6580691-1951_16_03.jpg
Digital In Arbeit

Das vollstndig Neue

Werbung
Werbung
Werbung

Der organisatorische Aufbau dieses internationalen Pools ist allerdings ziemlich kompliziert. Nicht weniger als fünf verschiedene Organe sollen sich in die Verwaltung der Kohlen-und Stahlgemeinschaft teilen, wobei es sich weder um ein internationales Kohlen-und Stahlkartell, noch um einen in Gründung begriffenen Konzern handelt. In der Tat ist etwas vollständig Neues geplant, dessen Realisierung nur durch eine Beschränkung der nationalen Souveränitätsrechte auf dem Gebiete der Kohlen- und Stahlwirtschaft zugunsten der genannten gemeinsamen hohen Behörde ermöglicht werden kann; andererseits ist die Schaffung eines gesamteuropäischen Marktes für die in Frage stehenden Erzeugnisse in Aussicht genommen; weitere Abtretungen dieser Art auch auf anderen Gebieten sollen schließlich das Heranwachsen eines europäischen Bundesstaates vorbereiten.

Der Hohen Behörde („Haute Autorite“), die sich aus einer beschränkten Anzahl von unabhängigen, von den beteiligten Regierungen gemeinsam zu ernennenden Persönlichkeiten zusammensetzt, steht ein beratender Ausschuß (Konsultativkomitee) zur Seite, dem Vertreter der Produktion, der Arbeiter und der Verbraucher angehören. Die Hohe Behörde soll für ihre Geschäftsführung einer Gemeinsamen Versammlung verantwortlich sein, deren Mitglieder von den Parlamenten der beteiligten Länder ernannt werden. Die Vei*-bindung zwischen der Hohen Behörde und den beteiligten Regierungen übt ein Ministerkomitee (Rat der Minister) zur Vertretung der eigenstaatlidien Interessen aus. Schließlich wird ein besonderer Gerichtshof gebildet, der über die Auslegung der Vertragstexte und in bestimmten Fällen auch über die sachliche Berechtigung der von der Hohen Behörde getroffenen Anordnungen entscheiden soll. Zur Anrufung dieses Gerichtshofes sind sämtliche beteiligte Vertreter, Regierungen, Unternehmungen usw. befugt.

Will man die wirtschaftliche Macht ermessen, die in die Hand der Hohen Behörde übergehen soll, dann wird dies am besten auf der Grundlage gewisser ziffernmäßiger Größen illustriert. So beträgt die Steinkohlenförderung der sechs vertragschließenden Staaten im Jahre 1950 insgesamt 217 Millionen Tonnen (davon Deutschland 110,3 Millionen Tonnen und Frankreich, einschließlich Saargebiet, 65,8 Millionen Tonnen). Dieser Produktionsgröße gegenüber weisen zum Beispiel Großbritannien 219,6 und die USA 459,2 Millionen Tonnen auf. Die Rohstahlerzeugung des gedachten Pools betrug im gleichen Jahr insgesamt 31,6 Millionen Tonnen (Großbritannien: 16,6 Millionen Tonnen); hievon belief sich der deutsche Anteil auf 12,1 Millionen Tonnen und der französische auf 10,4 Millionen Tonnen. Die Walzwerkanfertigung betrug 22 Millionen Tonnen (Großbritannien: 12,5 Millionen Tonnen und die USA 55,2 Millionen Tonnen).

Daraus erhellt, daß die integrale Produktionskapazität der neuzuschaffenden Wirtschaftsgemeinschaft ihrem Gewicht nach bedeutend größer ist als jene der verstaatlichten englischen Montanindustrie. Der Vertragsentwurf sieht weiter noch eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Bestimmungen vor, die sich mit der Verteilung der gemeinsamen Produktion, Versorgung der Verbraucher (Verbot diskriminatorischer Praktiken, wie zum Beispiel der doppelten Preise), der rationellen Verteilung der Produktion (Ausschaltung der Zollschranken, Ausmerzen von Kontingenten und Abkommen über die Aufteilung der Märkte), dem Verbot der Störung gesunder Konkurrenzverhältnisse (Verbot von Subventionen), mit der Modernisierung der Produktion und Verbesserung der Qualität, Verbesserung der sozialen Arbeitsbedingungen (Schutz des Lohnniveaus), mit Bestimmungen über Industriekonzentrationen und -karteile sowie mit der Schaffung eines Ausgleichsfonds für Investitionszwecke auseinandersetzen. Außerdem ist die Erhebung einer Abgabe auf die gesamte Kohlen- und Stahlproduktion in der Höhe von 1 Prozent des Wertes dieser Produktion vorgesehen. (Da der Gesamtumsatz dieser Gemeinschaft auf rund 4 Millionen Dollar veranschlagt wird, bedeutet 1 Prozent rund 40 Millionen Dollar; sie sollm zur Deckung des Verwaltungsaufwands der .Hohen Behörde herangezogen werden. Da eine solche umfassende Organ sation nicht schlagartig verwirklicht m erden kann, sieht die Übergangsordnung zunächst eine vorbereitende Periode von etwa sechs Monaten vor. die nach der Ratifikation des Vertrages zu laufen beginnt; daran schließt sich die eigentliche Übergangsperiode in der Dauer von fünf bis sieben Jahren an.

Die politische Reaktion auf dieses Vertragswerk hüben und drüben, die den „übernationalen Charakter“ des Paktes, die Schaffung eines etwa 150 Millionen Menschen umfassenden freien europäischen Marktes (Monnet, Staatssekretär Prof. Hallstein) und die Tatsache der Schaffung vertrauensvoller Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland (Dr. Adenauer) herausstellen, sind — von gewissen oppositionellen Stimmen abgesehen (Dr. Schumacher) — durchaus positiv und zukunftsweisend, wenn auch zweifellos von den beteiligten Ländern in unmittelbarer Gegenwart Leistung und Verzicht verlangt wird. Vor allem weist Dr. Adenauer darauf hin, daß die Entflechtungsmaßnahmen der deutschen Kohle- und Stahlindustrie ohne diesen Unionsplan viel härter zum Tragen gekommen wären, vor allem aber, daß auf dem Gebiet des Kohlenverkaufs die Besonderheiten der deutschen Interessen im Rahmen des Möglichen Berücksichtigung finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung