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Erinnerungen an Billroth

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Wenn auch die Zahl der biographischen Mitteilungen über Theodor Billroth so zahlreich sind, daß es Eulen nach Athen tragen hieße, wollte man Neues über unseren großen Meister bringen, so sei es immerhin gestattet, da sich kürzlich der 60. Todestag Billroths jährte, mit aller persönlichen Wärme der Erinnerung dieser Anima Candida zu gedenken — wie ihn der Schüler sah, der in den achtziger Jahren das Glück hatte, seinen Vorlesungen folgen zu dürfen. Einem Lehrer, dessen Motto seines Lebens uns allen voranleuchtete: „Wahrheit und Klarheit, wie in Wort so in Tat, sind die Sprossen der Leiter, die zum Sitz der Götter führen.“

Wenn Billroth seine Klinik verließ und seinen Weg durch die Allee des ersten Hofes im Allgemeinen Krankenhaus nahm, folgten ihm die Blicke der Begegnenden wie einem gewaltigen Genius aus einer dem gewöhnlichen Sterblichen schier entrückten Zeit, aus einem Milieu, dem sich zu nähern nur ganz auserwählten Glücklichen beschieden war.

Als Operationszögling bei Billroth eintreten zu können, erschien uns Medizinern der höheren Jahrgänge noch als unerreichbares Ziel, denn trotz Diplom und Empfehlungen nahm er auf seiner Klinik nur bewährte Anatomen und Physiologen mit schon längerer Dienstzeit an diesem Institut auf.

Billroth war für uns, wie für alle sich für Medizin interessierenden Menschen ein bereits zu Lebzeiten mit höchstem Nimbus gekrönter Gelehrter, obwohl er sich persönlich oft in keiner Hinsicht als unnahbar, ja im Gegenteil sehr natürlich von offener Heiterkeit gab.

Billroth war in seinem ganzen Wesen eine große Künstlernatur von ganz aufgeschlossener Charakteristik, er war ein Vollblutkünstler, er war ein Klavier- und Violinvirtuose, in dessen Haus die meisten Brahms- Quartette ihre Uraufführung unter seiner

Mitwirkung erlebten. Schon sein Aeußeres erinnerte an diesen Wesenszug: von mittelgroßer Gestalt, die stets dunkel gekleidet war, mit Künstlerhut, seinen strahlend blauen Augen und dem großen blonden, später schlohweißen Bart, glich er der vielleicht durch ihn selbst geprägten Idealfigur des deutschen Arztes, die wir noch dann in seinen Kollegen Hermann Nothnagel, Otto Kahler, Ernst Fuchs, Ernst Ludwig, L. v. Schrötter, Alexander Kolisko und bei seinem Freunde und „Bruder in Apoll“, Dr. Johannes Brahms, in ihrem Aeußeren fanden. So ästhetisch er schon äußerlich zu wirken wußte, war der Eindruck, den Billroth für den Hörer der Klinik während der Operation oder wenn er epikritisch nach einer solchen die nötigen Erklärungen gab, vollends hinreißend, ja überwältigend, dem sich keiner der Anwesenden entziehen konnte. Diese Stunden waren einmalig genossenes Glück, die uns stets in Erinnerung blieben, unvergeßlich besonders für jene, seien es vorgeschrittene Mediziner oder Opernzöglinge oder gar als Fremde die Klinik besuchende ärztliche Gäste, unter denen sich sehr häufig und regelmäßig selbst Gelehrte hohen Ranges befanden, die die Auszeichnung erlangt hatten, Billroths Lehr- und vornehmlich Zeugen seiner Operationstätigkeit sein zu dürfen. Einer dieser Bevorzugten war als ständiger Gast im Wintersemester der Bruder der Kaiserin Elisabeth, Herzog Dr. Karl Theodor in Bayern, der bekannte Augenoperateur (eigene Klinik in Meran). In Bewunderung saßen sie auf den seitlichen Bänken unten im Hörsaal in mäßiger Entfernung vom Operationstisch, selbst bedeutende Chirurgen, und lauschten, gleich uns Hörern in den oberen Reihen, seinen Worten, die ihrem Gehalt nach Wahrheiten von tiefgründigstem Wert waren. Das Band jedoch, das ihn mit seinen engeren Schülern, seinen Assistenten verknüpfte, war ein so nachhaltiges, daß jeder dieser späteren Gelehrten — sie alle sind ja in des Meisters Schule wieder Meisterchirurgen geworden — in keinem ihrer Vorträge es unterließen, den Namen ihres großen Lehrers zu erwähnen oder seine Aussprüche zu zitieren. Es seien hier einige genannt: Czerny (Heidelberg), Gussenbauer (Prag, Wien), Mikulicz (Breslau), Wölfler (Graz, Prag), Gersuny, Salzer, Eiseisberg, Narath (Utrecht, Leipzig), Winiwarter (Lüttich), Katholicky (Brünn), Brenner (Linz), Fränkel (Wien), Rüdiger (Wien) und viele andere.

Kein Wunder also, wenn Billroths Ruf und Ruhm bereits sehr bald schon internationale Bedeutung erlangte, so daß Berlin nach dem Rücktritt des großen Langenbeck, Billroths Lehrer, diesen selbst p r i m o et unico loco zum Nachfolger vorgeschlagen und berufen ließ. Billroth aber hat diese Berufung trotz baulicher und finanzieller Vorteile abgelehnt.

Allerdings: Groß wie jeder wirkliche Meister zeigte sich Billroth auch in der Beschränkung in der kleinen Klinik, gleich seinem älteren Zeit- und Fachgenossen, dem unvergeßlichen Anatomen von Rokitansky. Beide vollbrachten Großtaten in lächerlich kleinen, unzulänglichen Räumen.

Aber die Mitwelt wußte seinen heroischen Entschluß, Wien, das ihn mit seinem ärztlichen und musischen Leben und Weben im Banne hielt, nicht zu verlassen, zu feiern, indem die Studenten aller Fakultäten im unvergeßlichen Fackelzug der begeisterten Bevölkerung zeigten, was sie und die leidende Menschheit Oesterreichs als Dank für das Verbleiben in Wien ihm, Billroth, schuldeten.

Eine solche Feier nicht nur rein akademischen Charakters, sondern als spontaner Volkswille war nur einmal und nur einem einzigen zuteil, dem großen Meisterchirurgen und Menschen Theodor Billroth.

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