Die große Obsession namens Sicherheit

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Weihnachten ist eine alte, aber immer noch realistische Erzählung von einer ungesicherten Lebenssituation. Und eine Erfahrung, aus der man lernen kann.

Dass die beiden ohne ausreichende Mittel zu ihrer Reise aufgebrochen waren, sollte ihnen große Schwierigkeiten bereiten. Als sie abends Quartier suchten, aber kein Bargeld und auch keine Reservierung vorweisen konnten, wurde ihnen trotz fortgeschrittener Schwangerschaft der Frau kein Aufenthalt gewährt. Der ungesicherte Aufbruch konnte jedoch im Nachhinein als Vorzeichen gelesen werden, später, als man wusste, was aus dem Kind geworden war, das außerhalb sicherer Mauern, ohne gesicherte medizinische Vorsorge für den Notfall und ohne Unterstützung durch Ärzte oder Hebammen, ja selbst ohne hygienische Sicherheitsvorkehrungen auf die Welt gekommen war. Das Kind überlebte, wuchs unter den geordneten Umständen einer Handwerkerfamilie heran, zog aber - erwachsen - die Unsicherheit eines Wanderlebens dem sicheren Arbeits- und Familienleben vor. Ein vorzeitiger, unehrenhafter Tod dieses notorischen Verunsicherers sollte jedoch für bleibende Hoffnungen sorgen.

Jesu paradigmatisches Leben

Natürlich haben Sie, verehrte Leserinnen und Leser, längst erraten, von wem hier die Rede ist. Verfremdungen der Weihnachtsgeschichte und des Lebens Jesu sind auch Versuche, dieses paradigmatische Leben in die Gegenwart zu holen.

In den mittelalterlichen Bildern geschieht das ganz direkt, da ist dieses ungesicherte Jesus-Leben präsent in Bildern aus dem ungesicherten Leben der Menschen von damals. Mägde und Knechte, die mangels eigenem Haus oder mindestens Zimmer im Stall leben und sich im Winter am Feuer wärmen, sind realistische Bilder einer ungesicherten Lebenssituation, an der das Jesus-Kind in der Krippe teilnahm. Zugleich war das Kind in der Krippe ein Unterpfand dafür, dass alle Unsicherheit irgendwann ein gutes Ende haben kann.

"Gottes Sohn, oh wie lacht, Lieb aus Deinem göttlichen Mund, da uns schlägt die rettende Stund’. Christ der Retter ist da!“, dichtete der Salzburger Hilfspfarrer Josef Mohr wenige Jahre nach dem Ende der Napoleonischen Kriege. Die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod, im "Jenseits“, gab vielen die Kraft, die Ungesichertheit und Härte des Daseins zu ertragen. In der Zwischenzeit ist diese Hoffnung für viele dünn geworden. Zwar ist das Sterben heute ein großes Thema, schreibt der skeptische Religionsphilosoph Franz Josef Wetz, "aber nicht mehr die Frage, wohin es führt“. Die alten Bilder vom "Himmel“ müssen heute neu gedeutet und übersetzt werden. Vielleicht müssen sich auch andere, neue Bilder finden.

Für die Ungesicherten von heute - die Flüchtlinge, Bettler, Obdach- und Arbeitslose - gibt es vielleicht zu Weihnachten als Andenken an das ungesicherte Kind in der Krippe ein paar Almosen. Doch sonst werden sie leicht als Asoziale betrachtet, vielleicht weil der Anblick ihrer Ungesichertheit denen, die sich in Sicherheit wiegen, deutlich macht, wie schnell man aus dem gesicherten Leben in die Heimatlosigkeit fallen kann.

Sicherheit und Sicherheitsdenken sind die große Obsession von Industriegesellschaften, in denen eine kleine lokale Störung, etwa ein umgefallener Mast einer Hochspannungsleitung, gravierende und weitreichende Folgen haben kann. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist verständlich, denn das Leben ist unsicher - oder, mit Erich Kästner: "Leben ist immer lebensgefährlich.“ Doch erhoffte Sicherheit kann sich als Erhöhung des Risikos entpuppen, denn das "Gesetz der unbedachten Nebenwirkungen“ schlägt immer wieder zu.

Herzensbildung statt Sicherheit

Das beginnt im Privaten, wenn Partner einander blockieren, in der Hoffnung, die Liebesbeziehung zu sichern. Es setzt sich fort in der Wirtschaft, wenn Maßnahmen, die Arbeitsplätzen sichern sollen, längerfristig das Gegenteil bewirken; oder auch im Sicherheitsstreben der Staaten, das schließlich zur Unsicherheit der Bürger führt, wie die US-Soziologin Saskia Sassen feststellt. Da hilft nur "Herzensbildung statt Sicherheit“, meint der afrikanische Schamane Malidoma Somé. Das "Kind in der Krippe“ würde da wohl zustimmend nicken.

Somé ist beim Symposium Dürnstein 2013 von 14. bis 16. Februar zum Thema "Risiko Sicherheit“ zu Gast, wie u.a. Saskia Sassen, der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer und die kritische Pädagogin Marianne Gronemeyer. Mit Franz Josef Wetz werden dort u.a. Bischof Bünker, Rabbiner Homolka und die buddhistische Nonne Carola Roloff diskutieren.

Risiko Sicherheit

Symposion Dürnstein, 14. - 16.2. 2013

www.kultur-melk.at

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