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Krieg um den „Duden”

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Die Kriegsereignisse und die Zenstörungen an Buchgut haben auf dem Gebiete der Rechtschreibung und Wortentwicklung eine große Lücke gerissen. Nicht zufällig sind einzelne Duden-Bände auf Versteigerungen um ein Vielfaches des einstigen Ladenpreises verkauft worden. Nun wurde der österreichische Bundesverlag mit der Herstellung eines großen österreichischen Wörterbuches beauftragt, um die Lücke zu schließen.

Wer nun gehofft hat, daß die Vielheiten und Eigenheiten der Schreibung unter dem Gesichtswinkel des Heimatlichen allein und der logischen Einfügung in die gesamte Sprachentwicklung betrachtet werden, sieht sich überrascht statt dessen ebenso heftigen wie einseitigen Diskussionen in der Öffentlichkeit gegenüber. Auf der einen Seite bemängeln Einheitsfanatiker, daß die Unterschiede, wie sie vor sechs Jahrzehnten Kon- rad Duden aufzuheben versuchte, wieder auferstehen. (Es gab früher Regeln des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Regeln des Bayrischen Staatsministeriums für Kultus und Unterricht und Regeln für die deutsche Rechtschreibung, wie sie ab 1935 in Wien herausgegeben wurden.) Auf der anderen Seite regen sich rückschauend „SpracK- reiniger” und nehmen äußere Kennzeichen, wie sie 1938 in Kundgebungen und Beschriftungen gebracht hat, zum Anlaß, vor einer „großdeutschen Refundierung” zu warnen. Beide Standpunkte schießen in dieser Form übers Ziel. Es war für uns eine beleidigende Zumutung, wenn gewisse Reichskreise „österreichisch” mit „Fremdwörterei” gleichsetzten; es würde aber den gleichen Fehler bedeuten, einzelne Verdeutschungen nur deswegen wieder zu tilgen, weil sie 1938 bis 1945 im Sprachgebrauch auftauchten. So soll jetzt an Stelle des Wortes „Ausweis” wieder „Legitimation” gebraucht werden. Die Post hat, obwohl sie — vor 1938 — bereits „Postkarten” herausgab, neuerdings der Öffentlichkeit „Korrespondenzkarten” vorgelegt.

Daß der Philister jedes neu klingende Wort verlacht, ist sein Recht. Zum Glücke lehrt die Geschichte unserer heimatlichen Sprache, zu der Abraham a Sancta Clara, Grillparzer, Saar, Rosegger, die Ebner- Eschenbach und Anzengruber beitrugen, daß Reinheit der Sprache auch Reinheit des Volksempfindens bedeutet, daß der klare fließende Quell der Mundart mit dem zuweilen trüben, stehenden Gewässer der Politik nichts zu schaffen hat. Wir gebrauchen seit zwei Jahrhunderten „Gefühl” statt „Sentiment”, wir haben im Zeitalter der Technik das „Velociped” auf „Fahrrad”, den „Perron” auf „Bahnsteig”, den „Aviatiker” auf „Flieger” umgewandelt, ohne daß sich ein Stamm oder eine Partei auf das wiehernde Roß streitbarer Politik setzte. Sogar der Norddeutsche und gewiß unverdächtige Jude Eduard Engel hat seinen Landsleuten das gut österreichische „Paradeiser” statt der „Tomate” anempfohlen. Man trägt seine Heimatliebe wie die Gesinnung eben nicht im Knopfloch, noch findet man sie im Wörterbuch; ihr Herz schlägt auf den Straßen unserer Stadt, in den Dörfern und Hütten, und dort dürfte eine „Identitätslegitimation” oder ein „Insinuationsdokument” höchstens als Zungenübung Anklang finden. Der gute Bediente Habakuk aus Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind” geht wieder um. Er war — damals noch ohne vielsprachige Identitätslegitimation — zwei Jahr im Auslande, aber so etwas hat auch er nicht erlebt.

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