Mit brachialer Derbheit, ungefiltert

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Nach der Lektüre des Romans "Chronik einer fröhlichen Verschwörung" bleibt ein gewisses Unbehagen über die hier angehäuften Akte der Inhumanität und Rücksichtslosigkeit, auch wenn sie vorgeblich dem Aufbrechen von Denkschleifen und Vorurteilen dienen wollen.

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Nach der Lektüre des Romans "Chronik einer fröhlichen Verschwörung" bleibt ein gewisses Unbehagen über die hier angehäuften Akte der Inhumanität und Rücksichtslosigkeit, auch wenn sie vorgeblich dem Aufbrechen von Denkschleifen und Vorurteilen dienen wollen.

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Die Miniaturisierung des Texts achtet die Lebenszeit des Lesers", schrieb der 2006 zu früh verstorbene Bruno Weinhals, ein Gedanke, der Richard Schuberth fern liegt. "Chronik einer fröhlichen Verschwörung" nennt er seinen voluminösen Roman, und fröhlich kann man sich die Stimmung des Autors beim Schreiben durchaus vorstellen, denn er wählt ein recht unorthodoxes Figurenpaar.

Ein alter, vereinsamter Philosoph namens Ernst Katz trifft auf die junge Schulabbrecherin Biggy aus Sankt Pölten alias "Sankt Blöden". Ihre provokante Art, die Missbilligung der Mitreisenden im Zugcoupé herauszufordern, gefallen ihm, und natürlich ihre Jugend samt entsprechender Körpervorzüge. Auch Biggys pubertäres Ausreizen von Scham- oder Anstandsgrenzen begeistert den alten Herrn und regt ihn zu manchem Konkurrenzkampf auf diesem Terrain an. Eigentlich aber will er das mit schöner Regelmäßigkeit als Göre titulierte Mädchen in seine Gedankenwelt einweihen.

Besser als der Rest der Welt

Biggy wiederum hat ein Vaterproblem und lässt sich überraschend willig von den beredten Monologen des alten Herrn blenden, bis sie - wie der Leser -bemerkt, dass ihm seine eloquente Großspurigkeit am besten mit einer 17-jährigen Zuhörerin gelingt. "Er stammt aus einer Zeit, verkündete er, in der es als höchster Wert galt, nicht käuflich zu sein, und er müsse in einer Zeit leben, in der es als höchster Wert gelte, sich gut zu verkaufen." Sentenzen wie diese sind selten eingestreute Glanzstücke in zähen Monologen und den oft ein wenig holprigen Dialogen. Gemeinsam ist beiden Figuren jedenfalls die reichlich problematische Überzeugung, anders, also besser, jedenfalls aber klüger zu sein als der Rest der schnöden Welt.

"Ich wäre ein lausiger Romancier. Glaub's mir. Man käme mir schnell auf die Schliche, dass ich Handlungen und Figuren nur als Vorwand montieren würd'. Das ist der wesentliche Unterschied. Für mich hat der abstrakte Gedanke mehr Fleisch und Blut als die Krankenschwester der Groschenromane oder die Gebrüder Karamasow. Die verkämen in meinen Romanen nur zu Dekor." Das verkündet Katz einmal, und es könnte auch mit Blick auf den gesamten Roman gesprochen sein. Zumindest scheint hier keine der Figuren das, wofür ihr Autor sie ausgeben will. Katz ist nicht unangepasst, sondern verbittert, er ist auch nicht wegen unorthodoxer Gedanken aus dem Uni-Betrieb herausgefallen, sondern wegen sexueller Beziehungen mit seinen Studentinnen. Dankbarerweise sichert ihm ein Erbe ein sorgenfreies Leben, von dem bald auch die bei ihm einziehende Biggy hemmungslos profitiert. Kleinliche Vorstellungen von Anstand und Moral gilt es schließlich zu überwinden. So fällt es Biggy auch nicht schwer zuzugeben, dass sie Viktor Klimas Glauben an die Lendenkraft arabischer Jungmänner teilt und dementsprechend ihre Sexualpartner auswählt.

Auch Ernsts Gedankenqueen, die KZ-Überlebende Klara Sonnenschein, deren Denkschnipsel als Mottos die einzelnen Kapitel eröffnen, war wohl nicht wirklich die große Liebe seines Lebens. Ihre Briefe, die Biggy am Ende heimlich liest -auch Diskretion ist für sie eine überholte Kategorie -, machen klar, dass Katz sie wegen seiner damals noch florierenden Karriere im Stich gelassen hat, was zu ihrem Selbstmord zumindest beigetragen haben könnte. Zum Ausgleich gewährt ihr der Autor gegen Ende des Buches einige Kurzbesuche im Irdischen.

Unsägliche Literaturbetriebler

Die titelgebende Verschwörung betrifft den Autor René Mackensen, der auf Anraten seines Lektors einen Roman über Klara Sonnenschein plant, was Katz, selbst Jude, als Anmaßung und persönlichen Übergriff empfindet. Vielleicht hat er auch Angst, dass seine unfeine Rolle in ihrem Leben zu Tage kommt oder die Frage gestellt werden könnte, weshalb er -gleichsam eine Schmalspurvariante des Verhältnisses Elias und Veza Canetti -ihre in seinem Besitz befindlichen Schriften nie publiziert hat. So inszenieren die beiden skurrile, aber für den Autor auch gemeingefährliche Verwirrspiele, um seinen Plan zu vereiteln. Mackensen ist die einzige Figur des Romans, die zumindest streckenweise sympathisch ausfällt, während die anderen Akteure des Literaturbetriebs bizarr abartig gezeichnet werden. "... mit niemandem kann man so stilvoll scherzen wie mit dir", meint einer dieser unsäglichen Literaturbetriebler am Ende eines "Skype-Chats", den der Autor lustvoll ins besonders Banale kippen ließ.

Am Frustrierendsten ist vielleicht Biggys umfänglicher Bericht über ihre Aktion am Ende einer regionalen Castingshow. Sie wiederholt die Live-Defäkation der "Uniferkelei" von 1968 -mit einer kleinen Adaption, die wie eine Karikatur auf den gesellschaftlichen Fortschritt wirkt: Die junge Dame hat vorher blaue Lebensmittelfarbe zu sich genommen, die den Herren anno dazumal noch nicht zur Verfügung stand.

Brachiale Derbheit

Am Ende des Romans lässt der Autor seine Göre zu sozialem Engagement finden, das ihm sicherlich ein Anliegen ist. Just an Mackensen und seinem Freund glaubt Biggy plötzlich zu sehen, dass deren Zynismus und ihr Spiel mit "verdächtig hysterischen Brüchen von Tabus, die längst nicht mehr verbindlich sind", zu nichts führe. Das ist eine richtige Erkenntnis, die Biggy allerdings nicht auf sich selbst zu beziehen scheint.

Man könnte das Buch mit seiner brachialen Derbheit in sexuellen wie allgemein menschlichen Belangen in der Tradition des Schelmenromans lesen: Hier gibt eine grobianische Figur ihre Eindrücke ungefiltert wieder, was sie in ihrer Fixierung auf die Befriedigung kreatürlicher Bedürfnisse entlarvt und zugleich eine satirische Dekonstruktion der Gesellschaft und ihrer Hohlheiten ergibt.

Doch im Jahr 2015 ist das Verschieben von Schamgrenzen wie das Brechen von Tabus oder das irritierende Spiel mit wechselnden Selbstinszenierungen längst Mainstream geworden und hat seine aufklärerischen Wirkungspotentiale weitgehend verloren. Ein Tabubruch wäre heute allenfalls, wenn Katz nicht seine mäßig interessanten Erfahrungen mit Viagra beschreiben würde, sondern seine freilich uncoolen Wechselbeschwerden.

So bleibt nach der Lektüre des Romans ein gewisses Unbehagen über die hier angehäuften Akte der Inhumanität und Rücksichtslosigkeit, auch wenn sie vorgeblich dem Aufbrechen von Denkschleifen und Vorurteilen dienen wollen. Natürlich sind die Ohrfeigen, die Biggy austeilt, eine mögliche Antwort auf pietätloses Verhalten pubertierender Schüler in der Gedenkstätte Mauthausen. Aber ob das auch die richtige ist, bleibt - wie bei vielen im Roman geschilderten "Interventionen" - als bedrückende Frage stehen.

Chronik einer fröhlichen Verschwörung Roman von Richard Schuberth Zsolnay 2015.480 S., geb., € 23,60

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