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Wider die Spirale des Schweigens

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Die 1947 in Schlagtow (Mecklenburg) geborene Karin Struck kämpft seit Jahren gegen Lebenslügen der Gesellschaft.

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Die 1947 in Schlagtow (Mecklenburg) geborene Karin Struck kämpft seit Jahren gegen Lebenslügen der Gesellschaft.

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Es gibt Zeiten, in denen der Autor in den Elfenbeinturm steigt und Zeiten, in denen er in die Arena geht, sagte Camus einmal. Sei es der Elfenbeinturm oder die Handkesche „Nie-mandsbucht” - zeitgenössische junge Schriftsteller sind kaum in der politischen oder gesellschaftlichen Arena zu finden, wie auf der Frankfurter Buchmesse festgestellt wurde. Dennoch existiert — nicht erst seit der Dreyfus-Affäre, da erstmals in der Geschichte Schriftsteller geschlossen gegen ein Unrecht auftraten - der Anspruch an Autoren, an Intellektuelle im allgemeinen, sich mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen, oder wie es Bernard-Henri Levy formulierte, „als Vermittler zwischen dem Gerechten, dem Wahren, dem Guten und der Cite zu fungieren”.

Eine Schriftstellerin unserer Tage, die sich diesem Anspruch stellt, ist Karin Struck. Karin, der man den Beinamen „die Zornige” geben könnte, wenn man ihre Bücher liest oder sie sprechen hört. Karin die Zornige also wagt es seit zwanzig Jahren, sich schreibend zu empören. Als Linke „von Geburt an” empörte sie sich über alles und jedes: die Gesellschaft und ihre Klassen (ihr erster Roman „Klassenliebe” erschien 1973), die Fortschrittsgläubigkeit, die VertecHnisierung natürlicher Vorgänge, das Ignorieren von Gefühlen und subjektiven Wahrnehmungen, den Geschlechterkampf und vieles mehr.

Anfang der neunziger Jahre sammelten sich die literarischen Energien Karin Strucks in einem Brennpunkt: dem Thema Abtreibung. Dabei entpuppte sich Struck insofern als „ Klassen-Verräterin”, als sie - die sich heute noch als „zu 80 Prozent Grün” bezeichnet - zwar wei-terhin ihrem Milieu, dem linken Milieu, treu blieb, aber in diesem Punkt laut für alle unüberhörbar „Nein” sagte. Abtreibung ist „nicht Ausdruck sexueller Großzügigkeit und Freizügigkeit; sie ist ein Geständnis heimlicher Scham”. „Unter dem Deckmantel der Fortschrittlichkeit - denn Abtreibung gilt ja als ,alte Forderung der Arbeiterbewegung' - prügelt man einfach auf den Leib ein. Auf den Leib einprügeln nennt man Freiheitsdrang .

So schrieb sie in ihrem Roman „Rlaubarts Schatten” (1991), „einem Schlüsselroman über die deutsche Abtreibungsgesellschaft”, dessen Stoff sie zum einen aus dem Mär-chen von König Blaubart, zum anderen aus der Erfahrung ihrer eigenen Abtreibung bezog. Konkreter Anstoß zum Roman war auch die deutsche Wiedervereinigung und die Debatte um die Übernahme der Fristenlösung aus der ehemaligen DDR.

Ein Jahr später entstand das Werk „Ich sehe mein Kind im Traum”, das die Autorin selber als das „Sachbuch” zum Roman bezeichnet. Darin zieht sie den Schluß, „daß eine Gesellschaft sich selbst aufgibt, wenn sie bereit ist, Gesetze aufzugeben, die Tötung ,Tötung' nennen”.

Im Benennen, im Sprechen, im Sensibilisieren für die Sprache sieht Karin Struck ihre Verantwortung als Schriftstellerin. Sie will auf die vielen Sprach-Lügen in der Abtreibungsdebatte aufmerksam machen.

Warum etwa, so fragt sie, verwenden Politiker, wenn sie vom ungeborenen Kind sprechen vorwiegend den Begriff „Schwangerschaft” und erst ab dem Zeitpunkt der Geburt den Ausdruck „Kind”? Dies sind „Sprachregelungen, die suggerieren, daß Abtreibung ein selbstverständlicher Akt sein kann oder sollte. Die Sprache wirkt sich bildend auf das menschliche Bewußtsein aus, ebenso wie das Gesetz.”

Durch ihr Sprechen möchte sie weiters gegen die „Schweigespirale” ankämpfen, nach der diejenigen, die sich in Widerspruch mit der öffentlichen Meinung befinden, in Schweigen verfallen. Dadurch entsteht der Eindruck, die der Mehrheitsmeinung entgegenstehende Meinung werde nur von einer verschwindend kleinen Minderheit vertreten, was zur Folge hat, daß diese Minderheit noch weniger bereit ist, sich zu äußern. Karin Struck bezeichnet es als ihre Aufgabe, diese sprachlose Minderheit wieder zum Sprechen zu bewegen. Schließlich versucht sie herauszufinden, „was das für eine Lobby ist, die Abtreibungsgegner in der Bevölkerung ausgrenzt, für verrückt, neurotisch, böse oder gar für rechtsradikal und faschistisch erklärt”. Dabei verschont sie auch ihre Kollegen nicht:

Sie sieht deren Schweigen als „genauso schwerwiegend an wie Schriftsteller zum Beispiel zu den Menschenrechtsverletzungen in der DDR geschwiegen haben - weil es nicht opportun war. Martin Walser hat sich lange Zeit vor der deutschen Einigung sehr unbeliebt gemacht, weil er die deutsche Einheit eingemahnt hat; man diffamierte ihn als CSU-Mann und als Rechtsradikalen. Ähnlich geht es heute Schriftstellern, die es wagen, gegen die Abtreibung ganz offen zu sprechen.”

Karin Struck weiß, wovon sie spricht. Daß ihr Engagement nicht opportun ist, spürt sie nicht nur an den rapide geschrumpften Auflage-zahlen. Auch die großen Medien Deutschlands ächten sie, und von ihren Schriftstellerkollegen fühlt sie so gut wie keine Unterstützung. Dennoch hält Struck ihr jetziges Engagement für qualitativ „sinnvoller', gerade weil das Anliegen von keiner wirklichen Lobby getragen wird. Allerdings klagt sie auch darüber, daß sie in den letzten Jahren ausschließlich als die „Abtreibungsgegnerin” etikettiert wurde, was ihrer Existenz als Schriftstellerin und ihren bisherigen Werken nicht gerecht wird.

Das Engagement von Karin Struck ist insofern bemerkenswert, als es - trotz ihrer leidenschaftlichen Art - zur Entideologisierung der Abtreibungsdebatte beiträgt. Es erinnert in seiner ungenierten Mißachtung von „linken” und „rechten” Grenzen ein wenig an den Einsatz des mit den Anarchisten sympathisierenden Bernard Lazare für den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus, dessen Werte Familie, Heimat und Armee waren. Ausschlaggebendes Motiv war neben dem gemeinsamen jüdischen Glauben das Anprangern des Rechtsmißbrauchs der Justiz. Ebenso wie er damals will Karin Struck heute das Unrecht als Unrecht benennen. Der Undank ist ihr gewiß.

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