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Saint-Simon und Wilhelm

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ERINNERUNGEN. Der Hof Ludwigs XIV. und die Régence. Von Saint-Simon. Titel der Originalausgabe „Mémoires". Übersetzung Norbert Schweigert. Mit einem Vorwort von Fritz Schalk. „Prosa aus Frankreich", Amadis-Verlag, Karlsruhe-Stuttgart, 1969. 638 Seiten,

33 Abbildungen, DM 24.—.

Sei es zur Belehrung für den Geschichtsfreund, sei es zur Unterhaltung für den Durchschnittsleser — man kann nie genug bekommen von Saint-Simon. Seine Erinnerungen, dieser lange Protest des feudalen Edelmanns gegen die absolute Monarchie und die vom absoluten Monarchen geförderte Bourgeoisie ist eines der ideengeschichtlich wichtigsten Bücher Europas; als Sammlung von Charakterbildern suchen die Memoiren ihresgleichen. Man freut sich also sehr über eine neue Blütenlese in deutscher Übersetzung. Aber — Saint-Simon zu verdeutschen ist gewiß eines der schwersten denkbaren literarischen Unternehmen. Man müßte sich (etwa aus den Khe- venhüller-Memoiren, den Berch- told-Memoiren, der Zimmemschen Chronik und Iffland) erst ein Deutsch zusammenbrauen, welches die perlende Mischung von Archaismen und Neologismen, altfränkischer Rechtsterminologie und Hoftratsch irgendwie adäquat wiedergeben könnte. Sehr schwer, jawohl. Aber gerade Ludwig XIV. sagte ja bei sportlichen Schwierigkeiten: Wer eine Sache nicht gut kann, soll sie halt bleiben lassen. Und wer hat dem gegenwärtigen Übersetzer angeschafft, gerade diesen schwierigen Autor vorzunehmen? Er hat sich die Aufgabe allzuleicht gemacht. Wohl hat er sich einer allzu modernen Sprache enthalten (bis auf Dudenismen wie ..aufgrund“); er wird wohl auch die älteren Übersetzungen beachtet haben. Aber der Stil, der dabei herausgekommen ist, hat so wenig Saint-Simonsches Gepräge daß es genausogut die Memoiren des Reichspräsidenten Ebert oder des Barons Eelking sein könnten, Auch gehört der Übersetzer zu jenen ärgerlichen Zeitgenossen, die ihre Leser für töricht halten; durch Anmerkungen wird man aufmerksam gemacht, über welche Ansichten des Autors man lächeln solle, und Saint- Simonsche Parodien werden lieber schön weitschweifig übersetzt, damit sie dem Leser nicht entgehen. Lob verdient der Übersetzer wegen des mit biographischen Daten ausgestatteten Personenverzeichnisses: nur hätte er nicht Personen, die keine Franzosen sind, französische Vornamen geben müssen, wie der Königin von England. Lob verdient auch der Verleger wegen der reichlichen Illustrationen; freilich wären die Bilder bei einer anderen Technik wohl deutlicher ausgefallen. Die ge-

fällige Ausstattung und das interessante Thema werden dem Buch wohl Erfolg sichern; eben deshalb verdrießen uns die Mängel. Das Bestreben, den Text doch ja dem dümmsten Heutigen verständlich zu machen, führt ja zu förmlicher Irreführung; da ist ja die Rede von der „Zivilliste“ Ludwigs XIV. — zu den staatlichen Verhältnissen seines Landes ebenso passend, wie wenn ich von der Zivilliste für Franz Jonas spräche. Doch eines wollen wir deutlich sagen; wir glauben keineswegs, es besser machen zu können.

Karl Schwarzenberg

DEUTSCHLAND OHNE BISMARCK. Von John C. G. Röhl. Die Regierungskrise im zweiten Kaiserreich 1890—1900. Rainer-Wunderlich-Ver- lag Tübingen 1969, 318 Seiten,

34,50 DM.

Die Historiker haben sich lange Zeit mit der Fragwürdigkeit der Bismarck-Reichsverfassung beschäftigt. Bismarck hat seinerzeit sein ganzes Regierungssystem auf seine Person zugeschndtten und glaubte, von der Position des Reichskanzlers aus die anderen Faktoren, wie etwa den Kaiser und die deutschen Bundesfürsten, aber auch die sich all mählich bildenden Reichsämter in Schach halten zu können. Nicht ganz zu Unrecht spielte beim Sturz des ersten Reichskanzlers die Sorge Wilhelms II. eine Rolle, daß eine „Diktatur“ der Familie Bismarck verewigt werden könnte. Der Verfasser hat auf Grund eingehender Forschungen in den Archiven gezeigt, daß nach dem Sturz Bismarcks verschiedene Politiker, darunter auch der Reichskanzler Caprivi, versuchten, eine moderne, kollektive Regierungsführung zu installieren. Solchen Unternehmungen stand aber bis zu einem gewissen Grad der junge Kaiser entgegen, der immer stärker — unterstützt von einem Kreis von Höflingen, an der Spitze Eulenburg — einer Demokratisierung gegenübertrat, um mit Hilfe der diversen Kabinette, bei denen das Militärkabinett eine besondere Rolle spielte, das persönliche Regime des Monarchen zu etablieren. Das vorliegende Werk ist eine sehr wichtige Ergänzung zu allen Detailforschungen der letzten 50 Jahre über das persönliche Regime Wilhelms II. in einer nüchternen Aussage, die auf der Kenntnis und Auswertung der Quellen beruht und erweist neuerdings, daß zumindestens ab 1897 die weltpolitische Isolierung Deutschlands und die ersten Schritte in die Vorzone des Konfliktes von 1914 zu einem nicht geringen Teil auf das Konto Wilhelms II. und seiner Ratgeber gehen.

o. Univ -Prof. Dr. Ludwig Jedlicka

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