Auf der Suche nach dem Genie in jedem

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In der Volksschule Pfeilgasse in Wien wird Begabungsförderung großgeschrieben. Jedes Kind hat ein Recht auf Förderung, so das Konzept der öffentlichen Schule.

Es wäre schlimm, wenn ein Kind die Volksschule verlassen würde und wir hätten nicht erkannt, welche Stärken es hat, die gefördert werden müssen". Dieser Gedanke wurde für Andrea Rieß, Direktorin der Volksschule Pfeilgasse im achten Wiener Gemeindebezirk, zur Leitlinie ihrer Schule. Im vergangenen Jahr wurde die Einrichtung als eine von vier öffentlichen Wiener Schulen mit dem "Begabungssiegel des Stadtschulrates" ausgezeichnet.

Dass jedes Kind Begabungen hat, auch wenn sie manchmal nicht so leicht zu finden sind, steht für Rieß außer Frage. Sowohl schwächere Kinder als auch Hochbegabte würden ihr entsprechendes individuelles Förderprogramm erhalten, erklärt Rieß im FURCHE-Gespräch: Die Schule würde aufgrund ihres Schwerpunktes vermehrt auch hochbegabte Kinder anziehen. Diese hätten etwa die Möglichkeit, in jenen Fächern, in denen sie besonders stark sind, in höheren Klassen unterrichtet zu werden, aber zugleich in ihrem Klassenverband zu bleiben. Zudem gibt es sogenannte Ateliers, in denen Kinder von verschiedenen Altersgruppen projekt-orientiert arbeiten. Kinder können dabei ihre eigene Forschungsfrage formulieren und dann dem Entdeckungstrieb nachgehen. Zudem gibt es zusätzlich zum normalen Unterricht ein Kurssystem. Die Kinder können wie auf der Uni in bestimmte Kurse, die sie interessieren, inskribieren. "Wir bieten den Kindern so viele unterschiedliche Projekte an, damit wir ihre Begabungen finden", sagt die VS-Direktorin.

Lehrpersonal gebe es freilich immer zu wenig, meint die Reformpädagogin, bei der Umsetzung des Begabungsschwerpunktes seien der Schule jedoch von den Behörden keine Hindernisse in den Weg gelegt worden. "Unser Lehrplan lässt uns sehr viele Freiheiten. Alles, was man gut begründen kann, kann man auch umsetzen", so Rieß.

Die Schule führt auch zwei Mehrstufenklassen, wo Kinder mehrerer Jahrgänge gemeinsam unterricht werden. Für Rieß hat dieses Modell "enorme Vorteile, da Kleinere von den Größeren auf natürliche Weise lernen; vieles geht ganz von selber." Dennoch: Dass dieses Modell zum Regelfall wird, glaubt sie nicht. Es sei aufwändiger, Pädagogen bräuchten eine spezielle Ausbildung.

Beim Begriff "Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache" stelle es ihr die Haare auf, klagt Rieß. Das benenne sogleich ein Defizit und übersehe die Chancen. Sie spricht lieber von "anderer Erstsprache". Betreffende Kinder würden mit zusätzlichen Förderstunden geschult, wie in Wien in allen öffentlichen Schulen üblich. Doch auch wenn die Sprachförderung im Kindergarten intensiviert würde, ganz würde man die Sprachprobleme nicht in den Griff bekommen, so Rieß. Es gebe einen geringen Anteil von Kindern, die erst mit der Schulreife nach Österreich geholt würden, die zuvor bei Verwandten im Herkunftsland der Familie lebten. Hier müsste man betreffende Eltern noch besser informieren.

Dass zunehmend Erziehungsaufgaben auf Lehrer und Lehrerinnen übertragen würden, kann Andrea Rieß mit ihrer 30-jährigen Berufserfahrung bestätigen. Wie aber könnten Lehrer dafür Zeit aufbringen? "Das ist eine Gratwanderung. Es gibt weniger Frontalunterricht, sondern sehr viel eigenständiges Lernen, dadurch gewinnt man auch Zeit, die man für das Lernen sozialer Kompetenzen nützen kann."

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