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Der Staatsmann des Ancien Regime

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.Meine ganze Jugend wurde auf einen Beruf hingeführt, für den ich nidit geboren war“ — so schrieb, wenige Tage vor seinem Tode, Talleyrand, nach Richelieu vielleicht der größte Staatsmann der französischen Ge schichte, an den Papst: Talleyrand, Bischof von Autun, später exkommuniziert, noch später mit einer Frau von zweifelhaftem Rufe verheiratet. Er hatte, dem Sterben nahe, so lange mit dem Erzbischof von Paris über seine .Reueerklärung“ verhandelt, das Schriftstück, in seine Kissen gestützt, gefeilt, korrigiert und mit Gegenvorschlägen versehen, daß seine Umgebung fürchtete, der Tod könne schneller 6ein als die Hand des greisen Staatsmannes, der an seiner letzten „Note“ arbeitete. Denn „er verkehrte mit dem Himmel wie mit einer auswärtigen Macht“. Sein Lebenslauf war in seinen Anfängen durchaus der eines jüngeren Sohnes aus großem, nicht eben begütertem Hause. Man hatte ihn, dem ein körperliches Gebrechen von vornherein vom Dienste im Heere ausschloß, für den Dienst der Kirche bestimmt. Charles-Maurice de Talleyrand-Perigord wurde mit 21 Jahren Abt von St-Denis, mit 34 Jahren Bischof. Er hätte wie mancher andere mehr als weltlicher Grandseigneur denn al6 Kirchenfürst ein Leben in Luxus und geistreicher Zerstreuung führen können. Aber sein ungewöhnliches geistiges Format sprengte diesen bequemen Rahmen, und ein Jahr nachdem Talleyrand zum Bischof geweiht worden war, brach die große Revolution aus. Talleyrand erkannte die Stunde und warf sich in die Politik. Während der Schreckensherrschaft emigrierte er nicht nach England und Amerika: er ließ sich ins Ausland delegieren. Die Wogen glätteten sich und das Direktorium fand an ihm den Helfer in auswärtigen Fragen, dessen es bedurfte. Er war der Kenner, der,gesellschaftliche Teilhaber der konservativ gebliebenen Umwelt, Fachmann der schönen weltmännischen Form und scharfsichtiger Politiker. Und nun entwickelte der Mann, der immer nur „er selbst“ war und 6ein wollte, seine ganzen Künste. Seine Persönlichkeit war voll von Widersprüchen, aber 6eine Politik war immer klar. Er diente dem Direktorium, dem Ersten Konsul, dem Kaiser, wie er später den Bourbonen, den Orleans, stet6 seinen Vorteil suchend, seinen Reichtum mehrend, gedient hat. Denn er starb als einer der reichsten Männer Frankreichs. Aber so ungescheut er von seinen Verhandlungspartnern Geld nahm, ja einen solchen Tribut zur Voraussetzung seiner Fürsprache machte, hat er es nie von Leuten genommen, deren Interesse im Gegensatz zu jenen stand, die er zu vertreten hatte. Oder eigentlich: zu jenen, die er innerlich als die richtigen erkannte und mit äußerster Konsequenz verfocht. Seine Freunde konnten, ja mußten ihn oft kaufen,

für seine Feinde war er unbestechlich. Und er war in seiner Art ein redlicher Geschäftspartner. Als ihm die polnischen Magnaten — er war damals Minister Napoleons — für seine Unterstützung der Erneuerung des polnischen Reidies vier Millionen Gulden gegeben hatten, zahlte er 6ie zurück, als er dieses — durchaus seinem Konzept entsprechende Ziel — nach seiner Entlassung nicht zu erreichen vermochte: der Moralkodex der Decadence des Ancien regime, ergänzt durch persönliche Züge. Talleyrand sagt, er habe Napoleon „mit Ergebenheit gedient“. Und das i6t gewiß richtig. Er war Napoleon solange ergeben, bis er erkannte, daß dessen politisches „System“ ihn und Frankreich in den Abgrund führen müsse, bis er die Hohlheit der napo- leoni6chen Phantasmagorie, die Gebrechlichkeit, das Kulissenhafte dieser Scheinwelt erfaßte. Er hat dem Kaiser, wie es wiederum seine Art war, oft und manchmal als einziger widersprochen, ihm Konzepte unterbreitet, die dessen Herrschaft und damit die Frankreichs besser gestützt hätten als die Laubsägestaaten des korsischen Clans. Diese.Dokumente staats- männischer Erkenntnis fielen belächelt in den Papierkorb. Als dies alles vergeblich war, verriet Talleyrand seinen Herrn, wie er vorher und nachher jeden verraten hat, den er vom Schicksal gezeichnet sah. Er wollte immer nur „er selbst“ sein — und hat Frankreich nie verraten. Die ungeschmälerte Aufnahme des besiegten Landes in die Pentarchie der Großmächte wurde von ihm seit Erfurt vorbereitet, und der damalige Verrat trug beim Wiener Kongreß, sieben Jahre später, Frankreich reiche Früchte. Im ganzen: Talleyrand stand, der Nützlichkeit verhaftet, innerlich jenseits von Gut und Böse.

Uber Talleyrand gibt es neben unzähligen bezeichnenden geistreichen Anekdoten ausgezeichnete historische Werke. Eines der besten hat Duff Cooper geschrieben. Rahn, selbst deutscher Botschafter und im diplomatischen Geschäfte wohl bewandert, gibt in dem vorliegenden Werk — nach einer vortrefflichen biographischen Einleitung — eine Reihe von Staatsschriften Talleyrands wieder, die den Zeitraum von 1792 bis 1815 umspannen. Sie zeigen einen Geist von cartesianischer, illusionsfreien Klarheit, und es wundert den Leser, daß auch Talleyrand — wie Napoleon ein echtes Kind der Aufklärung und ihres Rationalismus — dem Heiligen Römischen Reich das Zügenglöcklein läuten hilft. Hatte er schon für dessen ethische, wahrhaft „europäischen Werte kein Verständnis, so hätte dieser nüchterne Denker erfassen müssen, daß eine „Flurbereinigung jenseits des Rheins nicht im französischen Interesse lag. Der Mensch Talleyrand hat oft und schwer geirrt — der Staatsmann mindestens dieses eine Mal.

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