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Keine Dampfplauderei

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Bevor die Alpbacher Hochschulwochen im August dieses Jahres ihr 25jähriges Jubiläum begehen, wird das romantische Tiroler Dorf Schauplatz eines Experiments sein, das in gewisser Hinsicht einmalig ist und dessen Ausgang man mit Spannung erwarten darf: Vom 20. Juli bis zum 3. August tagt dort zum ersten Male ein Seminar für fünfzig Mittelschüler der siebenten und achten Klassen aus allen Bundesländern Österreichs. Man möchte in kleinen Gruppen über Probleme der österreichischen Zeitgeschichte, über Politik, Demokratie und Rechtsstaat sowie über die österreichische Wirtschaft diskutieren, man will ausgeschlossenen Mittelschülern nicht parteipolitisch garnierte staatsbürgerliche Bildung auftischen, sondern sie zu einem bewußten und reflektierten politischen Engagement auffordern und anregen. Ein „Problarnbewußtsein“ soll geweckt werden und den jungen Leuten soll außerhalb des schulischen Zwangsbetriebes mehr geboten werden als trockener Lernstoff. Dieser Versuch allein würde schon Beachtung verdienen, noch interessanter wird das Jugendseminar 69 allerdings, wenn man nach seinen Veranstaltern fragt: Nicht das Unterrichtsministerium, nicht eine Schulbehörde, nicht Bundeskaimmer oder Gewerkschaftsbund, nicht ein paralinker oder pararechter Verband tritt als Organisator auf, sondern eine Arbeitsgruppe für Zeitgeschichte, Politik und Wirtschaft, die bis vor

wenigen Monaten niemand gekannt hat.

Dahinter stecken zehn Studenten der Universität Wien, vornehmlich Juristen, aber auch Historiker und Naturwissenschaftler, von denen keiner älter als 21 Jahre ist. Ralph Grossmann, der Chef dieser Gruppe, die auch den politischen Auffassungen nach ein recht buntes Bild bietet, hat eine ganz einfache Erklärung für das Phänomen seiner unabhängigen Arbeitsgruppe: „Wir haben es in der Schule immer als Mangel empfunden, daß in allen drei Gebieten, die in Alpbach auf dem Programm stehen, praktisch nichts ge-

boten wird: Daß die Zeitgeschichte zu kurz kommt, wurde oft beklagt, und 'daß ein Student, der zum ersten Male die Hochschule betritt, keine Ahnung davon hat, wie unser Staat und seine Wirtschaft funktionieren, sollte den Leuten eigentlich auch schon aufgefallen sein.“ Das Jugendseminar 69 soll nach dem erklärten Willen seiner Veranstalter zeigen, daß es sehr wohl möglich und dringend notwendig wäre, auf diesen Gebieten Billdungsarbeit zu leisten. Und daß dieses Anliegen zu Recht besteht, scheinen zumindest die Subventionen zu zeigen, die die Arbeitsgruppe erhalten hat.

Auch Mittelschulreform

Um das Jugendseminar 69 aber nicht zu einem Tohuwabohu studentischer Dampfplauderei werden zu lassen, haben die Veranstalter für jeden der drei Abschnitte einen prominenten Vortragenden gefunden: Prof. Gerald Stourzh, Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Wien, betreut den Abschnitt Zeitgeschichte, Dozent Dr. Andreas Khoi vom Europarat leitet den demökratisch-poiitischen Teil, und als Coach des Wirtschaftsabschnittes wurde Professor Horst Knapp, Ohefredakteur der „Finanznachrichten'', gewonnen. Obwohl nicht eigentlich auf dem Programm, wird die Schuldiskussion — schon wegen der Anwesenheit von

50 Mittelschülern, die alle freiwillig und nicht als Delegierte das Jugendseminar 69 besuchen — zweifelsohne einen permanenten Tagesordnungspunkt bilden. Wieweit dabei aus der Kritik konkrete Reformvorschläge erwachsen können, wollen die Veranstalter selbst noch nicht abschätzen. Das Jugendseminar 69 ist in allen seinen Teilen Experiment, ein Versuch, über dessen Ausgang sich keinerlei Aussagen treffen lassen. „Es wird zwar keine Mondlandung“, meint Arbeitsgruppenchei Grossmann, „aber der Ausgang des Alpbacher Experiments ist mindestens ebenso ungewiß wie die Landung der drei Astronauten.“

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