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Digital In Arbeit

Für Gewerkschaften mit mehr Kampfgeist

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DIkFiirchK: Welchen Zweck verfolgt der Warnstreik der Finanzbeamten? Siegfried Dohr: Lassen Sie mich etwas ausholen. Ich habe gerade einem Journalisten erzählt, daß die Kollegen in der Finanzverwaltung sagen, wir hätten heute eine Schattenwirtschaft von etwa 200 Milliarden Schilling, somit einen Steuerausfall von rund 60 Milliarden. Außerdem gibt es einen „Vorsteuer-Schwindel” (nicht ausgestellte Rechnungen oder vorgetäuschte Exporte), der 90 Milliarden an Steuerausfall erzeugt. Der Finanzminister wurde übrigens von Brüssel aufgefordert, mehr gegen Betrügereien auf dem Geld- und Steuersektor zu unternehmen. Die Kollegen sehen die Gefahr eines dritten Sparpaketes, wenn dagegen nichts getan wird. Daher ist es wichtig, der Finanz entsprechende Arbeitsbedingungen einzuräumen, ausreichendes Personal zur Verfügung zu stellen und nicht wie geplant durch Kürzung von Bezügen zu demotivieren. Ich denke an die Halbierung der Belastungsbelohnung.

DlKptlUCHE: Sie sprechen von mehr Personal, dabei sollen im Finanzbereich Einsparungen stattfinden DOHR: Ja, 726 Planstellen.

DlK.Fl roif; Wie kommt man gerade auf diese ZahP ,

DOHR: Sie entsteht dadurch, daß es durch Aufnahmestopp unbesetzte Planstellen gibt. Außerdem werden Planstellen durch Pensionierungen frei.

OIEFURGIK: Man geht also nicht so vor, daß man von den zu erfüllenden Aufgaben ausgeht und nach der Zahl der erforderlichen Personen fragt3 DOHR: Nein. Da war nicht Arthur D. Little, noch sonst jemand am Werk.

DIFJllROIK Sollte Ihrer Meinung nach überhaupt die Zahl der Beamten reduziert werden3 Und wo? Pol IR: Man unterstellt uns stets, wir wollten mehr Beamte. Das stimmt nicht. Wir verlangen vom Dienstgeber eine Aufgabenkritik. Er soll prüfen, welche Aufgaben der öffentliche Dienst heute wahrnehmen muß, welche er abstoßen kann. Danach sollte sich die Zahl der Beamten richten. Ein Beispiel ist die Verlagerung hin zu mehr qualifizierter Tätigkeit bei der Exekutive: Bekämpfung der organisierten, der Wirtschafts- und Computerkriminalität, aufwendiger Grenzschutz. Zum Objektschutz hingegen braucht man keine hochqualifizierten Exekutivbeamten. Das können private Unternehmen wahrnehmen.

DIeFuröIE: Gibt es Ansätze zu einer solchen Klärung der Aufgaben3 Pol IR: Man findet unseren Vorschlag vernünftig, hat in dieser Hinsicht aber noch nicht viel gemacht. Erste Ansätze gibt es bei der Exekutive. Aber es wäre anderswo auch wichtig. Etwa bei Post und Telecom. Hier wird in Österreich der Weg Englands beschritten: totale Privatisierung. Was aber ist in England geschehen? Der Staat übernahm auf diesem Sektor neue, nämlich Kontrollaufgaben. Und zwar wesentlich intensivere als früher. Es gab also einerseits Ausgliederung und Privatisierung, andererseits entstanden aber neue Aufgaben, für die man öffentlich Bedienstete braucht. Wenn Vizekanzler Wolfgang Schüssel vom schlanken Staat spricht, so muß man sehen, daß auch dieser wesentliche steuernde und kontrollierende Aufgaben hat. Wenn der Bundeskanzler von intelligentem Wandel im öffentlichen Dienst spricht, so sind wir dazu bereit. Wir mauern da nicht ab. Im Gegenteil: Manche Bereiche haben Vorbildfunktion: Unsere Justiz ist für andere iJLnder beispielgebend bei der EDV-Modernisierung.

DIKFliRQIft: yo kein Widerstand gegen eine Verwaltungsreform? Dohr: Ich möchte von einer Verwaltungsentwicklung sprechen. Wir müssen uns zu anderen Qualitäten entwickeln, intelligenten Wandel betreiben und dabei sicher auch abspecken. Die Arbeit geht uns nicht aus. Sie wird qualifizierter sein. Eine intelligente Verbesserung gab es im Bereich der Eich- und Vermessungsämter. Die Personalvertretung hat ein Konzept „Vermessungsamt des Jahres 2000” vorgeschlagen: weniger Personal, mehr technische Ausstattung. Damit verlagert man Kosten vom Personal- zum Sachaufwand. Die Öffentlichkeit scheint das zu beruhigen. Aber: Wo man die Technik forciert, gehen Arbeitsplätze verloren.

DlEFliROlK Gibt es besonders betroffene Bereiche?

DOHR: Ja. Der Aufnahmestopp hat zur deutlichen Erhöhung der Akademiker-Arbeitslosigkeit beigetragen. Nach einer Berechnung des Arbeitsmarktservice sind in den letzten Jahren zwischen 50 und 70 Prozent der fertigen Akademiker im Staatsdienst gelandet. Seit dem Aufnahmestopp gibt es da Arbeitslosigkeit.

I MKFt IRCIIE; Kommen wir auf das Thema Pragmatisierung zu sprechen- Ist sie heute noch sinnvolP Pol IR: Sie ist ein Vorteil für Dienstnehmer und Dienstgeber. Dem ersteren gibt er eine gewisse Sicherheit. Er weiß: In der Behörde - innerhalb dieser kann es ja einen Wechsel geben - habe ich einen sicheren Arbeitsplatz. Damit ist der Beamte gegen Druck von oben gesichert. Aber für mich als Gewerkschafter ist es ein Anliegen, dem Menschen Sicherheit' zu geben. Unkündbarkeit gibt es in anderen Kulturen sogar in der Privatwirtschaft. Auch bei der KU gibt es pragmatisierte Beamte. Sie werden sogar rascher pragmatisiert als bei uns.

IMkRirchE: Wai bringt die Pragmatisierung aber dem Dienstgeber? DOHR: Er hat unabhängig von Konjunkturzyklen einen Stand von Bediensteten, den er für die Verrichtung wichtiger Aufgaben benötigt.

DIkFiirchE: Bekommt er die heute nicht sowieso?

Pol ir: Momentan, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist. In der Hochkonjunktur lachte man die öffentlich Bediensteten aus: Du gehst zum Staat, bei dem Gehalt? Beamte verdienen eben weniger... m$umW:Auch heute noch3 Dpi ir: Nehmen sie einen C-Bediensteten nach 17 Dienstjahren bei der Finanz. Er verdient 15.000 Schilling netto. Bei einem Steuerberater bekäme er viel mehr. dikFukchr Sie haben eine Studie vorgestellt, in der sie die C-, D- und E-Beamten mit ASVG-Versicherten verglichen haben, um zu zeigen, daß der Staat mit der Pragmatisierung günstiger fährt Würde das bei den A- und B-Beamten, also den bestbezahlten, auch gelten? DOHR: Ja. Nur ist die Differenz nicht so groß. Eine Untersuchung der Firma „Synthesis” hat dies belegt. Der Dienstgeber erspart sich vor allem etwas bei den Lohnnebenkosten, rund 20 Prozent. Jedenfalls läßt sich zeigen, daß über den Lebensbogen (Frauen bis zum 79., Männer bis zum 75. Lebensjahr) der Finanzminister bei Pragmatisierten besser abschneidet.

\wFimaiKEine OECD-Studie stelltfest, Österreich habe im internationalen V?r-gleich zu viele Beamte ... Dpi ir: Diese Studie sagt, in Osterreich kämen auf 100 Beschäftigte 22 Beamte, im OECD-Durchschnitt hingegen nur 15. Wie kommt es dazu? Der öffentliche Sektor wurde in Österreich anders gewertet als in anderen Ländern. Bei uns sind die Kammern, die Sozialversicherungen und alle staatliche Einrichtungen bis hin zu den Staatsbanken mitgezählt worden. Die Zahlen sind unvergleichbar.

DlEPtlRCHE: Arbeitslosigkeit und Globalisierung drängen die Gewerkschaften in die Defensive. Bleibt nur die Beamtengewerkschaft als starker Arm, weil Amter nicht auswandern können? dphr: Sagen Sie das nicht. Auch öffentliche Aufgaben können ausgegliedert werden, etwa nach Brüssel. Aber: Generell sind die Gewerkschaften heute aufgerufen, sich mehr an ihre Aufgabe zu besinnen, nämlich zu kämpfen. i )IEFt IKCHE: Die Arbeitseber erklären im Zeitalter des mobilen Kapitals aber, sie würden eben anderswo erzeugen ... Do) ir: Sicher gibt es diese Möglichkeit. Aber ich gebe zu bedenken, was Henry Ford gesagt hat: Autos brauchen keine Autos. Ich möchte das Abwandeln: Computer kaufen keine Computer. Es geht eben auch um die Sicherung von Kaufkraft. Und da müssen wir an die Massenkaufkraft denken.

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