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Sonne, Mond und Mathematik

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Der Kalender, die Zeitordnung des Menschen.

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Der Kalender, die Zeitordnung des Menschen.

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Wir spüren, wie die Zeit in uns und um uns vergeht, aber wir können nicht sagen, was Zeit ist. Darüber sinniert die Marschallin im ersten Akt Rosenkavalier. Wir können die Zeit jedoch messen, in Stunden des täglichen Lebens, in den Jahrhunderten der Geschichte, in den Nanosekunden der Computertechnik. Der Kalender muß der Himmlischen Ordnung angepaßt sein, und weil Himmelskörper nicht zur Ganzzahligkeit verpflichtet sind, bedarf es der Annäherung, und diese kann sehr verwirrend erscheinen. Wer sich aber dem Kalender mit ein wenig Studium widmet, wird eine Menge Klarheit finden. Und auch Willkürlichkeit und Tradition, diese gehören nun einmal dazu.

Die natürliche Einheit der Zeit ist der Tag - für den Kalender wie für die Naturwissenschaft, denn die dort verwendete Sekunde ist vom Tag abgeleitet (durch die Unterteilung in 24 Stunden zu 60 Minuten zu 60 Sekunden). Die Feinregulierung durch die atomare Sekundendefinition liefert enorme Genauigkeit, macht sich im täglichen Leben aber nur durch eine Schaltsekunde pro Jahr bemerkbar.

Der Übergang vom Tag auf die Zeitordnung wird durch die Woche dargestellt und zugleich symbolisiert. Die Woche mag vom Mond abgeleitet sein, sie bedeutet aber eine Loslösung von der astronomischen Wirklichkeit. Statt der 7,38264 ...Tage des Viertels einer Mondperiode (die in der Kalenderkunde Luxation genannt wird) stellt die Woche einen Block von sieben lagen dar, und jeder Tag des Blockes hat einen Namen.

Das Wesen des Kalenders ist die geordnete, mitunter numerierte Liste von Namen. Die Blockordnung setzt sich stets vom astronomischen Detail ab. Die Datumsordnung darf nicht mit einer Zeitskala verwechselt werden (obwohl sie das streckenweise ist) und die Blockbildung ist die Voraussetzung für die Verläßlichkeit. Niemand weiß, wann der erste Donnerstag war, aber es ist absolut sicher, daß dem Donnerstag ein Freitag folgt.

Der Name für den Tag, das Datum, setzt sich aus Monatstag, Monat und Jahr zusammen. Man kann die Namen stets durch Nummern ersetzen und die Nummern durch Namen. Wenn man mit den Nummern rechnet, ist Vorsicht am Platz und Kenntnis des Kalenders erforderlich.

Unsere Zeitordnung ist von zwei Himmelskörpern abgeleitet, von der Sonne und vom Mond. Eigentlich ist es die Erde, die das Jahr mit den Jahreszeiten hervorbringt, durch ihre Rotation um die Sonne, wie sie den Tag hervorbringt durch ihre Rotation um ihre Achse. Die Rotation hat keine Glockenschläge, die den Tag einleiten würden oder das Jahr. Solche Punkte muß ihnen die Zeitordnung willkürlich aufsetzen. Wohl aber hat der Mond einen „Glockenschlag”, nämlich das Neulicht, die erste Sichel nach Abnahme und Neumond. Daher haben wahrscheinlich alle Kalender als Mondkalender angefangen. Das älteste Verfahren war, daß zwei vertrauenswürdige Zeugen die Beobachtung des Neulichts meldeten und die Behörde daraufhin den ersten lag des neuen Monats ausrief. Kalender kommt von griechisch kalein, das heißt ausrufen. War der Mond von Wolken verdeckt, so wurde der Tag nach dem 30. zum ersten Tag bestimmt. Eine ordentliche Administration versuchte selbstverständlich, das Zufällige in dieser Vorgangsweise zu eliminieren, an diesem und an einem zweiten Vorgang, der den Gleichlauf mit den Jahreszeiten sicherstellte.

Es war der Frühlingsvollmond, der gefeiert wurde, wahrscheinlich schon lange vor Babylon, der aber manchmal früher und manchmal später war, denn zwölf Lunationen haben elf Tage weniger als das Sonnenjahr. Also prüften die Priester den Stand der Gerste, die für das Opfer bestimmt war. Schien sie ihnen allzu unreif, riefen sie einen Schaltmonat aus. Dieses Kalenderjahr hatte dann 13 Monate, die Zeitordnung aber blieb damit auf lange Sicht im Gleichlauf mit dem Jahr der Jahreszeiten.

Schon die Babylonier kannten den Wert für die mittlere Länge der Mondperiode mit den gleichen fünf Dezimalen, die auch heute gelten ihrem Sechziger-System schrieben sie ihn 29;31,50,8,20 (das wäre genau 29,530594 ...). Die Juden brachten die Kalendersystematik 637 v. Chr. aus der Babylonischen Gefangenschaft mit; sie legten den gleichen Wert als 291T'age, 12 Stunden und 793 Chalakim (das sind 1/1080 der Stunde) aus. Dieser Wert ist auch die Berechnungsgrundlage für den heutigen Jüdischen Kalender, und seine Abweichung gegen den ganz genauen Wert macht in 5.000 Jahren nur sechs bis acht Stunden aus. Mit einiger Erfahrung kam man darauf, daß 19 Jahre recht genau 235 Lunationen entsprechen, so daß man auf das Ausrufen verzichten und die Schaltmonate für eine 19-Jahr-Periode, bei den Griechen Metonische Periode genannt, festlegen konnte.

Mit der Sonne war alles weit schwieriger, und bis zur Gregorianischen Reform konnten die Astronomen keinen fünfstelligen Wert präsentieren, an den alle geglaubt hätten. Heute lauten die beiden Werte 365,24220 Tage für das Jahr und

29,53059 Tage für die Lunation. Beide Werte sind nicht wirklich konstant, aber für 10.000 Jahre Kalender darf man sie als fest betrachten. Man hat nun drei Möglichkeiten, den Kalender einzurichten: nach dem Mond allein (das tut der Islamische Kalender), nach der Sonne allein (das tat der Römische Kalender) oder man wählt einen Lunisolar-Kalender, der den Gleichlauf sowohl mit Sonne als auch mit dem Mond anstrebt (das war der Babylonische und der Jüdische Kalender).

Der Islamische Kalender setzt den ersten seiner zwölf Monate stets auf das Neulicht des Mondes fest. Daher wandern das Jahr und seine Monate durch die Jahreszeiten. „Man kann zu allen Jahreszeiten fasten”, soll der Prophet dazu bemerkt haben. Das Islamische Jahr hat 354 oder 355 Tage und ist somit kürzer als das Sonnenjahr; ein 67jähriger Moslem ist nach unserem Kalender erst 65 Jahre alt. Der Islamische Kalender setzt in 30 Jahren elf Schalttage an und erreicht damit einen Gleichlauf mit dem Mond, der erst nach 2.500 Jahren um einen lag abweicht. Julius Cäsar ordnete den Römischen Kalender im Jahre 45 v. Chr. als reinen Sonnenkalender auf 365,25 Tage (ganzzahlig heißt das drei Jahre mit 365 Tagen und dann ein viertes mit 366 Tagen). Diese Ordnung gilt auch heute noch, mit Ausnahmen lediglich an den Jahrhundert-Enden. Diese Genauigkeit reichte für das Altertum. Aber in den 1.500 Jahren, die dieser Kalender in Geltung war, eilte er zehn, ja fast zwölf Tage vor. Schließlich wurde eine Reform unumgänglich.

Der Römische Kalender (auch Julianischer Kalender genannt) wurde zum Christlichen Kalender. Die beiden Hochfeste der Inkarnation und der Geburt Christi wurden auf die Quartalstage des Julianischen Kalenders gelegt, auf den 25. März und den 25. Dezember. Die anderen beiden Quartalstage wurden Johannes dem Täufer gewidmet, Inkarnation am 24. September und Geburt am 25. Juni.

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