Der politische Gummimensch

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Halbtagslandeshauptmann Jörg Haider auf Tournee im In- und Ausland: Den Kärntner Bürgern und Apparatschiks fällt seine Abwesenheit kaum auf.

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Halbtagslandeshauptmann Jörg Haider auf Tournee im In- und Ausland: Den Kärntner Bürgern und Apparatschiks fällt seine Abwesenheit kaum auf.

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Am 5. Oktober 1999 flog der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider spätnachts wieder einmal von Wien heim nach Klagenfurt. Außer ihm saß im Flugzeug die Kärntner Delegation der österreichischen Kickbox-Nationalmannschaft, die mit einem Haufen Goldmedaillen im Gepäck auf dem Rückflug von Madrid war. Natürlich sagten die müden Kickboxer dem müden Landeshauptmann nichts, und er beachtete sie nicht weiter. Warum auch? Um Mitternacht am Klagenfurter Flughafen Annabichl gab es aber einen großen Empfang mit Transparenten, Fahnen, Photographen - nicht für den Landeshauptmann, für die Kickboxer. Haider reagierte schnell, umarmte plötzlich putzmunter die Goldmedaillengewinner, gratulierte ihnen herzlichst, sprach ins Mikrophon von richtungsweisenden Großleistungen für unser Land und strahlte und grinste in die Kameras und Photoapparate. Binnen fünf Minuten war Jörg Haider mit allen Schlachtenbummlern per du und verbrüdert und rundherum ein lässiger Typ. So ist das mit der Bürgernähe: Auf die Menschen zuzugehen ist vor allem eine Frage des richtigen Timings. Fairneßhalber soll aber gesagt sein, daß die Kickboxer jedes Jahr mit einem Haufen Goldmedaillen von einer Weltmeisterschaft zurückkommen, aus Birmingham, Orlando, Istanbul oder sonstwoher. Und noch nie war irgendein Politiker irgendeiner anderen Couleur im Empfangskomitee. Lässige Typen sind bei den Verliererparteien äußerst selten geworden. Die grantigen Apparatschiks sind für jede Art von Timing viel zu unbeweglich, und Bürgernähe führt ja nur zu Lungenentzündungen.

Jörg Haider ist öfter am Flughafen als jeder andere Politiker. Wochenlang tourt der Kärntner Landeshauptmann vor Europawahlen kreuz und quer durch Österreich, aber eben nicht als Kärntner Landeshauptmann; wochenlang tourt er vor Nationalratswahlen kreuz und quer durch Österreich, natürlich nicht als Kärntner Landeshauptmann. Und wie lang der Kärntner Landeshauptmann nun in Wien bei Koalitionsverhandlungen sein wird, läßt sich noch gar nicht abschätzen. Ich werde wohl nicht der einzige Kärntner sein, der Jörg Haider persönlich und live ihr Lebtag lang noch nicht ein einziges Mal gesehen hat. Den Kärntnern fallen die ständigen Absenzen gar nicht so auf, denn in den Medien ist ihr Landeshauptmann ja tagtäglich präsent. Aber wären die neuen Oppositionsparteien nicht so schlecht und schockgefroren, könnten sie die Absenzen schon einmal penibel und plakativ auflisten und fragen, ob das Landeshauptmanngehalt von knapp 200.000 Schilling Monat für Monat für einen Halbtagsjob, für eine geringfügige Beschäftigung tatsächlich gerechtfertigt ist, anstatt sich selbst in peinliche Stechuhraffären verwickeln zu lassen.

Und die Resultate des Halbtagsjobs vor Ort? Der berühmte Kinderscheck beispielsweise wird auch nach einem halben Jahr bloß in zwei Minigemeinden als Pilotprojekt ausbezahlt. Was bei diesem Pilotprojekt getestet werden soll, ist nicht ganz klar: Wahrscheinlich, ob die mittellosen Mütter schlau genug sind, ihr Geld zu beheben. Das ursprüngliche Wahlversprechen vom 7. März (5.700 Schilling für jedes Kind bis zum fünften Lebensjahr) wird mittlerweile nicht einmal als Versprechen aufrecht erhalten.

Dafür hat der Landeshauptmann als Kulturreferent zahllosen kleinen Kulturschaffenden, Kulturvereinen, Theatergruppen, Festivals und Initiativen Subventionen kurzerhand bis zum letzten Groschen gestrichen. Die sind mittlerweile pleite, ausgeräuchert und verschuldet, und sie - von denen sich viele noch vor Jahresfrist damit brüsteten, sich diesem Geist nicht zu beugen - werden sich hüten, öffentlich auch nur ein kritisches Wort über die Lippen kommen zu lassen. Es geht schließlich um die Subventionen fürs nächste Jahr und damit ums nackte Überleben. Etliche einheimische Intellektuelle ängstigen sich, daß klammheimlich Dossiers und Akte über sie angelegt werden, aus denen bei Gelegenheit jederzeit etwas aus dem Zusammenhang Gerissenes denunzierend und diffamierend gegen sie verwendet werden kann. Mein Akt, sagen sie mir, wir wohl schon besonders dick sein, und selbstverständlich wird er auch mit diesem Furche-Essay gespeist und aktualisiert werden. Die Altapparatschiks waren für solche Akte viel zu ignorant, und wen scheren solche Praktiken schon in unserer heranwachsenden Jeder-gegen-jeden-Gesellschaft?

Das aufgeregte Auslandsecho nach den Wahlen vom 3. Oktober nimmt der Kärntner Landeshauptmann nun wieder zum Anlaß, das Gesetz des Handelns (außerhalb Kärntens) an sich zu reißen und eine Beschwichtigungstournee zu absolvieren, die ihn nach Straßburg führt, nach Paris, Mailand und New York. In München erklärt der Kärntner Landeshauptmann den verdatterten Journalisten, daß die FPÖ im Grund ohnehin nichts anderes macht als die CSU, nennt aber praktisch im selben Atemzug als sein großes politisches Vorbild Bruno Kreisky und hat sich damit auch international als politischer Gummimensch des Jahres qualifiziert. Viele Vorwürfe, die nun aus dem Ausland kommen, halte ich tatsächlich für überzogen, und ich kann und will nicht glauben, daß Österreich ein Naziland ist: Der Antifaschist Glieder, der Antifaschist Vastic und der Antifaschist Herzog haben das unlängst eindrucksvoll und heldenhaft bewiesen! Und neun Zyprioten sind schließlich nicht irgendwer: Neun Zyprioten sind neun Zyprioten! Jetzt könnte sich der israelische Teamchef schon einmal für unsere glorreiche Widerstandsbewegung bedanken! Und ebenso wenig kann und will ich glauben, daß in Österreich Xenophobie grassiert. Vielmehr glaube ich, daß die überwältigende Mehrheit der Österreicher gar nicht weiß, was das ist: Xenophobie!

Kommt der Kärntner Landeshauptmann im Rahmen seiner Beschwichtigungstournee tatsächlich auch einmal nach Kärnten - wie an jenem denkwürdigen 5. Oktober -, dann um dem Israelischen Fernsehen vom Kärntner Landesstudio aus via Satellitenschaltung ein Interview zu geben. Und da fällt auf, daß der Kärntner Landeshauptmann eine relativ aggressive Art hat, das Ausland zu beruhigen. Besonders geschickt, weitblickend und diplomatisch ist es wohl nicht, anstatt sich zu erklären, Israel wegen seiner Nachbarschaftskonflikte zu attackieren und die vorbildliche Nachbarschaft und gemeinsame Olympiakandidatur von Kärnten und Slowenien zu nennen, zwei Tage später bei Kärntner Volksabstimmungsfeierlichkeiten aber Slowenien zu attackieren und mit unseligem Hickhack alte Gräben unnötig wieder aufzureißen. Nicht, daß man Probleme nicht beim Namen nennen sollte: Aber Problemlösungskompetenz stelle ich mir anders vor. Angriff ist die beste Verteidigung, heißt es. Nebenbei ist ein Angriff aber immer noch ein Angriff.

Wie auch immer: Die Frage, ob Haider ein Plebiszit abhalten und seine Landsleute fragen soll, ob es ihnen recht ist, wenn er auch das Wahlversprechen, daß er fünf Jahre Landeshauptmann in Kärnten bleibt, bricht (wobei seine Gattin pikanterweise angekündigt hat, mit Nein zu stimmen, weil sie gern gelegentlich mit Jörg frühstückt), die Frage, ob Wahlversprechen - wie Jörg Haider in seinem Vertrag mit Österreich seinerzeit angekündigt hat - vor Gericht einklagbar sein sollten, diese Fragen sind vermutlich hervorragend geeignet, bei einer Villacher Faschingssitzung erörtert zu werden. Die zentrale Frage aber, ob Jörg Haider nun nach Wien gehen oder in Kärnten bleiben soll, ist vorderhand rein akademisch: Er müßte ja zunächst einmal nach Kärnten kommen.

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