Hundegger - © Foto: © Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Barbara Hundegger: Von Ängsten, Wunden, Gier und Moos

19451960198020002020

Gesellschaftspolitisches Engagement und Sprachkritik waren ihr schon immer ein Anliegen. Dass Gedichte dafür in besonderer Weise geeignet sind, hat die österreichische Lyrikerin Barbara Hundegger in ihren Werken bereits seit vielen Jahren unter Beweis gestellt.

19451960198020002020

Gesellschaftspolitisches Engagement und Sprachkritik waren ihr schon immer ein Anliegen. Dass Gedichte dafür in besonderer Weise geeignet sind, hat die österreichische Lyrikerin Barbara Hundegger in ihren Werken bereits seit vielen Jahren unter Beweis gestellt.

Werbung
Werbung
Werbung

Barbara Hundegger gilt mittlerweile als eine der herausragenden Sprachkünstlerinnen Österreichs. Anlässlich ihres 60. Geburtstags Ende Mai ist nach der lyrischen Biografie über den Kartografen Peter Anich (2019) ein neuer Gedichtband mit dem Titel „[in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis]“ im Haymon Verlag erschienen. Eine umfassende Würdigung ihres Schaffens und eine fundierte Einführung in ihre dichterische Arbeitsweise bietet das Nachwort von Daniela Strigl.

Im Zentrum der neuen Lyrik stehen neun Themenbereiche, die in einzelnen Zyklen poetisch und sprachkritisch ausgelotet werden. Dabei möchte Hundegger vor allem „Atmosphären“ erzeugen, die als Folge „gesellschaftlicher Missstände“ hervorgerufen und vielfältig assoziiert werden können. „Diese permanent vorhandenen gesellschaftspolitischen Vorgaben in mein Schreiben nicht miteinzubeziehen wäre für mich: literarische Ungenauigkeit“, meint sie in einem Gespräch mit dem Verlag. Neben Sozialkritik und Feminismus belichtet Hundegger Aktuelles oder sie schärft etwa das Sprachbewusstsein in der Neuposition von Redewendungen, Phrasen und Floskeln. In formaler Hinsicht bleibt sie sich mitkonsequenter Kleinschreibung und – abgesehen vom Doppelpunkt – interpunktionslosen Texten treu.

Reimpoesie für „corona-kids“

Das Thementableau eröffnet Hundegger mit Corona-Gedichten, in denen sie sarkastisch ein Bild von der „weltweit größte[n] maskerade“ und den „bewaffenten debatten“ zeichnet. Als es Lockdown heißt, wird die soziale Kluft in der Gesellschaft besonders spürbar. Die einen begnügen sich mit kleinstem Raum, während andere ein „lockup“ erleben und zwischen Abstandsregeln und Quarantäne mit dem Privatjet zum home office auf die Insel fliegen. Am Schluss findet sich – quasi als „bonus-track“, wenn sich der Kreis wieder schließt, – eine experimentelle Reimpoesie für „corona-kids“, in der sie mit Vokalund Binnenreimen arbeitet und sich dabei inhaltlich auf die Natur konzentriert: „kurios so ein moos | es macht von innen wolkenlos“.

Mit der „[angst-partie]“ verbeugt sie sich vor Elfriede Jelinek. Ihr ist dieser Zyklus auch gewidmet. Hier dekliniert Hundegger in unterschiedlichsten Facetten sämtliche mit Angst verbundenen Gefühle; personifiziert in ihrer existenziellen Dimension erweist sich Angst als „grund“ und „resultat“ zugleich: „die angst die dir eingepflanzt / wurde | die angst die man dir / in fetzen: herausgerissen hat“. Und wenn Sirene oder Blaulicht ertönen, schält sich die „akustik der angst“ heraus.

Besondere Aufmerksamkeit verdient der titelgebende Zyklus über den Holocaust, dem ein Zitat von Ruth Sands aus dem Dokumentarfilm „Things. Places. Years“ vorangestellt ist. Hier widmet sich Hundegger in emphatischen Bildern den Folgen der Schoa auf die Nachgeborenen. Geblieben ist die Furcht vor „geschlossene[n] räume[n]“, vor dem, „was sie enthalten an abwesenheit | an abdrucken derer die / hier: gelebt haben“. Der Verlust der Heimat, ein Mangel an Zugehörigkeitsgefühl und das Unvermögen, irgendwo heimisch zu werden, führen zur Erkenntnis, dass jeder sein „eigenes israel“ in sich suchen muss. Wenn einem nur Bilder, Fotos geblieben sind, fällt sogar das Erinnern schwer, weil der Verlust der Familiengeschichte auf allen Ebenen wahrnehmbar ist. Flucht, Warten, „fremd-sein und es bleiben in der / anderen sprache auch nach jahren“ – all das hat unheilbare Wunden hinterlassen, sodass man nicht mehr in eine Stadt zurückkehren möchte, zu der man keine Verbindung spürt, obwohl man sich hier „manchmal fürchterlich heimelig“ fühlt. Die Frage nach der Identität bleibt schmerzhaft und ambivalent: „und wie oft dich denn noch fragen / was das ist: jüdischsein | für dich | / und dass du dir: mehr darin finden müsstest als es nur vage entgegen- / zunehmen | nur fortzuführen / weil es: zur ausrottung vorgesehen war“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung