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DIE VERSCHIEDENE SICHT AUF DAS HEILIGE

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Da begegnen wir auf unseren Landwegen vielen Kreuzen, an denen Jesus Christus, aus Holz gebildet, hängt. Und wie sehen wir diesen Schmerzensmann am Kreuz? Noch vor gar nicht langer Zeit sagte ich: „Wenn auf diesen Wegen keine Kreuze mich begleiteten, würde ich die Menschen hier nicht mehr als meine Brüder erkennen“. Dann später aber mußte ich in einem Gespräch über den verehrten Goethe erfahren,daß er diese vielen Bildkreuze nicht gemocht hatte. Und wenn iah auch schon gewöhnt bin, so manches Voreilige über die große Persönlichkeit Goethes zü hören, so hat mich diese seine „negative Sicht“ doch sehr betroffen, und ich mußte ihr nachgehen. Denn es war ja Goethe, der dies gesagt haben soll.

Und wie deute ich mir diese negative Sicht Goethes? Zuerst wohl, indem ich mir sage, daß uns katholischerzogenen Menschen, seitdem wir sehen können, überall dieses Christusbild am Kreuz entgegen kam. Wir wachsen auf mit diesem Bild, es begleitet uns in der beheimateten Landschaft, und in den Spitälern ist es den Kranken, vielleicht unbewußt, ein Gleichnis der eigenen, armen Krankheit, zu dem hohen Opfer Christi am Kreuz — für uns alle!

So ist dieses Bild mit uns mitgegangen, und erst viel später, haben wir beim Anblick des Bildes an die Leiden Christi gedacht, aber nicht mit Erschrecken. Weil auf diesen Kindheitswegen uns unbewußt ein beschwichtigendes Flüstern vom Kreuz erreichte. Ein Flüstern, das uns zu sagen schien: „Nehmt mich mit euch und bedenkt, daß ich auferstanden bin schon hier auf Erden. Wer aber könnte schon ein gültiges Bild schaffen von der Auferstehung, die Gottvater an mir gewirkt? So soll mein Bild am Kreuz nicht schrecken, sondern euch hinwenden zur |— Auferstehung!“

Und Goethe? Seine Sicht? Im Land wo er aufgewachsen, beheimatet war, da war er nicht begleitet vom Christasbild am Kreuz, kein Flüstern konnte ihn erreichen. So mochte er glauben, in diesen Wiederholungen der Kreuze auf den Wegen in unseren Ländern eine Verflachung unserer Sicht auf den Schmerzenschristus erkennen Zu müssen, zu der er sein Nein sagen mußte. Dieses „Nein“, das uns leicht zur Hand ist, während das „Ja“ frömmste Mühe von uns fordert.

So war Goethes Sicht auf das Christusbild, erst einmal von Schmerz gezeichnet, während wir in unseren Land in noch unbewußtem kindlichen Vertrauen an das Kreuz uns schmiegten.

Dafür aber kündet uns Goethe, am Ende seines Faust II. Teil, Chorus Mysticus, von der Erlösung — von der Liebe — denn: „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“!

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