Langeweile: Das Problem mit der zähen Zeit
Im digitalen Zeitalter ist die Langeweile vom Aussterben bedroht. Doch anstatt sie zu meiden, sollten wir lernen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Ein Essay.
Im digitalen Zeitalter ist die Langeweile vom Aussterben bedroht. Doch anstatt sie zu meiden, sollten wir lernen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Ein Essay.
In der Linzer PostCity, hoch über der Stadt, wird bald ein Sonnendeck zum kunstvollen "Zeit-Totschlagen" einladen - besser gesagt zum "Himatsubushi", wie das auf Japanisch heißt. "Himatsubushi ist ein schöner, ironischer, fast philosophischer japanischer Ansatz", erklärt der Leiter der Ars Electronica, Martin Honzik. Das große Kunst-und Technikfestival wird heuer vom 6. bis 10. September über die Bühne gehen. Im Trubel der zukunftsweisenden Veranstaltung soll dieses Projekt den Besuchern ein paar Momente der Entschleunigung verschaffen. Die Ars Electronica findet nun zum vierten Mal im ehemaligen Postverteilzentrum des Hauptbahnhofs statt. Unter dem Titel "Error - the Art of Imperfection" wird sie sich auf insgesamt 100.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche mit Irrtümern im Zeitalter der Digitalisierung beschäftigen.
Vielleicht ist die "Kunst, Zeit totzuschlagen" heute tatsächlich eine dringliche Strategie des (post-)modernen Menschen. Denn der mag sich der Langeweile gar nicht mehr aussetzen. Und wenn ihn dieses gefürchtete Gefühl dann doch befällt, scheint er ihm hilflos ausgesetzt zu sein. Er kann zwar vor ihm fliehen, aber er kann es kaum noch bewältigen. Vielleicht zählt unsere Einstellung zu dieser Gefühlslage ja ebenfalls zu den großen Irrtümern im digitalen Zeitalter.
Bore-out: Kehrseite des Burn-out
Begonnen hat das aber schon früher: Bereits der dänische Philosoph Sören Kierkegaard sah in der Langeweile die Wurzel allen Übels. Die britische Schriftstellerin Mary Renault betrachtete sie als intellektuelle Niederlage. Und Jean Baudrillard, der lustvolle Provokateur der Postmoderne, erklärte sie sogar zum schlimmen Verbrechen. Es scheint, als ob die großen Denker in einer harmlosen Geistesverfassung gleichsam einen gefährlichen Tiger auszumachen glaubten - mit der fatalen Konsequenz, dass dieser Tiger zu stark gejagt wurde und nun von der Ausrottung bedroht ist. In einer rundum beschleunigten Gesellschaft, in der Ära der entgrenzten Arbeit und der Smartphone-Sucht wurde die Langeweile so weit zurückgedrängt, dass kaum mehr jemand etwas mit ihr anzufangen weiß. Längst gehört sie auf die rote Liste der bedrohten Geistesverfassungen. Höchste Zeit, Alarm zu schlagen.
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