Enzo Striano, oder: Eine späte Romanentdeckung

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"Die Portugiesin": Ein literarisches Historiengemälde Neapels um das Jahr 1800.sdfsdf

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"Die Portugiesin": Ein literarisches Historiengemälde Neapels um das Jahr 1800.sdfsdf

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Aus Neapel würde sie sich keinen Schritt wegbewegen. Hier herrschte eine Atmosphäre kluger Einsicht und freundlicher Gleichgültigkeit, mehr noch, hier hatte man einen ausgeprägten Sinn für das Leben, so dass Mitleid und gesunder Menschenverstand sich die Waage hielten".

Dies weiß die junge "Portugiesin", als sie kaum in der Stadt eingetroffen ist. Der Neapolitaner Enzo Striano erzählt uns ihre Geschichte. Striano (1927 - 1987) hat sein gesamtes Leben im geliebten Neapel verbracht. Er hat sich in alle Details der Geschichte vertieft und hat sich in die Zeit des späten 18. Jahrhunderts so eingelebt, dass er sie mit allem Volksgewimmel, mit ihrem Schmutz, ihren üblen Gerüchen und ihrer unbeirrbaren Lebensfreude schildern kann. So heftig ist das Gewimmel, so lang das Verzeichnis der namentlich auftretenden Personen, dass man sich ein "Who is who?" wünscht, um sich zurechtzufinden. Bis man merkt, dass es auf die vielen genannten Personen gar nicht besonders ankommt.

Warum die Familie Fonseca um 1765 ihre portugiesische Heimat ver- lassen musste, warum sie sich im Kirchenstaat nicht niederlassen durfte, teilte uns Enzo Striano nicht mit. Politisch-religiöse Spannungen, ausgelöst durch den Geist der französischen Aufklärung, dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Striano betonte, dass er zwar einen historischen Roman, aber keine Biographie historischer Personen geschrieben habe. So müssen wir Eleonora Fonseca also als frei erfundene Romanfigur betrachten.

Wir erfahren, dass ihr Vater sich die größte Mühe gibt, bei den Behörden des Königreichs beider Sizilien die Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zum Hochadel zu erwirken. Lenor, wie sie allgemein genannt wird, ist literarisch begabt, erregt durch ihre Dichtungen Aufsehen und wird schon bald in eine Akademie aufgenommen. Aber um ihre Existenz abzusichern, bleibt ihr eine Ehe nicht erspart. Man zwingt ihr einen Partner von hohem gesellschaftlichen Rang, leider aber niedrigen Charaktereigenschaften auf, der gewalttätig und verschwenderisch lebt, so dass die Ehe nach dem frühen Tod der Kinder getrennt wird.

In Neapel regiert seit 1767 der Bourbone Ferdinand IV., seit 1768 verheiratet mit Maria Carolina, einer Tochter Maria Theresias, also einer Schwester Kaiser Josefs II. und der Königin Marie Antoinette von Frankreich. Jahr für Jahr schwanger, gibt sie sich die größte Mühe, ihrem Gemahl halbwegs erträgliche Manieren beizubringen und die Verwaltung zu modernisieren. Sie hat aus Wien etliche Berater mitgebracht, die in Neapel nicht unbedingt beliebt sind. Es gibt plötzlich auch viele Freimaurer, was auf eine zeitgemäße Liberalität schließen lässt, in der sich auch Lenor wohlfühlen kann. Das ändert sich schlagartig, als die Wirkungen der Französischen Revolution spürbar werden, als immer mehr Intellektuelle eine Neigung zum Jakobinertum entdecken und als die Schwester der Königin in Paris auf der Guillotine ermordet wird. Man war in Neapel stets etwas hinter der Entwicklung zurück. Der "Moniteur", die Zeitung der Pariser Kommune, wird verspätet und mit hohem Strafrisiko eingeschmuggelt.

Als Napoleons Stern aufging, hofften die Jakobiner auf "Befreiung" von der Monarchie, speziell von der Habsburgerin, die ihrerseits bald in Napoleon ihren Todfeind und im britischen Gesandten Lord Hamilton einen Verbündeten erkannte. In Neapel lernte Lady Emma Hamilton ja den Admiral Nelson kennen, der mit seiner Flotte Schutz vor Napoleon versprach.

Bis dahin genoss auch Lenor jene gesellschaftliche Anerkennung, die ihrer Herkunft und ihrem literarischen Ansehen entsprach. Sie hatte Umgang mit Künstlern und Intellektuellen.

Als dann die Franzosen in Italien weiter nach Süden vordringen und das Königspaar sich nach Sizilien absetzt, halten die Jakobiner ihre Zeit für gekommen. Sie spielen Revolution, wie sie es verstehen. Lenor wird veranlasst, eine Zeitung zu redigieren, der es auf der einen Seite an Nachrichten, auf der anderen an Käufern mangelt, weil die breite Masse nicht lesen kann. Der Reiz von Strianos pointillistischer Schilderung ist das Verhalten der verschiedenen Bevölkerungsschichten. Er beschreibt die Wichtigtuer der vorgeblich intellektuellen Schichte, deren revolutionäres Gehabe eher unbeholfen und spießig wirkt und die auf den Gegenschlag der Monarchie hilflos reagieren, dazu die launischen Volksmassen, hier Lazzari genannt, die in ihrem stinkenden Elend das bisschen Lebensfreude finden, das die täglichen Ereignisse und Sensationen bis zur Hinrichtung der Jakobiner bieten und die auch einmal ehrlich dem König zujubeln können. All das gibt den lebendigen Eindruck einer "Revolution", die mehr vom Zeitgeist angeregt wurde als aus innerer Notwendigkeit ausgebrochen ist. Denn gerade Maria Carolina hat viel zur Verbesserung der Wirtschaft und der Lebensqualität getan. Lenor aber blickt unter dem Galgen auf ein Leben zurück, das immer fremdbestimmt war und das weder ihre körperlichen Reize noch ihre hohe Intelligenz zur Entfaltung kommen ließ.

Für die Revolutionäre gab es keine Gnade. Maria Carolina zog sich im Jahr 1800 für zwei Jahre nach Wien zurück. Ihre Tochter Maria Theresia war unterdessen mit ihrem Neffen, Kaiser Franz II., verheiratet worden. Deren Tochter Marie Louise wurde dann dem Kaiser Napoleon angetraut, der Maria Caroline einmal als die "neapolitanische Furie" bezeichnet hat. Diese war empört, nun "des Teufels Großmutter" zu sein.

Dieses Nachspiel steht nicht mehr bei Striano, dessen Roman mit dem tragischen Tod Lenors am Galgen endet. Der Roman, der in Italien vor 14 Jahren erschienen ist, ist spät, aber nicht zu spät ins Deutsche übersetzt worden. Er ist eine literarische Entdeckung!

Die Portugiesin Roman von Enzo Striano, Übersetzung: Barbara Krohn, Piper Verlag, München 2000, 478 Seiten, geb., öS 321.-/e 23,33

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