6654157-1959_19_15.jpg
Digital In Arbeit

Grenzland

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Tatsachen waren es vor allem, welche die Handelskammer Steiermark bereits vor Jahren veranlaßten, den speziellen wirtschaftlichen Problemen des steirischen Grenzlandes erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden und zunächst im eigenen Wirkungskreis zu versuchen, tatkräftige Hilfsmaßnahmen in die Wege zu leiten:

1. Die Umsatzsteuerquote beträgt in den Bezirken des steirischen Grenzlandes pro Kopf der Bevölkerung etwa 320 S jährlich (Radkersburg und Mureck je 314 S, Bezirk Deutschlandsberg 327 S, Finanzamtsbezirk Leibnitz 312 S und Finanzamtsbezirk Feldbach 338 S). Der gesamtsteirische. Durchschnitt der Umsatzsteuerquote pro Kopf der Bevölkerung beläuft sich demgegenüber auf 657 S. Aehnlich liegen die Dinge bei der Kopfquote der Einkommens- und Lohnsteuer, welche in den Grenzbezirken bloß rund 120 S erreicht, gegenüber einem gesamtsteirischen Durchschnitt von 461 S.

2. Ein weiteres Licht auf die wirtschaftliche Lage des steirischen Grenzlandes wirft die Tatsache, daß in diesem der Jahresdurchschnitt der Arbeitslosigkeit rund 10 Prozent, im gesamtsteirischen Durchschnitt jedoch bloß etwa

4 Prozent beträgt. Die besonders bedauerliche Folge dieser hohen Arbeitslosigkeitsquote besteht vor allem in einer systematischen Abwanderung von Arbeitskräften und, dadurch bedingt, in einem rapiden Rückgang jeder wirtschaftlichen Tätigkeit in den Grenzbezirken.

Damit, daß man als sozusagen historische Ursache für diese wirtschaftlichen Zustände die durch den Vertrag von St. Germain im Jahre 1919 diktierte Grenzziehung anführt, trifft man zwar bis zu einem gewissen Grad den Kernpunkt des Problemkomplexes, kommt seiner Lösung jedoch um keinen Schritt näher, da diese die wirtschaftlichen und ethnischen Realitäten mit voller Absicht übergehende Grenzziehung als Faktum anerkannt werden muß. Demgemäß hat gerade die Handelskammer Steiermark auch nie bei Reminiszenzen verweilt, sondern immer wieder getrachtet, durch praktische Maßnahmen einzugreifen, um einer Entwicklung Einhalt zu gebieten, die — und dies sei mit besonderem Nachdruck betont — nicht nur ein steirisches, sondern viel mehr noch ein österreichisches Problem darstellt.

Erfreulicherweise beginnt sich die Erkenntnis, die gesamte Problematik des steirischen, aber ebenso auch des übrigen österreichischen Grenzlandes müßte eigentlich eine Herzensangelegenheit ganz Oesterreichs sein, in zunehmendem Maße durchzusetzen, nachdem sich die lange Zeit gehegte Annahme, Oesterreichs Grenzen verliefen etwa am Rieder Berg oder bei der Spinnerin am Kreuz, schließlich doch als haltlos erwies. Dieser Erkenntnis war es nicht zuletzt zu verdanken, daß eine seit langem immer wieder ventilierte Forderung der Handelskammer Steiermark, dem steirischen Grenzgebiet durch entsprechende steuerliche Erleichterungen eine Art Bundeshilfe zukommen zu lassen, geneigte Ohren fand und erfüllt wurde. Zwei weitere Forderungen, zu deren Wortführer sich gleichfalls die Handelskammer Steiermark berufen fühlte, betrafen aufbauende und wirtschaftsfördernde Maßnahmen deren Erfüllung allerdings bis nun noch aussteht.

Unter aufbauenden Maßnahmen verstehen wir jede Art von Förderung, die dem steirischen Grenzland mit der Absicht zuteil wird, das betreffende Gebiet in jeder Hinsicht, selbstverständlich vor allem wirtschaftlich, zu erschließen. Solche Maßnahmen müssen mit den wirtschaftsfördernden Maßnahmen Hand in Hand gehen, um ein Maximum an Effekt zu erzielen. In erster Linie gilt es, der eingesessenen Bevölkerung praktische Möglichkeiten zu geben, sich in den, angestammten wirtschaftlichen Bereichen zu betätigen; in zweiter Linie ginge es darum, diese Tätigkeit auszuweiten und dem Entwicklungsrhythmus der gesamten Steiermark sowie, noch weiter gehend, ganz Oesterreichs anzupassen. Bei allen diesen Wünschen und Forderungen handelt es sich in keiner Weise darum, dem Grenzland und der Bevölkerung irgendwelche Geschenke zu machen oder gar bescheidene Almosen zu geben, sondern ausschließlich um eine Art Initialzündung bezüglich der eigenen, individuellen Arbeit, und im weiteren darum, bestimmte Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß diese individuelle Arbeit sich in einem äußeren Rahmen vollziehen und steigern kann, der etwa jenem Rahmen entspricht, welcher für das „Binnenland” ungefähr verbindlich ist.

Konkret gesprochen: es gilt, der gewerblichen Wirtschaft des steirischen Grenzlandes billige Kredite zu verschaffen, möge dies durch Zinszuschüsse oder auf andere Art geschehen, damit die Betriebe möglichst rasch dem gesamtösterreichischen Niveau angepaßt werden können. Sobald sich auf Grund dieser finanziellen Injektion Betriebserweiterungen und Produktionssteigerungen ergeben, wird sich die heute alarmierend wirkende Arbeitslosenzahl automatisch senken und die Abwanderung ebenfalls abnehmen. Als besonders dringliches Anliegen muß im weiteren der Wunsch nach dem Ausbau der Verkehrswege angeführt werden, denn Straßen- und Wegebauten absorbieren einen nennenswerten Teil der frei verfügbaren Arbeitskräfte, bringen Geld ins Rollen und dienen überdies dem Fremdenverkehr, der sich angesichts der ansonsten ausgezeichneten landschaftlichen Voraussetzungen unter solchen Umständen rasch zum Segen des gesamten Gebietes entfalten könnte. Aehnliche Gedankengänge haben die Handelskammer Steiermark auch veranlaßt, sich zum Dolmetscher jener Wünsche des Grenzlandes zu machen, die auf die Errichtung sonstiger Bauten hinzielen; hier ist vor allem an die Errichtung öffentlicher Gebäude gedacht sowie an das besonders dringende Anliegen der gesamten steirischen Wirtschaft, in Radkersburg eine kaufmännische Berufsschule mit ganzjährigem Turnusunterricht zu schaffen. Erfahrungsgemäß geht von der Verwirklichung derartiger Vorhaben ein starker Impuls für jede weitere wirtschaftliche Tätigkeit aus, so daß sich die Investitionen dieser Art auf jeden Fall rasch bezahlt machen würden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung