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Die Durchführung des Marshall-Planes

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Vor einem Jahr ist Staatssekretär Marshall zum erstenmal in einer Rede mit jenem Plan vor die Öffentlichkeit getreten, dessen Grundidee, die Hilfe Amerikas zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas, seither wie keine andere bewegend in die Gestaltung des Kontinents einzugreifen begonnen hat. Das Konzept des Planes war so großzügig angelegt, daß viele annahmen — und manche hätten es gewünscht —, daß es lange Zeit dauern würde, ehe das Vorbaben verwirklicht werden könnte. Die Tatsachen korrigieren diesen Pessimismus.

Die Exekutive und die Legislative der amerikanischen Regierung haben in einem Jahr angespannter und erfolgreicher Tätigkeit für den Marshall-Plan die realen Unterlagen geschaffen. Das Gesetz zur Errichtung der „ECA” (Economic Cooperation Administration) ist in Kraft getreten und der Präsident der Vereinigten Staaten hat bereits einen erfolgreichen Industriellen, der schon in der Kriegswirtschaft eine bedeutend Rolle gespielt hat, zum Leiter (Administrator) der neuen Behörde für wirtschaftliche Zusammenarbeit bestellt. Der neue Mann konnte in den letzten Monaten in rastloser Arbeit, unterstützt durch seine Stellung als Kabinettsmitglied, einen Stab aufstellen, der ein wirksames Instrument für die wirtschaftlichen Detailaufgaben, die das Gesetz vorsieht, zu werden verspricht. Eine wichtige Rolle im Aufbau der ECA-Organisation, deren enge Zusammenarbeit mit dem State Departement das Gesetz anstrebt, nimmt Mr. Harri- m a n ein. Er wird als Sonderbeauftragter der Administration die Interessen der ECA gegenüber der europäischen OEEC (Organisation for European Economic Cooperation) in Paris wahrnehmen. In vielen schwierigen Fragen, vor allem jenen der Finanzierung, werden die europäischen Staaten untereinander Einigkeit erzielen müssen, um ihre Wünsche und Programme erfolgreich in Washington vertreten zu können.

Bei aller Bereitwilligkeit zur Hilfe sind begreiflicherweise die maßgebenden Stellen der USA darauf bedacht, die Rückwirkung der Lieferungen des Marsball-Planes auf den amerikanischen Markt zu beobachten und zu verhindern, daß etwa sämtliche europäischen Bedarfsträger ihre Bestellungen in Mangelartikeln auf einmal auf den Markt werfen, eine Massermachfrage, die zu einer Störung des schon angespannten Preisgefüges in den USA führen würde. Die amerikanischen Fachleute stellen daher den Teilnehmerstaaten keine Globalbeträge zur Verfügung, mit denen sie beliebig disponieren können, sondern der Bedarf des Staates wird für jede Gütergruppe in Einzelverhandlungen untersucht; die Verwendung der zur Verfügung gestellten Beträge wird auf die genehmigten Gütergruppen beschränkt. Schwierigkeiten bei der Beschaffung zeigen sich jetzt noch auf dem amerikanischen Markt vor allem bei B1 e- chen, Metallen und Stahl. Zufolge der amerikanischen Absicht, verschiedene Produktionsgüter erzeugende Industrien (Elektrifizierung, Stahlerzeugung, Maschinenindustrie) zu erneuern und zu erweitern, sind die den Europäern im Rahmen des Hilfsprogramms zur Verfügung gestellten Beträge auf diesen Sektoren nidit so groß, als ursprünglich erwartet wurde; es wird noch Aufgabe der in Paris versammelten Fachleute der sechzehn Staaten sein, die zur Verfügung stehenden amerikanischen Exporte dem Investitionssektor jener Länder zuzu führen, die die Produktion rationell und rentabel gestalten können.

Die bisherige großzügige Hilfe der USA wurde in Form von Lebenmitteln und Kohle geleistet, um die notwendigste Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus sehen derzeit die österreichischen Stellen auch die lebenswichtige Aufgabe vor sich, den industriellen Wiederaufbau zu fördern und die Produktivität Österreichs so zu steigern, daß Österreich nach Aussetzen der Amerikahilfe durch Exporte von Industriegütern seinen Rohstoff- und Lebensmittelbedarf, der aus dem Ausland eingeführt werden muß, zu bezahlen in der Lage ist. Bei der Programmerstellung der Importe, die mit ECA-Geldern durchgeführt werden, unterstützen die amerikanischen Fachleute die Österreicher in diesem Bestreben. Es ist anzunehmen, daß man die erreichbaren Beträge nach Sicherung des notwendigen Leben s mi t te 1 b e d a r fs der Nichtselbstversorger in Höhe von etwa 2100 Kalorien pro Tag für den Import von industriellen und landwirtschaftlichen Rohstoffen und für Investitionen verwenden kann.

Die industriellen Rohstoffe, deren Import zum erstenmal durch die Finanzierung des ersten ECA-Quartals ermöglicht wird (Bleche, Metalle, Baumwolle usw.), werden als grant (Geschenk) gegeben. Der Administrator ist berechtigt, bei der Erstellung aller Programme festzusetzen, welcher Teil der zur Verfügung gestellten Beträge als Geschenk (grant) und welcher als Anleihe (loan) gegeben wird. Auch in Österreich wird man sich darauf einzustellen haben, daß auf dem Sektor der Investitionen ein Teil der Hilfe in Form von Anleihen zur Verfügung gestellt wird. Doch besteht für den Rohstoffsektor, dessen Fertigprodukte der Versorgung des Inlandes zugeführt werden sollen, Hoffnung, daß d i e Beträge für die Einfuhr von Düngemitteln, Metallen und Textilrohstoffen auch in den nächsten Quartalen nicht rückzahlbar sind.

Das in den USA in Kraft getretene Gesetz über Verwendung der ECA-Beträge sieht vor, daß die inländischen Verbraucher die mittels dieser Beträge eingeführten Güter in Inlandswährung zu bezahlen haben. Diese auf Inlandswährung lautenden Gelder sollen auf einem eigenen Konto erlegt werden, über dessen Verwendung dieamerikani- sche Regierung im Einvernehmen mit der Regierung des Schuldnerlandes verfügen wird. Ober die voraussichtliche Verwendung dieser Beträge kann noch nichts Endgültiges gesagt werden; es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, diese zur Stärkung der währungstechnischen Lage des Landes zu verwenden (Rückzahlung einer Bundesschuld an die Staatsbank). Man hofft, daß Teile der Beträge zur Finanzierung auf dem Investitionssektor verwendet werden können, für welche die entsprechenden Summen auf dem eigenen Kapitalmarkt derzeit nicht aufgebracht werden können. Jeder Ausbau eines Elektrifizierungsobjekts kostet neben dem Betrag für Maschinen und Einrichtungen, die aus dem Inlande beschafft werden und deren Import durch ECA-Kredithilfe theoretisch möglich ist, auch erhebliche Beträge an Schillingen (Inlandswährung), um Arbeiter, Baustoffe, HilfsmaterialKen und Dienstleistungen zu bezahlen.

Es wird Aufgabe der berufenen Stellen sein, rechtzeitig zu untersuchen, weldie Vorschläge die österreichische Regierung im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse im Hinblick auf diese Überlegungen an die US- Adresse zu machen haben wird. Eine Fülle von schwierigen volkswirtschaftlichen Fragen wird bei der Programmerstellung und Durchführung der ECA-Hilfe aufgerollt. Jedes teilnehmende Land ist daran interessiert, eine Organisation zu schaffen, die diese Aufgaben meistern kann. Die Bedeutung der Hilfe liegt nicht allein in den Gütern, die eingeführt werden sollen, sondern ebenso in der dabei notwendigen Zusammen- arbeitdereuropäischenStaaten, um die zur Verfügung stehenden Mittel am zweckmäßigsten zu verwenden. Dafür werden die Staaten auch Konzessionen im Raume der heute recht problematisch gewordenen wirtschaftlichen Souveränität hinnehmen müssen.

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