Wo das Feuilleton kein Reservat ist

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Auszug aus der Dankesrede von Cornelius Hell.

Das meiste von dem, wofür Sie mich heute auszeichnen, war nur möglich durch Medienverweigerung. Sie glauben gar nicht, was ich alles nicht gesehen, gehört und gelesen habe, um meine Artikel schreiben und Sendungen machen zu können. Ich habe es immer als großes Kapital begriffen, dass es in dem Salzburger Bergdorf, wo ich bis zum 10. Lebensjahr gewohnt habe, noch kein Fernsehen gegeben hat und dass dieses Fernsehen in meiner Jugend noch begrenzt war vom Testbild und von der Bundeshymne mit wehender Fahne. Wäre ich nicht in der Welt der Bücher aufgewachsen, würde ich nicht Energie aufbringen für die Abwehr unnötiger Informationen, würde ich mich täglich dem "Terror der Aktualität" - dieses schöne Wort von Jean Améry ist es wert, nicht vergessen zu werden - aussetzen, wären viele Essays, Zwischenrufe und vor allem Buchkritiken nicht entstanden. Durch ihre Allgegenwart werden die Medien zu Besatzungsmächten des Alltags und bedrohen durch die Dauerproduktion meist irrelevanter News individuelles Denken, eigene Sprache und eine eigene Sicht auf die Welt …

Darum bin ich froh, bei der Furche gelandet zu sein, Österreichs einziger überregionaler Qualitätswochenzeitung; sie hat vor fünf Jahren ein neues Gesicht bekommen. Fünf schöne Jahre sind es auch, dass ich der Redaktion angehöre, und ich erinnere mich noch gerne an meinen ersten Feuilleton-Aufmacher mit dem Titel "Der Eros des Ostens" - eine Gegenformel zu einem Buch von André Glucksmann, Der Eros des Westens. Im Interesse für jene Gegenden und Länder Europas, die wir mit einer ungenauen Metapher gelegentlich noch als "Osten" bezeichnen, wobei wir vergessen, dass auch wir nicht mehr der Westen sind - in diesem Interesse treffen sich die lange Geschichte der Furche, die den Eisernen Vorhang in ihrer Wahrnehmung sehr früh überschritten hat, und meine Biografie.

Dieses Interesse für den so genannten Osten und für den Süden … ist auch notwendig in einem Land, das Immigranten aus diesen Himmelsrichtungen lieber abschiebt als ihnen wenigstens ein Bleiberecht zu gewähren, wenn sie mit ihren Familien in Österreich integriert sind. Während der ehemalige Innenminister Karl Schlögl für eine harte Ausländerpolitik stand, hat sein damaliger Schwager eine FKK-Sauna mit Mädchen aus Rumänien und Bulgarien erfolgreich saniert … Und der derzeitige Innenminister, der alle Härten gegen Immigranten gerechtfertigt findet und Asylwerbern die Schuld gibt an den langen Verfahren, gehört einer Partei an, die sich so gut auf Wallfahrten versteht, wo einem Gott gehuldigt wird, vor dem alle Menschen gleich sind und der einmal ein Garant war für Asyl- und Bleiberecht.

Warum ich als Kulturjournalist, als Mann des Feuilletons bei dieser schönen Feier von derart unappetitlichen Widersprüchen spreche? Damit der Satz nicht gilt: "Moral ist Moral, Geschäft ist Geschäft, Krieg ist Krieg und Kunst ist Kunst." Ein Satz von Hermann Broch, den Ingeborg Bachmann in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen zitiert hat, um zu entlarven, wie Kunst und Kultur zur harmlosen ästhetischen Befriedigung und zum Freizeitvergnügen verkommen. Ich spreche davon, weil ich froh bin, nicht für ein Medium arbeiten zu müssen, wo auf den Kulturseiten die humanen Werte und im Wirtschaftsteil die Sachzwänge vertreten werden. Wer das nicht will, hat es nicht immer einfach: als Journalist nicht und als Medium erst recht nicht. Jede Anerkennung und Auszeichnung auf diesem Weg tut gut.

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