrauen, doch: "Wenn das Finanzkapital und seine Institutionen Milliarden in den Sand setzen", so Peter Weibel, "ist es kriminell zu fordern, die Kunden sollten wieder Vertrauen gewinnen."

Schlimmer als über die Krise zur reden, ist aktuell nur der Vergleich mit dem letzten globalen Kollaps des Finanzsystems in der Zwischenkriegszeit. In der Literatur jener Zeit kann man tatsächlich einiges über unsere Gegenwart lesen. Hermann Broch etwa beschreibt detailliert den Fall eines Luftgeschäftes, der - wie die Pyramidengeschäfte à la Madoff - nur in Zeiten massiver Deregulierung möglich wird. Brochs Hugenau kommt als Deserteur kurz vor Kriegsende 1918 nach Kurtrier, ohne Pläne und ohne Geld. Die Geschäftsidee ist rasch zur Hand. Er redet den Honoratioren des Ortes ein, im Namen eines Industriekonzerns die Übernahme der regionalen Zeitung zu betreiben, und fordert erfolgreich ihre finanzielle Beteiligung. Hugenau agiert ohne jeden Hintergrund, aber wie das "Finanzprodukt" dem Börsianer ist Hugenau seine noch abstrakte Geschäfts-Konstruktion greifbare Realität. Er setzt auf Zeit und gewinnt, denn er hat das nötige Rüstzeug dafür: Skrupellosigkeit, gute Nerven und Überzeugungskraft. Keiner vor Ort kommt auf die Idee, dass Hugenaus Verbindung mit dem Industriekonsortium frei erfunden sein könnte.

Halbkriminelle Geschäfte

In Raoul Auernheimers "Wenderoman" - hier ist die von 1918 gemeint - "Die linke und die rechte Hand" (1926) wird ein Bankenskandal durchgespielt. Die Zutaten der Bankgründung sind optimal: Ein smarter Generaldirektor, ein funktionierendes Netzwerk und repräsentative Räumlichkeiten. Selbst der konservative General Winkler von Edeltreu will sogleich eine "größere Einlage" leisten und sie persönlich vorbeibringen. Doch das ist ein Missverständnis, schließlich sind des Generals patriotische Kriegsanleihen nur mehr "Nonvaleurs", die Bad Assets von damals. Nötig sind nur prominente Namen zur Bedeckung der suboptimalen bis halbkriminellen Geschäftsgänge. Der Direktor verpfändet die ihm anvertrauten Aktienpakete weiter und verwendet die Erlöse teils für sich, teils für zweifelhafte Geschäfte, "an denen die gefügigen Vorstandsmitglieder nach Maßgabe ihrer Gefügigkeit beteiligt" werden. So knapp lassen sich gewissermaßen viele Aktenordner eines Bankenprozesses zusammenfassen.

Was die Bad Assets von heute betrifft, hatte Gert Jonke schon 1999 die Nase vorne. In seinem Dramolett "Muttersprache - Mutterschweigen" engagiert ein Manager einen "Krisenzerstörer zur Verschimmelung einer kleinen Krise im geschäftlichen Fabriksbetrieb". Von den aktuellen "giftigen Wertpapieren" in der Höhe von vielen Milliarden Euro konnte Jonke nicht wissen, den Kern des Problems aber hat er getroffen.

Einblick in die Motivations- und Charakterstruktur der Täter im grauen Anzug erhält man mitunter weniger auf den Wirtschaftsseiten als in der Literatur. Der monologisierende Börsenguru in Marlene Streeruwitz' Roman "Kreuzungen" (2008) ist ein Quereinsteiger von ganz unten, und da, wie der Volksmund weiß, die erste Million immer ergaunert ist, liegen die Anfänge seines Reichtums deutlich jenseits des Graubereichs der Halblegalität. "Ungeheure Risiken am Anfang. ... Die Nächte. Wenn die 30 Millionen entweder da waren. Oder die Verhaftung." Doch mit der Zeit fasst er Tritt, geblieben ist seine "Forbeslistenscheu". Ab einer bestimmten Vermögensklasse gilt es stets abzuwägen zwischen der Gefahr, das Interesse der Finanz auf sich zu lenken, und dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung inklusive automatischer Vorschussbonität.

Zinseszins als Religion

Auch Martin Walser wählte wiederholt Anlagenspezialisten zur Hauptfigur. Dem Finanzberater Karl von Kahn in seinem Roman "Angstblüte" (2006) liegt die Tendenz zu Veruntreuung eher fern, seine Fähigkeiten allerdings erscheinen nicht im besten Licht. Er wird bei einem Aktien-Deal ordentlich übers Ohr gehauen und scheint eher ein Hymniker der Kunst des Geldvermehrens, denn ein Praktiker. "Der Zins ist die Vergeistigung des Geldes. Wenn der Zins dann wieder verzinst wird, wenn also der Zinseszins erlebt wird, steigert sich die Vergeistigung ins Musikgemäße. ... Wenn wir den Zinseszins-Zins erleben, erleben wir Religion." Mit seinem Credo, Geld "produziert Wert", ist er andererseits philosophisch nahe am Pyramidenspiel. Dass sein Aktienpaket "das tägliche Börsen-Auf-und-Ab mittanzt", wirkt heute allerdings ebenso obsolet wie sein Glaubenssatz "Der Markt ist von selbst das, was die Veranstaltungen der Politik und der Kunst sich zu sein bemühen: die Verbesserungskraft." "Spekulieren hieß einmal, die Dinge als sie selbst erkennen; jetzt heißt es: zocken", so Burkhard Spinnen in seinem "Phrasenführer durch die Wirtschaftssprache".

Mitunter ist Literatur auch am Puls des Wirtschaftslebens, wenn sie scheinbar gar nicht davon handelt. Wohl an die zwanzig Jahre wurde der deutschsprachigen Literatur vorgeworfen, sie kenne nur mehr Verliererfiguren, oft intellektuelle Freiberufler, die in ihre Karrieren nicht wirklich "hineingefunden" haben oder wie die Kulturmanagerin Selma in Marlene Streeruwitz' "Entfernung" (2006) an der Schwelle zum Alter unsanft wieder aus ihnen herausgefallen sind. Genau damit war die Literatur der politischen Debatte um "prekäre Arbeitsverhältnisse" voraus. Die betreffen ja häufig eigentlich gut, aber irgendwie falsch ausgebildete Menschen. Wilhelm Genazino erfand in seinem Roman "Regenschirm für diesen Tag" (2001) das Berufsfeld des Schuhtesters, und der Erzähler in "Die Liebesblödigkeit" (2005) reist als Vortragender in Sachen Apokalypse; andere Figuren versuchen sich als Ekelreferenten, Panikberater oder Empörtenbeauftragte. Das sind die Nischen, die sich die gescheiterten Reste einer aufbruchsstarken Akademikergeneration an der Grenze zum Alter schaffen müssen - dank des wegbrechenden Sozialsystems und der Ideologie des Outsourcings. Ein Jugendfreund des Apokalypse-Spezialisten ist als Studienabbrecher von Hegel zur Humanitas abgesunken - heute sind sie wieder gleich auf, nur dass der Versicherungsangestellte ruhig seine Pension abwarten kann.

Prekäre Arbeitskräfte

Eine originelle Volte auf die prekären Ich-AGs schuf Hanno Millesi mit seiner Literaturbetriebssatire "Der Nachzügler" (2008): Der junge Autor verdient hier sein Geld als freiberuflicher Privatdetektiv: Er schnüffelt "Zielpersonen" hinterher, die dem Personalmanagement irgendwie missliebig geworden sind. Es gilt, Auffälligkeiten im Privatleben zu entdecken, Alkoholkonsum etwa, erotische Neigungen oder vorgetäuschte Krankenstände. Hier beißt sich die Arbeitswelt-Katze gewissermaßen in den Schwanz: Wer eigentlich schon draußen ist, also prekär, bespitzelt die, die noch drinnen sind, auf dass sie kündbar werden und dann den Pool prekärer Arbeitskräfte vermehren.

"Ich hab den Kunden Produkte verkauft, die hat es nie gegeben", tönt der dubiose Ex-Broker in Paul Divjaks Roman "Kinsky" (2007), der damit einige Millionen Dollar "erwirtschaftet" und auf Schwarzkonten parkt. Kinsky mag ein etwas unsicherer Zeuge sein, doch was er über seine Zeit als Fondsmanager während des New Economy Hypes erzählt, klingt heute, wo die Spitzen der Betrugs-Eisberge sichtbar werden, durchaus plausibel. So schnell können sich Rezeptionshorizonte ändern.

Evelyne Polt-Heinzl, Literaturwissenschafterin und Literaturkritikerin. Publikationen zur Literatur um 1900 und der Nachkriegszeit, Frauenliteratur, Lesekultur und Buchmarkt sowie kulturwissenschaftliche Motivuntersuchungen. Soeben erschien die Anthologie "Abenteuer Bibliothek. Ein Ort des Wissens und der Fantasie", eine "Hommage an das Buch und die Österreichische Nationalbibliothek". Ihr Buch "Einstürzende Finanzwelten. Wirtschaftskrisen literarisch" erscheint im Herbst 2009 im Sonderzahl-Verlag.

Der Nachzügler

Von Hanno Millesi

Luftschacht 2008

203 S., geb., e 19,50

Kinsky

Roman von Paul Divjak

Czernin 2007

127 S., geb., e 19,80

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