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Digital In Arbeit

Der Abdreh-Dienst

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Die Gründung und Entwicklung neuer Unternehmen ist bekanntlich eines und vermutlich das wichtigste Anliegen unseres neuen Bundeskanzlers. Denn es gilt ja, die heimischen Ressourcen im offenen Markt der Globalisierung kräftiger auszuspielen und „Made in Austria” zu Glanz und Ansehen in der Welt zu bringen. Clevere junge Leute sollen ihre wertvollen Jahre nicht mehr in brotlosen Studien verbummeln, sondern beizeiten Marktlücken entdecken, in die hineinzustoßen sich lohnt.

Beispielsweise erlebt die aus der Tradition der Wach- und Schließgesellschaften entwickelte Aufstellung von sogenannten Park-Sheriff-Trup-pen derzeit eine arbeitsplatzschaffende Konjunktur. Die Kompetenzen dieser modernen Bürgergarden lassen Erweiterungen erwarten. Die Beschäftigung von arbeitslosen Jugendlichen, deren Aggressionen in vernünftige Bahnen gelenkt werden, ist ebenso wie die Beschaffung von Teilzeit-Arbeit für Frauen ein erwünschter Nebeneffekt.

Für eine Spezialeinheit dieser Truppe ergibt sich neuerdings ein wichtiges Arbeitsfeld. Meinungsforscher haben festgestellt, daß die überaus spannenden Spätabendprogamme der heimischen und hierorts zu empfangenden Fernsehkanäle viele Menschen mit einer Schädigung des Nervensystems derart lähmen, daß sie nicht mehr imstande sind, den Apparat abzudrehen. Es kommt dadurch nicht nur zu schweren familiären Konflikten, sondern auch zu gesundheitlichen Zerrüttungen. Die Schlaf-Defizite führen zu einem Nachlassen beruflicher Leistungen und in der Folge zu Schädigungen des Sozialprodukts. Die Appelle der Konsumentenschützer an die Gerätehersteller, die Fernsehapparate mit größeren, rot leuchtenden Abdrehschaltern „Off oder mit automatischen Zeitschaltuhren auszustatten, fanden bei den vorwiegend ausländischen und kapitalistisch mit der Energiewirtschaft verbündeten Unternehmen kein Gehör. Die Ausschaltknöpfe sind nach wie vor unscheinbar und

leicht zu übersehen.

In der letzten Zeit mehrten sich Fälle, in denen Polizei und Gendarmerie dringend in Häuser und Wohnungen gerufen wurden, um den Fernsehapparat abzudrehen. Es kam dabei oft zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, bei denen vom Gummiknüppel und sogar der Androhung von Waffengewalt Gebrauch gemacht werden mußte. Das Innenministerium hat nunmehr verfügt, daß es nicht Aufgabe der nachtdiensthabenden Exekutive sein kann, sich mit Fernsehapparat-Abschaltungen zu beschäftigen.

In der Folge griffen verzweifelte Eheleute und Mitbewohner zur radikalen Selbsthilfe und schnitten einfach das Stromkabel zum Apparat durch. Etliche Kurzschlüsse, Stromausfälle und sogar Todesfälle durch Stromschlag waren zu beklagen. Um die Notwendigkeiten in vernünftige Bahnen zu lenken, wurde beschlossen, die Wach- und Schließgesellschaften mit den Abschalt-Einsätzen zu betrauen. Diese zeigen sich jedoch mit der Häufigkeit solcher Einsätze und den damit verbundenen Gefahren überfordert. Ganz abgesehen von den Kosten, welche die Fernsehgebühren überschrit-

ten. Dies ist der Augenblick für die neue Unternehmensgründung. Zwei junge Computerwissenschafter, die in der Wirtschaft keine Verwendung fin den konnten, und ein freigestellter Manager aus der Textilindustrie gründeten die Abschaltdienst G.m.b.H. und rekrutierten aus frustrierten Park-She-riffs eine Elite-Truppe für Fernseh-Abschaltdienste. Der Einsatz ist im Abonnement zu buchen und daher preiswert. Die Leute vom Abschalt-Dienst sind auf diskretes und rücksichtsvolles Vorgehen geschult. Sie beherrschen die englische Sprache, damit sie „on” und „off” unterscheiden können und sind auch sonst semiotisch auf die verschiedenen Schaltzeichen trainiert. Der Erfolg des neuen Unternehmens ist durchschlagend. Der Ab-schalt-Dienst beschäftigt nach drei Monaten bereits 200 Schalt-Inspekto-ren, die über eine Leitzentrale die Abonnenten erreichen. Manchmal müssen die über den Programmen entschlafenen Fernsehteilnehmer zwar geweckt werden, aber sonst hat sich der Abschalt-Dienst bestens bewährt.

Über einen Kombi Tarif mit den ORF-Gebühren wird derzeit verhandelt.

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