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Kontroverstheologie im Sinken

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Es vollzieht sich in den interkonfessionellen Beziehungen ein begrüßenswerter Prozeß, der sich in ernsthaften, wirklichen Gesprächen zwischen reformatorischen und katholischen Theologen entwickelt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen zunächst zwei Werke, in denen jeweils ein katholischer und ein protestantischer Theologe sich zur Klärung der gegenseitigen Standpunkte zusammengefunden haben. Sie versuchen dabei die doktrinären Gegensätze weder in einem übertünchten Irenismus zu verwischen noch das klare theologische Denken durch nicht näher unterbaute Unä-Sancta-Bestrebungen auszuschalteh. Es vollzieht sich eine Annäherung, und mit Dankbarkeit läßt sich feststellen, daß die Sintflut der früheren polemisch gehaltenen und apologetisch betonten Kontroverstheologie im Sinken ist.

Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung. Rechtfertigung. Von Hans K ü n g. Mit einem Geleitbrief von Karl Barth. Johannes-Verlag, Einsiedeln. 304 Seiten.

Nicht alltäglich ist die Tatsache, daß Karl Barth dieser katholischen Untersuchung einen Begleitbrief mitgegeben hat. noch erfreulicher ist die liebevolle und echt christliche Art, in der dieser Annäherungsversuch begrüßt und die vorgetragene Interpretation bejaht wird: „Ihre Leser dürfen sich also zunächst (bis sie mich vielleicht selbst lesen) daran halten, daß Sie mich sagen lassen, was ich sage, und daß ich es so meine, wie Sie es mich sagen lassen.” Die Untersuchung, die sich auf eine der Fundamental- positionen der Reformation beschränkt, führt zum Ergebnis, daß in der Rechtfertigungslehre, aufs Ganze gesehen, eine grundsätzliche Uebereinstim- mung besteht zwischen der Lehre Karl Barths und der Lehre der katholischen Kirche. Nachdem Barth sich mit der gegebenen Darstellung seines Standpunktes einverstanden erklärt hat, erhebt sich die Frage, ob der Verfasser auch die entsprechende katholische Lehre richtig wiedergegeben hat. Wir glauben, daß dies — ebenfalls aufs Ganze gesehen — tatsächlich der Fall ist. denn der Verfasser, dessen katholische Orthodoxie nicht angezweifelt werden kann, versucht mit allen Mitteln der Interpretation, auch bezüglich der katholischen Rechtfertigungslehre, nicht nur festzustellen, was gemeint, sondern vor allem w i e es gemeint ist. Besonders in der schwierigen Abhandlung über die Gerechterklärung, die. früher .von katholischer Seite weniger’geachtet wurdei’stellf Küng ‘mji Rec f’tesi,” daß man sich auf beiden Seiten nicht mit einer ausschließlich imputativen, nur ängerechneten und somit rein äußerlichen Rechtfertigung zufriedengegeben, sondern sich für eine echte, innerliche ausgesprochen hat, die jedoch so gestaltet ist, daß der neue Mensch auch nach der richtig verstandenen katholischen Auffassung „simul justus et peccator” genannt werden kann. Wichtig ist dabei die Feststellung. daß diese Gerechterklärung sich durch das Wort Gottes vollzieht, das tut, was es sagt. Durch das Wort Gottes vollzieht sich also im M y- s t e r i u m die Einheit vom Deklaratorisch-Juridi- schen mit dem Real-Mystischen. Durch diese erfreuliche Annäherung sind die anderen interkonfessionellen Meinungsverschiedenheiten natürlich noch nicht beseitigt, insbesondere nicht gewisse Grundfragen, wie die Lehre der „analogia entis”, die unseres Erachtens dem reformatorischen Denken so wesensfremd ist, daß wir uns schwer dem Urteil des Verfassers anschließen können, als habe Barth „die Wendung zur Analogie” vollzogen.

Die Arbeit ist vorbildlich und überaus reich dokumentiert, indem nicht nur „Denzinger” und die Theologen, sondern auch die liturgischen Texte — erfrischend neu — als Interpretationsquellen herangezogen werden. Wenn man vielleicht nicht allen — insbesondere exegetischen — Erläuterungen beipflichten kann, so unterschreibt man sehr gerne die oft sehr feinen dogmenhistorischen und konziliengeschichtlichen Betrachtungen. Herzerfreulich ist die warme und manchmal sehr persönliche, vom echt-evangelischen Geist getragene Darstellungsweise, von der sogar K. Barth erklärt: „Ich bewundere und lobe auch Ihre formale Kunst und die gute Sprache, in der Sie die Sache zum Vortrag zu bringen wußten.” Wir denken hier zum Beispiel an den ausgezeichneten Vergleich des „Gefälles” jeder Theologie, das ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche bestimmt.

Gespräch zwischen den Kirchen. Das Grundsätzliche. Von Erich Przywara und Hermann Sauer. Glock-und-Lutz-Verlag, Nürnberg. 106 Seiten. Preis 7.50 DM.

Gerade die Grundstruktur ist es, die der Verfasser — eher typisierend als dokumentierend — skizziert, wozu wieder ein angesehener protestantischer Theologe Stellung nimmt. Die vier Vorträge, die Przywara 1940 gehalten hat. erschienen erst 195.3 als Einzelstudien in der Wiener Zeitschrift „Wissenschaft und Weltbild” und wurden jetzt nach einer Revision zusammen mit einer Antwort von Hermann Sauer in Buchform veröffentlicht. Wie zu erwarten, befaßt Przywara sich nicht so sehr mit einzelnen Lehrsätzen der Reformation, sondern mit ihrer Grundstruktur in den Hauptfragen über Gott, Evangelium, Gewissen und Kirche. Ein Vergleich mit den Ergebnissen von Küng, zum Beispiel über die

Justificatio forensis, wäre zu empfehlen. Hermann Sauers Stellungnahme ist vornehm und von tiefem Ernst getragen, doch läßt er manche Stichworte und Hinweise Przywaras unbesprochen, auch die Anspielung auf die „analogia entis”, die als „je größere Unähnlichkeit in noch so großer Aehnlichkeit” umschrieben wird. Um so fruchtbarer zeigt sich Przywaras Versuch, die reformatorische Theologie im Zusammenhang mit der katholischen — aus der sie, servatis servandis, hervorgegangen ist — zu verstehen. Damit stößt er auf den jungen, halbkatholischen und scholastisch-lateinischen Luther, der — wie H. Sauer zugibt — den protestantischen Theologen weit weniger bekannt ist als der „Deutsche” Luther. Hier sieht Sauer eine Perspektive zur Verständigung, denn nachdem die protestantische Theologie der Neuzeit sich fast ausschließlich mit den Fragen des Kerygmas befaßt habe, müsse sie sich jetzt der Sache des Mysteriums zuwenden. Mit seinen übrigens noch schwachen Hinweisen auf eine notwendige Liturgie, eine mehr persönliche und sakrale Seelsorge, Arkantradition und eine beginnende Mystik steckt dieser protestantische Mysterienbegriff allerdings noch in den Anfängen, aber er bildet gegenüber dem ausschließlichen Wortgottesdienst einen erfreulichen Schritt vorwärts.

Christliches Mysterium und Wort Gottes. Von Divo Barsotti. Aus dem Italienischen übersetzt von Lilo Ebel. Benziger-Verlag. Einsiedeln-Zürich- Köln. 323 Seiten. Preis 118.50 S.

Obwohl dieses vorzüglich übersetzte Werk den reformatorischen Standpunkt nur selten erwähnt,

behandelt es eines der grundlegenden -Diskussionsthemen zwischen den beiden Konfessionen. In einer großartigen Schau und ohne Polemik wird hier dargelegt, daß das Christentum auf einem einzigen Mysterium beruht, das sowohl das Wort Gottes wie die Geschichte des Menschen einschließt. Daher wird auch die intentionale Priorität des Mysteriums vor dem Worte im Titel des Werkes zum Ausdruck gebracht. Der oben erwähnte, von Küng kurz zusammengefaßte katholische Gedanke, daß Gottes Wort das tut, was es sagt, findet in Barsottis Werk einen ausführlichen und wunderbaren Kommentar. Gottes Wort ist nicht nur Aussage, sondern es erwirkt, indem es aussagt, das Mysterium, das heißt es ruft eine geheimnisvolle Wirklichkeit ins Dasein, zuerst in der Schöpfung, dann in der Geschichte Israels, in der Menschwerdung Christi, in den Sakramenten — von denen Augustinus so klar gesagt hat, sie seien sichtbar gewordene Worte (verba visibilia) — und vor allem im Mysterium der Kirche. Denn Gott wird in der Kirche nicht nur und nicht hauptsächlich in den inspirierten Schriften gegenwärtig. sondern die Kirche hat die Schrift in ihre Wirklichkeit, in ihr Leben und in ihre Liturgie aufgenommen, weil sie ankündigt, was sie in ihr bewirkt. So gesehen, interpretiert die Liturgie das Wort Gottes durch das-, was sich in ihr vollzieht. Den Theologen beider Konfessionen wird hier in sehr klarer Darstellung tatsächlich eine „Theologie des Wortes” geschenkt, die ihre tiefe wissenschaftliche Begründung kaum verrät. Trotzdem spürt man, daß der Verfasser sein Thema in souveräner Weise beherrscht und vor allem, daß er es liebt. Er ist von dieser Mysterienwirklichkeit geradezu überwältigt und so sehr erfüllt, daß auch seine Darstellungs- und Ausdrucksweise davon den leuchtenden Glanz ausstrahlt.

DDr. Nico G r eit em an n

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