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Für und wider den unbequemen BB

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Es gibt nur wenige Dichter, bei denen das Werk so sehr mit der Person verhaftet ist wie bei Bertolt Brecht. Man kann Person und Werk kaum trennen, dies um so mehr, als der eminent politisch denkende Brecht in seinen Stücken nicht nur Reflexe des Politischen bieten wollte, sondern von den Brettern her einfach politische Wirkungen erstrebte.

Die ebenso komplexe wie schillernde Erscheinung dieses Dramatikers, der heute besonders von der geistig orientierten Jugend Frankreichs beinahe fanatisch verehrt wird, legt immer wieder hinsichtlich seiner Person die Frage nahe: Wer war er nun eigentlich? Max Högel gibt darauf in seinem Buch „Bertolt Brecht“, das er ein „Porträt“ nennt, vielfach Antwort. Der Augsburger Högel schreibt über den Augsburger Bürgerssohn Eugen Brecht, der erst im Jahre 1916 den Vornamen Bertolt verwendet, aus der Kenntnis des heimatlichen Bereichs, in dem der junge Dichter zum Rebell wurde, und mit Verwertung der heute bereits überreichen Brecht-Literatur. Es entsteht eine vorzügliche Darstellung, die vieles bisher Undurchsichtige durchsichtig macht und vor allem das Kraftfeld im Inneren dieses Dichters bloßlegt.

Högel scheint sofort ins Zentrum der Persönlichkeit Brechts zu stoßen, wenn er behauptet, daß alles in ihm zu einer riesenhaften Disharmonie von Wille und Vorstellung wuchs, die „sein inneres Gleichgewicht störte und den Menschen spaltete“. Und eben dieser Ich-Spaltung in Ich-Betonung und Ich-Auslöschung, in Fortschrittsoptimismus und Hoffnungslosigkeit, in Protest und Unterwerfung sei das „feuerflüssige Magma seiner dichterischen und literarischen Funktion“ entstiegen. Ja, Högel spricht nicht nur von einer Mischung von Genialität und Scharlatanerie, sondern geradezu von einem Ineinander von Gesicht und Maske. Brechts Selbstporträts seien Verfremdungen gewesen, hinter denen sich der eigentliche Brecht, der Brecht der inneren Zerrissenheit, verbarg.

Wie der Sohn eines wohlsituierten Fabrikdirektors zum Rebellen, zum „Re-venant aus den Bauernkriegen“ wurde, zeigt der Autor überzeugend auf, er verweist aber auch darauf, daß Brecht bei der Kommunistischen Partei nie als vollwertiger Marxist galt. Schon früh bezeichnete ihn die „Rote Fahne“ als einen „zum Kommunisten tendierenden Intellektuellen bürgerlicher Herkunft“. Bis zuletzt haftete ihm der Makel an, ein „bürgerlich-individuell belasteter Intellektueller von sektiererischer Färbung“ zu sein, den man aber als Aushängeschild, als „größten Dichter auf marxistischer Seite“, brauchte. Dieser Gegensatz läßt sich auch daran erkennen, daß Brecht nie der KPD beitrat. Den Grund hierfür vermutet Högel wohl mit Recht in seiner übersteigerten Eigenliebe; er wollte stets der Führende sein und vertrug es nicht, daß jemand über ihm stand. Soldatische Disziplin sagte ihm wohl zu, aber nicht er, die anderen sollten sich fügen. So verdrängte er, wie Högel dartut, seinen Führungsanspruch ins Lehrhafte; manche seiner Stücke, die Art seiner Regieführung sind der Beweis.

Högel arbeitet die Widersprüche auch in Brechts Anschauungen heraus. Brecht bekannte sich zur Gewalt des Klassenkampfes, denn der Mensch müsse zu seinem Glück gezwungen —erden, er sah aber den Krieg als Übel an. Doch richtete sich nun wieder dieser Antigewaltkomplex nicht auch gegen Rußland. „Brecht maß immer mit zweierlei Maß“, sagt Högel. Beziehungen zu metaphysischen Bereichen fehlten ihm, er ließ sich in religiösen Fragen nie gerne ansprechen. Das läßt auf die Schwäche seiner inneren Position schließen. Högel sieht in Brechts Schaffen messianische Absichten, darnach wollte er „Priester einer Religion menschlicher Versöhnung im Diesseits sein“. Daß mißlang; da „diese Religion ohne Gott war, erkaltete ihm die Welt“.

Aus alledem geht eine zwiespältige persönliche Haltung hervor, ja, wann immer Brecht in direkte Berührung mit der Politik trat, machte er laut Högel eine „klägliche Figur“. Er schloß Kompromisse, die der Doppelzüngige „mit List, Dialekt und Verfremdung bewältigte“. Högel zeigt, worin sich Brecht von der Partei distanzierte, aber auch, daß er sich immer wieder vor den roten Machthabern — vielleicht knirschend — verneigte und ihre Ehrungen annahm. Den Grund dafür sieht der Autor in einem gewichtigen persönlichen Vorteil: in der Möglichkeit, die man ihm bot, selbst ein Theater mit unbeschränkten Spiel- und Finanzmitteln zu leiten. In Brechts „Galilei“, der sein Genie opportunistisch den Machthabern überliefert, „es zu gebrauchen, es nicht zu gebrauchen, es zu mißbrauchen, ganz wie es ihren Zwecken diente“, glaubt Högel daher wohl berechtigt Brecht selbst zu erkennen. Verneinte dieser Dramatiker theoretisch alles Tragische, so waren seine Gestalten doch tragisch angelegt, und sein eigenes Leben, so darf man aus dem Buch schließen, wurde erst recht zur Tragödie.

Insgesamt ergibt sich, daß Högel die komplexe Persönlichkeit dieses Dichters vorurteilsfrei in allen ihren vielen Facetten darstellt, er beschönigt weder noch hebt er das nicht zu Bejahende über Gebühr hervor. Und als Dichter beurteilt er ihn positiv. Mag auch keine Spur dieses Geistes, sagt Högel, auf Nächstenliebe deuten, sondern eher darauf, daß „Brecht nur ein Phantom liebte: die Idee vom idealen sozialistischen Menschen der Zukunft“, so ist er seiner Meinung nach doch der „Störenfried des eingeschlafenen Widerspruchs“, hat das Schönste in verfremdetem Weltleid, das Rührendste im Mitleid geschrieben. Und das genüge, um ihn als großen Dichter auszuweisen.

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