6790158-1970_33_04.jpg
Digital In Arbeit

„Kein Kochrezept für Kulturpolitik“

Werbung
Werbung
Werbung

Improvisation und Gewurstl nennen Österreichs Kulturschaffende das, was von den anderen hierzulande Kulturpolitik genannt wird. Zwar wird viel von einer kulturellen Krise gesprochen, in die das einstmals kreative Alpen- und Donauvolk geschlittert ist, doch nennen die Kulturschaffenden diese Dinge selbst beim Namen, dann munkelt man in der Bevölkerung bald von „Kultur-raunzerei“.

Nun, vielleicht ist das schon ein erster Punkt für eine kulturelle Krise in Österreich: Die Vorurteile und die Distanz zwischen dem Kulturträger und dem Konsumierenden. Es handelt sich dabei um ein strukturelles Problem, das gelöst werden muß, will man der „Kulturkrise“ überhaupt zu Leibe rücken.

Die Kulturschaffenden haben ihrerseits bereits eine Initiative entwickelt, die weit über den Rahmen des ständig wachsenden Festspielkalenders hinausreicht. Im Jänner 1971 wird das „österreichische Kulturgespräch“ wiederum in Linz zusammentreffen, nachdem heuer Graz der Tagungsort war. Doch werden die Proponenten dieses Gespräches kaum bis zu diesem Zeitpunkt die Ruhe bewahren, hat doch Bundeskanzler Dr. Kreisky in seiner Regierungserklärung von einer „initiativen Kunstpolitik“ der sozialistischen Minderheitsregierung gesprochen, von der bislang weder etwas zu hören noch zu sehen war. Kreisky umriß die Schwerpunkte seiner Kulturpolitik mit der Neuordnung der österreichischen Bundestheater, mit der Förderung zeitgenössischen Opern- und Theaterschaffens, mit der Überprüfung der Ausbildung des Künstlernachwuchses, mit der Verabschiedung eines Fiimförderungs-gesetzes und mit stärkerer Information der Öffentlichkeit über Österreichs Kunstleben mit einem jährlichen Kunstbericht.

Der „Improvisationspolitik“ haben die österreichischen Kulturschaffenden aber auch ein Konzept gegenüberzustellen, das drei wesentliche Punkte umfaßt: Stuktur-, Finanz-und Personalfragen. Strukturell wünschen die Kulturschaffenden eine größere Mobilität in der Führungsspitze des Kulturlebens. Darunter verstehen sie auch, daß vor allem profilierte Persönlichkeiten des kulturellen Lebens befristet in Schlüsselstellungen der Kulturbehörden des Bundes und der Länder berufen werden. Außerdem wird vorgeschlagen, daß noch in diesem Jahr eine Konferenz aller in Schlüsselpositionen tätigen Funktionäre des österreichischen Kulturlebens einberufen werden soll, an welcher, begonnen mit den Leitern der österreichischen Kulturinstitute im Ausland, über die Leiter von Sammlungen und Galerien, der Festspielorganisationen, der Bundes-, Länder- und Privattheater, der Konzert- und Kunstgesellschaften, der Publikumsorganisationen, der künstlerischen Berufsvereinigungen kompetente Persönlichkeiten bis zu den politischen Funktionären teilnehmen sollen. Ein „Leitungsausschuß“ soll Beratungsgremium sein, der Bund und Ländern in Fragen der Kulturpolitik zur Seite stehen würde.

Ferner soll dieser Leitungsausschuß, nach den Vorstellungen des „Österreichischen Kulturgespräches“ nach dem Beispiel der Musikalischen Jugend Österreichs analoge Publikuimsorganisationen für Literatur sowie die bildende und darstellende Kunst ins Leben rufen.

Auf dem Finanzsektor beklagen die Kulturschaffenden vor allem die derzeitige Subventionsvergabe, frei nach dem Motto „weniger wäre mehr“: denn bei dem „Gießkannensystem“, wie es jetzt bei den Subventionen üblich ist, wird zwar mehreren, dafür aber unzureichend geholfen. Auch für die Subventions-vergatoe soll ein ständiger Beirat von Experten den Politikern zur Seite stehen. Daneben wird aber auch die Erleichterung von Stiftungsgründungen, insbesondere durch Aufhebung der Schankungssteuer gefordert und die steuerliche Absetzbarkeit von Zuwendungen zur Förderung kultureller Belange angeregt. Ebenso sind die Kulturschaffenden der Meinung, daß sich das Ministerium für Unterricht und Kunst in die Beratungen über die Mehrwertsteuer mit dem Ziel der steuerlichen Entlastung der Kulturschaffenden einschalten soll.

Ein weiterer Vorschlag würde nichts kosten, wäre aber vielleicht doppelt wirksam: Die Zentralisierung der Kulturförderungsmittel des Bundes und der Länder in Kulturförderungsfonds auf Bundes- und Landesebene, wodurch die Möglichkeit von Schwerpunktbildungen und längerfristigen Kulturinvestitionen durchgesetzt werden könnte.

Ebenso wie in der Politik wird die Einführung einer Altersgrenze für Kulturfunktionäre eine harte —■ vor allem aber große — Gegnerschaft finden. Jedenfalls fordert das „österreichische Kulturgespräch“ an erster Stelle der Personalprobleme die Einführung einer gesetzlichen Altersgrenze für jene, die an den Schaltstellen des österreichischen Kulturlebens sitzen, obwohl sie in anderen Lebensbereichen schon lange pensioniert worden wären. In diesem Zusammenhang sprechen die Kulturschaffenden sogar schon von einer spürbar werdenden „Vergreisung“, der dadurch entgegengewirkt werden soll, daß eine Altersklausel das Ausscheiden aus dem Amt nach der Vollendung des 70. Lebensjahres vorsieht. Ferner wird angeregt, die freiwerdenden kulturpolitischen Schlüsselpositionen ausnahmslos mit Persönlichkeiten zu besetzen, die das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

Abgesehen davon, daß alle Schlüsselpositionen des Kulturlebens öffentlich ausgeschrieben werden sollen, sind die Kulturschaffenden der Meinung, daß für Kulturfunktionäre Auslandserfahrung Voraussetzung sein sollte und daß nicht zuletzt dafür gesorgt werden müsse, daß geeignete Persönlichkeiten aus dem kulturellen Beamtenapparat des Bundes und der Länder befristet, jedenfalls aber hauptberuflich im praktischen Kulturleben aktiv sein können.

Alles in allem sicherlich kein „Kochrezept für den kulturellen Aufstieg“, trotzdem aber sehr konkrete und durchführbare Vorstellungen für eine Kulturpolitik, die mehr als „Improvisation und Gewurstl“ sein soll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung