6567696-1950_05_05.jpg
Digital In Arbeit

Das neue österreichische Wörterbuch

Werbung
Werbung
Werbung

Im Nachstehenden gibt die „Furche“ einer ersten kritischen Stimme zu dem Plane eines amtlichen österreichischen Wörterbuches Raum. Die Ausführungen des Verfassers erscheinen als Grundlage einer fruchtbaren Diskussion geeignet, i .Die österreichische Furche“

über den Wert der deutschen Sprache hat Arthur Schopenhauer vor etwa hundert Jahren gesagt: „Die Sprache ist der einzige entschiedene Vorzug, den die Deutschen vor anderen Nationen haben, denn sie ist viel höherer Art als die übrigen europäischen Sprachen, welche, mit ihr verglichen, bloße Patois sind. Sie ist (wie ihre Schwestern, die schwedische und dänische) eine Tochter der gotischen Sprache, die unmittelbar vom Sanskrit stammt. Daher ihre der griechischen und lateinischen nahekommende Grammatik... Die deutsche Sprache ist unter den jetzigen europäischen die einzige, die durch den künstlerischen und organischen Bau ihres grammatischen Teils und die daran hängenden Möglichkeiten einer freieren Konstruktion der Perioden den beiden antiken klassischen Sprachen beinahe gleichsteht.“ Dieses Werturteil, bezeichnenderweise in einer Abhandlung .über die Verhunzung der deutschen Sprache“ enthalten, hat auch heute noch Gültigkeit, und zwar nicht nur für die deutsche Sprache schlechthin, sondern auch für das in Österreich geschriebene und gesprochene Deutsch, die spezifisch österreichische Form der deutschen Schriftsprache (nicht zu verwechseln mit der österreichischen Mundart). Daß es eine solche gibt,.kann nicht bestritten werden. Ohne Zweifel hat sich auf österreichischem Boden in einer Jahrhunderte langen Entwicklung unter dem Einfluß der wechsel-vollen Geschichte Innerösterreichs, der Tatsache der Nationalitätenmischung, der relativen Abgeschiedenheit seiner Gebirgstäler und verschiedener anderer Faktoren eine Sprache herausgebildet, die — auch wenn man eindeutig mundartliche Ausdrücke außer Betracht läßt — in erheblichem Umfang ein eigenes Vokabular besitzt und so manche grammatikalische Besonderheiten aufweist, die von der Schriftsprache im sonstigen deutschen Sprachgebiet abweichen. Durch diese Abweichungen wird aber nur ihr Habitus berührt; in ihrem Kern ist sie das gleiche empfindliche, hochwertige Ausdrucksmittel geblieben wie die gemeinsame deutsche Muttersprache. Wie alle in hohe Form gebrachten Sprachen letzten Endes Schöpfungen der geistigen Elite sind, so auch die österreichische Schriftsprache, die einzigartig durch die Dichtungen Grillparzers repräsentiert wird. Zu ihren Vorzügen, die keinesfalls aufgegeben werden dürfen, zählen — auch wenn man von allem Mundartlichen und der Aussprache absieht — eine gewisse Weichheit, Anmut und Musikalität, Eigenschaften, die vielleicht mit der Flüssigkeit des Stils und den Trammatikalischen Eigentümlichkeiten zusammenhängen (klassischer Zeuge hiefür wieder die Dichtungen Grillparzers, in denen so manches an Mundart anklingt, ohne es zu sein). Weiter wird diese Sprache gekennzeichnet durch den reichlichen — vielleich allzu reichlichen — Gebrauch von Fremdwörtern.

Wenn hiemit eine eigene österreichische Schriftsprache anerkannt wird, so darf doch niemals vergessen werden, daß wir Österreicher nach wie vor an der gemeinsamen deutschen Schriftsprache teilhaben, daß wir — nicht nur mit der Sprache — einem größeren deutschen Kulturkreis angehören und damit eine gewisse Verantwortung tragen. Nach alledem ist — so wie die gemeinsame deutsche Sprache für die anderen deutsch sprechenden Länder (außer Deutschland ein Teil der Schweiz, ein Teil Belgiens und die deutschen Minderheiten in den an Deutschland angrenzenden Ländern) — auch das österreichische Schriftdeutsch für uns Österreicher ein kostbarer Schatz, der gehütet werden muß und mit dem nicht überflüssig experimentiert werden sollte.

Nun sollen, wie verlautet, mundartliche Ausdrücke, ohne oder mit besonderer Kennzeichnung als Mundart, und ferner „Verdeutschungen“ von Fremdwörtern in — nach dem, was bisher bekannt geworden ist — bedenklichem Umfang in ein amtliches Wörterbuch aufgenommen werden. • •

Das .Hineinarbeiten“ eindeutig mundartlicher Ausdrücke oder auch Redewendungen in ein amtliches Wörterbuch, das heißt ein Vermengen von Schriftdeutsch und Mundart in einer amtlichen Publikation würde nicht nur zu einar bedenklichen Senkung des Niveaus der österreichischen Schriftsprache führen; das Ergebnis wäre geradezu eine Verunzierung, ja ein richtiges .Verhunzen“ der doch edleren deutschen Schriftsprache und durchaus geeignet, Österreich der Lächerlichkeit auszusetzen und den Ruf semer Kultur zu gefährden. Es gibt wohl kein anderes Land mit deutsch sprechender Bevölkerung, in dem sich die maßgebenden Stellen an ein solches Experiment heranwagen würden.

Dagegen besteht selbstverständlich über die Berechtigung von Pflege und Bewahrung eines mundartlichen Wortschatzes kein Zweifel, aber diese sollten in den Händen jener meist lokalen und nicht beamteten Stellen bleiben, die sich bisher damit befaßt haben. Sie sind in der Regel den Organen und Organisationen koordiniert, die sich mit Heimatkunde im allgemeinen befassen. Die berufensten Förderer alles Mundartlichen sind die Mundartdiditer, die es überall dort gibt, wo beachtenswerte Mundarten gesprodien werden. Ihnen fällt die gleiche nicht minder zu schätzende Aufgabe zu wie den Meistern der Schriftsprache. Mundarten entwickeln sich am glücklichsten, wenn man sie ihrem natürlichen Wachstum überläßt; sie bedürfen keiner behördlichen Lenkung oder sonstigen Gängelung.

Hiezu kommt, daß es in Österreich keine einheitliche Mundart gibt; es gibt ein Wienerisch in zahlreichen Nuancen, angefangen vom „ Schönbrunnerisch“ der ehemaligen österreichischen Aristokratie über das so sympathisch anmutende Wienerisch bürgerlicher Kreise bis zu den in den „enteren Gründen“ (Vorstadtbezirke Wiens) gesprochenen Idiomen. Dann folgen gegen Westen und Süden voneinander etwas abweichende Mundarten, weiter das Tirolerische und jenseits des Arlbergs die dem Schweizerdeutsch ähnliche alemannische Mundart der Vorarlberger.

Welche von den zahlreichen Mundarten Österreichs sollte also im Wörterbuch festgehalten werden? Etwa eine Durchschnittsmundart? Hiezu kommt, daß die in den westlichen Alpenländern übliche Mundart mit dem in Bayern gesprochenen „Boarisch“ nahezu übereinstimmt. Es ergäbe sich somit der merkwürdige Zustand, daß die für Österreich reklamierte Mundart mit geringen Abweichungen auch in einem Teil Deutschlands gesprochen wird, der größer und, volkreicher ist als Österreich,

Was man in der „Verdeutschung“ von Fremdwörtern vorzuhaben scheint, ist keine eigentliche Verdeutschung; eine solche wäre die Ersetzung des Fremdwortes durch das begrifflich entsprechende deutsche Wort. Zum Beispiel Arrangement durch Anordnung, Vergleich, Bouquet durch Blumenstrauß usw. Hier aber soll die originale Schreibweise eines Fremdwortes (das an sich beibehalten wird) ersetzt werden durch die Wiedergabe der originalen Aussprache nach dem Gehör unter Verwendung der im Deutschen üblichen Vokale, Umlaute und Konsonantenverbindungen. Zum Beispiel Chauffeur durch Schofför, Charme durch Scharm, vielleicht auch Plateau durch Plato. Wenn da einigermaßen „ins Zeug gegangen wird“ — und das scheint nach den bisher bekanntgewordenen Beispielen beabsichtigt zu sein (Amatör, Oransche, Bagasch, dieses Wort aber nicht mit der Bedeutung: Gepäck, sondern: Gesindel, Pack) — ergäben sich Wortgebilde, die unbedingt Kritik herausfordern müßten. Aber auch wenn man sich Beschränkung auferlegen wollte — wo sollte die Grenze gezogen werden zwischen noch erträglichen Verdeutschungen und abgeschmackten Übertreibungen? Sie zu finden wäre ebenso schwierig wie die Grenze zwischen noch tragbarer und peinlich vulgärer, nicht mehr wiederzugebender Mundart. Unseres Erachtens wäre jeder Versuch, die bereits ein-gelebten Verdeutschungen mit einem Schlag in erheblichem Umfang 2n, vermehren, abwegig. Jeden einigermaßen sprachästhetisch veranlagten Menschen müssen alle derartigen Verdeutschungen schmerzen. Sind sie doch nichts anderes als die sklavische Durchführung einer fremden Aussprachevorsdirift. Sie haben ihren richtigen Platz in einem Lehrbuch der französischen Sprache für Deutsche (Anfänger) und könnten in ein solches unverändert aufgenommen werden.

Hiezu kommt: Die Vorliebe der Österreicher für Fremdwörter und ihr Eifer, sie auch richtig auszusprechen, ist die Folge einer größeren weltbürgerlichen Aufgeschlossenheit; durch die beabsichtigte Aktion würde nun der etymologische Ursprung von Fremdwörtern mehr oder weniger brüsk verwischt. Das hieße: nicht nur eine erreichte Horizonterweiterung wieder aufgeben, sondern auch Unwissenheit und Unbildung fördern und ein etwa vorhandenes Bildungsstreben autoritativ abbauen. An Stelle einer Bereicherung — unsere Sprache ist durch den Gebrauch richtiggeschriebener und ausgesprochener Fremdwörter farbiger und lebendiger geworden — träte eine nicht wiedergutzumachende Verarmung.

Sollte sich die Unterrichtsverwaltung entschließen, von der Aufnahme mundartlicher Ausdrücke und krasser sogenannter Verdeutschungen in das Wörterbuch abzusehen, bliebe die Herausgabe eines solchen, in dem bloß das spezifisch österreichische Vokabular und die österreichischen Besonderheiten der Grammatik zum Ausdruck kämen, übrig. Würde sich das lohnen? Man wird vor allem nach dem Anlaß einer solchen Aktion im gegenwärtigen Zeitpunkt fragen. Das „Ressentiment“, an das man beim Bekanntwerden der Absichten der Unterrichts Verwaltung zunächst zu denken geneigt war, ist doch schon längst

überwunden? Oder Betonung der Eigenstaatlichkeit? Oder wird bezweckt, die durch die deutsche Invasion dem Österreicher mehr oder weniger aufgezwungenen Wörter einer ihm nicht in die Ohren klingenden Prägung (zum Beispiel Norddeutsch) wieder auszumerzen? Diese ,,Fremdkörper“ sind entweder schon ausgeschieden oder werden es in Kürze sein. Nur bei dem besonders zählebigen Amtsstil wäre vielleicht ein Nachdruck nötig, ohne daß es aber eines Wörterbuches bedarf. Die Mehrheit der Österreicher, die heute noch durch zahllose beschränkende Vorschriften und sonstige Gängelungen geplagt sind und denen außer ihren persönlichen Sorgen eine Fülle unausgeglichener Spannungen ständig auf die Nerven fällt, dürfte wahrscheinlich eine soldhe Aktion zumindest als überflüssig empfinden. Es ist zu hoffen, daß es dem politischen Takt der entscheidenden Stellen gelingen wird, das Richtige zu treffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung