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Monarchist oder Rebell?

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Die zahlreichen, dem 18. Jahrhundert typischen Abenteurer hat Honore-Gabriel Riquetti, Graf von Mirabeau, durch seine überragende Intelligenz weit in den Schatten gestellt. Einem alten Brauch gemäß wurde er als siebzehnjähriger Jüngling zum Leutnant befördert, welches Dasein er aber wegen seines schwer bezähmbaren Temperaments nicht lange genießen konnte, da sein Vater ihn auch wegen zahlreicher Schulden vorerst gefangensetzen und hierauf nach Korsika einrücken ließ, wo er als humaner Vorgesetzter sich die Zuneigung seiner Soldaten erwarb. Bitter enttäuscht durch die Weigerung seines wenig einsichtigen Vaters, ihm eine Kompanie zu kaufen, zieht er sich mit dem als Gattin aufgezwungenen Fräulein de Marignane auf ein seiner Familie gehörendes Gut zurück, um dort die physiokratischen Theorien in die Praxis umzusetzen. Wie alle Eingriffe des Vaters in Mirabeaus Leben sich verhängnisvoll ausgewirkt haben, ging auch diese Ehe bald in Brüche. Abermals läßt Mirabeau senior ihn wegen Schulden von einem Gefängnis ins andere wandern: die Jahre 1773 bis 1775 verbringt er in Manosque, Chäteau d’If und Joux. Von hier flieht er, gefolgt von Marie-Thėrėse Marquise de Monnier. der Gattin eines vergreisten Kammerpräsidenten, nach Amsterdam, wo er sich mühselig durch den Ertrag seiner Schriften weiterbringt, bis ihn die holländischen Behörden der französischen Polizei ausliefern. In Vincennes noch 1780 interniert, schrieb er an die Marquise de Monnier gerichtete Briefe, die unter dem Titel „Lettres ä Sophie” mehrere Generationen zu Tränen gerührt haben!

Während der drei Jahre seiner Gefangenschaft befaßte sich Mirabeau vor allem mit juridischen Studien. da er sich selbst in seinem Rehabilitierungsprozeß verteidigen wollte, was ihm auch glänzend gelang. Außerdem bereitete er sich durch einschlägige Werke für den Kampf gegen die Mängel im französischen Staatswesen vor. Seine Aufenthalte in England und Holland, die ihm durch den Finanzminister Calonne anvertraute Berliner Mission, erweiterten seinen geistigen Horizont. Wegen der vielen Jahre, während denen Mirabeau hauptsächlich auf Anstiften der Steuerpächter und anderer von ihm diskredidier- ten Finanziers wegen seines Freimuts immer wieder der Freiheit beraubt gewesen, verabscheute er, ohne sich gegen die Krone zu stellen, die Umgebung des Königspaares und die Regierung; es sei daher höchste Zeit, es zu belehren. Keinerlei Popularitätshascherei brachte ihn zu dieser Kritik; sein klarer Verstand schützte ihn vor dem Absinken in die Masse der dilettantischen Menschheitsbeglücker durch vorübergehend kalmierende Konzessionen, welche die Begehrlichkeit der Neuerer steigernd, bald zu Rechtstitel umgefälscht werden. Als überzeugter Monarchist sieht er die Konsolidierung des königlichen Regimes nur durch gründliche Reformen gewährleistet, zu deren Durchführung die geistige Elite dės Dritten Standes herangezogen werden müsse. In welchem Verhältnis man jedoch Mirabeaus Eintreten für die Allgemeinheit, seinen Kampf gegen Nepotismus und Korruption, gegen die Verrottetheit der die königliche Autorität mißbrauchende Despotie königlicher Funktionäre seinem Scharfsinn oder seiner Menschenfreundlichkeit zuschreiben soll, ist irrelevant. Jedenfalls besaß Mirabeau, dem . Alltagshistoriker manchmal keiner edleren Regung fähig hinstellten, in hohem Maße Mut und Pflichtgefühl für das Ersprießliche im monarchischen System jetzt einzutreten, wie er sich vor 1789 nicht gescheut hatte, an Seinen Auswüchsen Kritik zu üben. Trotz seiner Zugehörigkeit zum Adel ließ er sich in den Dritten Stand wählen, für den er sich vor dem Zusammentritt der Stände gegen die königliche Autorität eingesetzt hat. Als der Zeremonienmeister die Deputierten aufforderte, sich zurückzuziehen, richtete Mirabeau an ihn die oft zitierten Worte: „Gehen Sie und sagen Sie dem König, daß wir hier durch den Willen des Volkes sind und wir uns nur durch die Gewalt der Bajonette gezwungen entfernen werden.” Diese Worte haben Mirabeau fälschlich den Ruf eines Rebellen eingebracht; sie waren tatsächlich ein Sturmzeichen, dessen Unterbleiben jedoch die Vertiefung der Gegensätze nicht verzögert hätte. Aus dem Mund des wenig geachteten und meist mißverstandenen Hitzkopfs klangen sie wirklich wie eine Kampfansage, während doch sein stetes Streben dahinging, die königliche Autorität zu festigen. Durch Seinen Freund, den Grafen de La Marek, wurde er mit dem Königspaar in Kontakt gebracht. Vergeblich setzte er sich von der Tribüne herab für die Prärogativen des Königs ein, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Trotzdem konnte er sich wegen des infolge seines Vorlebens in der Constituante schwindenden Ansehens beim Königspaar überhaupt nicht durchsetzen. Die Liste der nicht allzu zahlreichen von Oliver J. G. Welch benützten Quellen bringt als die wichtigsten die von Mirabeaus% Adoptivsohn, Lucas de Montigny, herausgegebenen acht Bände und die Korrespondenz mit dem Grafen de La Marek. Diese Publikationen sind wegen der erklärlichen Befangenheit ihrer Herausgeber nicht ausreichend, um den widerspruchsvollen Charakter objektiv zu erfassen. Die hier vermißten zeitgenössischen Quellen und die Arbeiten späterer Historiker, die auch seine Gegner zu Wort kommen ließen, aufzuzählen, würde hier zu weit führen. Dennoch bleibt Welchs Arbeit ein empfehlenswertes Buch für Leser, welche sich an Einwände wie die vorstehenden nicht kehren. Abschließend sei noch, wie bei allen Publikationen des Insel-Verlages auf die vorbildliche Ausstattung und die besonders gelungene Auswahl der Porträts hingewiesen.

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