"Ich habe einen Sohn befürchtet“

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* Fotos: Gianmaria Gava

Es ist Mittwochabend. Herrenabend. Klaus Muik sitzt wie jeden Mittwoch mit zwölf Männern im sogenannten "Raum der Stille“ im Salvatorianer-Kolleg im ersten Wiener Gemeindebezirk und meditiert. Der Raum ist groß und hell. Während man auf den kargen Gängen friert, ist dieses Zimmer eine warme Oase mit Teppich, Sitzkissen und oranger Kerze in der Mitte. Männerrunden lösen in vielen Köpfen Bilder von Zigarren- und Golfklubs mit grauhaarigen Eminenzen in schweren Ledersesseln und teuren Markengewändern aus, die über fragwürdige Altherrenwitze lachen.

Bei Muik im Kloster steht anderes am Programm: 30 Minuten Körperübungen, 30 Minuten Meditation, 30 Minuten Gespräch. Die Teilnehmer kommen aus allen Alters- und Berufsgruppen. Sie sind Studenten, Angestellte, Pensionisten, Techniker. Sie eint ein Wunsch: Mann-Sein, ganz ohne Klischees oder Rollendruck. Muik hat den Abend vor rund einem Jahr initiiert, um Männern einen sicheren Ort des Austausches zu schaffen.

Aus der Orientierungslosigkeit heraus

Muik ist 48, dreifacher Familienvater, Marketingmitarbeiter und Webdesigner. Er ist ein geselliger Typ, klopft einzelnen Männern befreundet auf die Schulter. Er ist aufgeweckt und beobachtet seine Umgebung. So zückt er schon mal aufmerksam ein Taschentuch, wenn die Nase läuft, sobald jemand von der Februarnässe ins Warme tappt. Seit achteinhalb Jahren ist er in der Männerarbeit (siehe Kasten) tätig, organisiert Vater/Mutter-Kind-Camps, Vorträge und Abenteuerreisen. " Ich war lange orientierungslos und in einer Krise mit meiner Männlichkeit. Jetzt möchte ich auch anderen Männern bei ihrer Selbstfindung helfen.“

Während Frauen seit Jahrzehnten um ihre Rollenerweiterung kämpfen, bleiben Männer oft in ihren alten Rollenbildern gefangen. Die Männlichkeit hat ihren guten Ruf verloren. Kerle gelten heute schnell als lächerlich, brutal, rücksichtslos, rechthaberisch, gierig, ineffizient. Frauen geben sich oft offenkundig auf weibliche Sinnsuche - tut dies ein Vertreter des männlichen Geschlechts, wird das oftmals belächelt. "Für Männer ist es noch immer schwer, sich verletzlich und feinfühlig zu zeigen und sich diese Eigenschaften selbst einzugestehen“, sagt Muik. Schließlich habe ein Typ stark zu sein und Selbstsicherheit auszustrahlen.

Bei Muik begann die Sinnsuche mit der Geburt seines mittlerweile elfjährigen Sohnes. "Ich habe direkt befürchtet, dass es ein Bub wird“, sagt Muik. "Ich hatte Angst, einem Sohn nicht viel weitergeben zu können, weil mir vieles fehlte.“ Er habe nicht gewusst, wie man mit einem Jungen umzugehen hat. "Was bringt man ihm bei? Wie ist man ein guter Vater? Ich fühlte mich nicht als Vorbild“, sagt er. Muiks Vater glänzte in seiner Kindheit vor allem mit Abwesenheit. Muik war der jüngste von vier Kindern einer südburgenländischen Bauernfamilie. Der Vater war aktiv, spielte Fußball, engagierte sich im Dorf. Daheim zog er sich zurück. Er starb an Lungenkrebs. Für den Nachzügler blieb er als unerreichbarer Fremder in Erinnerung. "Ich war bei seinem Tod gerade 21. Damit gab es für mich kaum eine Möglichkeit, mit ihm etwas aufzuarbeiten.“

Muik beschreibt dies als sogenannte "Vaterwunde“, mit der er nicht alleine dastünde: Heute erwachsene Männer haben Großväter, die entweder im Zweiten Weltkrieg beziehungsweise im Konzentrationslager starben oder völlig traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrten, erklärt Muik. Auch deren Väter erlebten einen Krieg. Das Resultat: Planlosigkeit. "Männer wissen gar nicht mehr, wie sie sein sollen, und fühlen sich den Rollenzwängen unterworfen, die ihnen medial vorgegaukelt werden.“

Muik zeigt seinen Ringfinger, auf dem ein silberner Ring zu sehen ist. Er ist in der Mitte nicht ganz geschlossen. Er trägt ihn als Zeichen dieser seelischen Wunde. Durch seinen Sohn kam Muik ins Grübeln. "Mir wurde klar, dass ich nicht der einzige mit dem Problem bin.“ Er suchte den Austausch, nahm an Ritualen und Meditationen teil und gründete die Plattform mannsein.at.

Cowboys gegen Indianer

Am stärksten blieb ihm die Wüste Arizonas in Erinnerung, wo er ein internationales Männerseminar besuchte. Es war eine Art Selbsterfahrungstrip. Dort, wo in alten Westernfilmen Cowboys gegen Indianer kämpften, stand er mit 83 Männern vor der Aufgabe, eine Nacht alleine in der Wüste zu verbringen. Es hatte zwar jeder eine Trillerpfeife dabei, "aber man wusste ja nicht, was dort alles in der Nacht so herumwanderte. Bären oder Berglöwen etwa. Glücklicherweise habe ich erst wieder daheim im Wiener Zoo bemerkt, wie riesig und gefährlich eine Klapperschlange ist“, sagt er und lacht leise.

Für ihn ist Austausch unter Männern das wichtigste. Auch wenn es für viele Herren eine Überwindung bedeutet, sich zu öffnen. Warum er gegen gemischte Meditationen mit Frauen ist? "Weil eine Frau in der Runde sofort zum männlichen Konkurrenzdenken führen würde. Kaum ein Mann könnte zeigen, wie es ihm wirklich geht.“

Ein Mann könne das im Leben draußen auch kaum zeigen. Es sei ihnen nicht gestattet, nichts zu leisten. Das Leben vieler Männer bestünde aus Haus, Auto und Karriere. Mit seichten bis hin zu diskriminierenden Sprüchen verstecken sie, sagt Muik, ihre Angst vor den Frauen und ihr mangelndes Selbstbewusstein. "Ein Mann, der zu sich selbst steht, muss so etwas nicht tun. Das gilt auch für Homophobie. Solche Männer fürchten eventuell eigene Anteile davon in sich und müssen diese abwehren.“

Aber was macht einen Mann jetzt zum Mann? "Dass er sich mutig mit sich selbst auseinandersetzt und sich sich selbst stellt.“ Seit sieben Jahren veranstaltet er regelmäßig Eltern-Kind-Camps. Mittlerweile gibt es sie auch in gemischter Form. Ein Elternteil und ein Kind verbringen mit anderen im Sommer eine Woche in einem Lager und erleben Abenteuer in der Wildnis.

Es geht darum, sich abseits des Alltags kennen zu lernen und sich auszutauschen. Muik war bereits mit seiner Tochter und mit seinem Sohn in einem Lager. An eine Szene kann er sich besonders gut erinnern. Während einer Aufgabe im Wald stürzte sein Sohn. Er weinte. Muik redete ihm gut zu. "Es war ein sehr offener Moment. Plötzlich erzählte er mir ein paar seiner Sorgen und seine Gefühle rund um den Tod des Großvaters. Ich konnte darauf eingehen.“ Plötzlich sei man sich ganz nah gewesen. "Wir gingen völlig befreit ins Lager zurük“, sagt Muik. Plötzlich war der ganze Druck weg.

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