Traditionelle Biomasse: Unsichtbare Energie

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Gleichermaßen unverzichtbar wie problematisch ist der Einsatz von traditioneller Biomasse. Vom Westen vielfach ausgeklammert, ist diese in vielen Ländern des globalen Südens der wichtigste Energieträger.

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Gleichermaßen unverzichtbar wie problematisch ist der Einsatz von traditioneller Biomasse. Vom Westen vielfach ausgeklammert, ist diese in vielen Ländern des globalen Südens der wichtigste Energieträger.

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Warum haben bis in die späten 1990er Jahre die Statistiken der Internationalen Energieagentur IEA -und nicht nur diese -einen Energieträger übersehen, der quantitativ wichtiger ist als der Beitrag der Kernenergie und mehr Menschen betrifft als diese? Und dabei handelt es sich nicht um ein in geheimen Labors laufendes Perpetuum Mobile oder gar die verwirklichte Kalte Kernfusion: Die ausgewiesenen Expertinnen und Experten ignorierten den ältesten Energieträger: Feuerholz und andere Biomasse. Oder wollten sie ihn nicht sehen?

Zweieinhalb bis drei Milliarden hauptsächlich ärmere Menschen verwenden weltweit Feuerholz, Holzkohle, Tierdung, auch Rückstände aus der Landwirtschaft wie Maisspindeln als alleinige Quelle zum Kochen und zum Heizen. Das Holz sammeln die Menschen "selbst": Das Sammeln ist, ebenso wie das Kochen, meistens die Arbeit von Kindern und Frauen. Dabei entstehen keine Kosten im herkömmlichen, messbaren Sinn, was die Unsichtbarkeit vielleicht teilweise erklärt.

Unverzichtbar und problematisch

Die sogenannte "traditionelle" Biomassenutzung ist sowohl unverzichtbar wie auch problematisch. Nicht nur, weil das langwierige Holzsammeln Frauen und Kinder belastet und der ungebremste Holzverbrauch lokal zur Entwaldung führt. Die schlechte Verbrennung im offenen Feuer mit Wirkungsgraden zwischen fünf und zehn Prozent verschwendet einen knappen Brennstoff. Die daraus resultierenden hohen Emissionen sind nach Schätzung des Weltbiomasseverbandes für bis zu vier Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich: Frauen und Kinder kochen in raucherfüllten Räumen, am Abend wärmt sich die ganze Familie an einem qualmenden Feuer. Traditionelle Biomassenutzung trägt etwa sechs Prozent zur Energieversorgung der Welt bei, das Dreifache der aus Kernenergie produzierten elektrischen Energie.

Österreich verzichtet ja bekanntlich darauf, Kernspaltung zur Energiegewinnung zu nutzen. Man hat sich deshalb hierzulande frühzeitig nach Alternativen umsehen müssen und dabei auch Holz als Energiequelle wiederentdeckt. Die Holzverbrennung wurde beforscht, Holzverbrennungstechnologien konnten enorm verbessert werden. Auch dem Kachelofen kam das zugute. Neben seiner traditionellen Rolle als Heizgerät ist er auch eine Schlüsseltechnologie für die Entschärfung der Probleme der "traditionellen" Biomassenutzung in den Ländern des globalen Südens.

Hafnermeister aus Österreich sind mit dabei, eines der wichtigsten Energieprobleme der Welt zu lösen. Richard Jussel, Ofenbauer aus dem Waldviertel, erzählt, worauf es ankommt beim Know-how-Transfer in die Länder des globalen Südens: Zuerst braucht es ein tiefergehendes Verständnis dessen, was die Menschen im Zielgebiet wirklich benötigen: welche Bioenergie nutzen sie, welche Materialien sind lokal verfügbar, wie sieht die traditionelle Rollenverteilung aus, wie ist die Körperhaltung beim Kochen, usw.

Obwohl der Rauch aus schlechter Holzverbrennung ein großes gesundheitliches Problem darstellt, erzählten die Dorfbewohner in Bhutan dem Projektteam, dass sie das Haus doch hie und da mit Rauch fluten wollten, um Insekten zu vertreiben. In Bhutan konnte Jussel im Auftrag der ADA (Austrian Development Agency) 2006 ein Ofenbauprojekt realisieren, eine Klappe im Rauchfang ermöglicht die Rauchspülungen.

Solche Dinge sind wichtig, um in Österreich einen Prototypen des Ofens herzustellen und zu optimieren. Mit dem Design des Ofens in der Tasche geht es dann wieder ins Zielgebiet. Das wichtigste Element erfolgreicher Technologieverbreitung liegt darin, das Know-how für den Ofenbau selbst zu verbreiten. Der Ofen besteht hauptsächlich aus lokalen Materialien, die oft kostenfrei zur Verfügung stehen: Lehm, Sand, Steine, allenfalls ein paar Metallteile. Aus Österreich kommt das Wissen: wie groß sollen die Luftöffnungen sein, usw.

Richard Jussel schulte 2002 bei einem Projekt im südafrikanischen Zimbabwe Männer und Frauen im Ofenbau. So entstand ein neues Gewerbe: Regional werden Ofenbauer geschult, die neue Öfen bauen und neue Ofenbauer schulen. Die Speicherwirkung des Lehmofens ersparte das neuerliche Einheizen am Morgen. Der in Zimbabwe gebaute Ofen erreichte am Prüfstand einen Wirkungsgrad von 84 Prozent. Dass man mit ihm sehr holzsparend arbeiten konnte, sprach sich im Süden Zimbabwes schnell herum. Der Ofen aus Zimbabwe wurde weiterentwickelt und in Uganda, Tansania, Kenia, Niger und Mali, in Peru und Haiti an die Kultur angepasst und gebaut.

BP nimmt Afrika nicht wahr

Auch die UNIDO erkennt zunehmend die Bedeutung des Themas "Clean Cooking". Neben verbesserten Holzöfen kommen andere Technologien und Energieträger zum Einsatz: Solarkocher, Biogas, Ethanol, umgewandelte agrarische Rückstände. Viele Programme zur Einführung verbesserter Kochtechnologien sind aber gescheitert. Seit man sich in der UN-Klimakonferenz von Paris 2015 darauf verständigt hat, bis 2050 mit dem Verbrennen fossiler Energieträger weitgehend aufzuhören, erscheinen die Aktivitäten um das Thema "Clean Cooking" in neuem Licht. Man darf aber nicht übersehen, dass ein großer Teil der Menschheit energetisch nicht in der Gegenwart der westlichen Industrieländer lebt, sondern weiterhin nahezu ausschließlich von der Solarenergie -wie die gesamte Menschheit bis ins 18. Jahrhundert. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance, weil sie sich den Umweg über die fossile Energienutzung vielleicht überhaupt ersparen können.

Der Ölmulti BP, der sich selbst für einige Jahre seinen Namen mit "beyond petrol"(etwa: "nach dem Öl") neu deutete, lässt allerdings auch in seiner aktuellen Weltenergiestatistik 2016 den wichtigsten Energieträger von etwa drei Milliarden armen Menschen schlicht unerwähnt. Damit fallen auch diese Menschen selbst aus der Wahrnehmung heraus.

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