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Die Kirche und die Gottesurteile

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Eine rechtshistorische Studie. Von Charlotte L e I Wiener rechtsgeschichtliche Arbeiten, herausgegeb in Wien, Band II, Verlag Herold,

Die Verfasserin legte vorliegende Arbeit 1947 als Habilitationsschrift vor und behandelt hier grundsätzlich die Stellungnahme der Kirche zu den Gottesurteilen, die zweifelsohne zu den interessantesten Phänomenen der Kulturgeschichte gehören und eine vorkirchliche Einrichtung magischen Ursprungs waren. Wir finden die Ordalien auf der ganzen Erde verbreitet, heute gibt es noch einen Ordaltrunk auf Madagaskar. Das jüngst erschienene Werk: „Gottesurteile. Eine Phase im Rechtsleben der Völker“ (1949), von Professor DDr. H. N o 11 a r p, bringt eine Zusammenfassung und Würdigung des gesamten Materials der Gottesurteilforschung, von dem sich Ch. L e i t-m a i e f in wesentlichen Fragen trennt.

In klarer Systematik erarbeitet die Verfasserin den Ursprung, die hauptsächlichsten Arten der Ordale (Feuerprobe, Wasserprobe, Bissensprobe, Los, Bahrgericht, Kreuzesprobe, Abendmahlprobe, um nur einige zu nennen), um dann im 3. Kapitel die aktive Mitarbeit der Kirche an den Ordalien in der Liturgie aufzuzeigen. Die heiligste Handlung wird mit dem Ordal in Verbindung gesetzt, um Gott zu einer Offenbarung der Unschuld oder Schuld zu bewegen. Breite Schichten des Volkes, die diese Liturgie ausbildeten, auch große Teile des hohen Klerus, wie die Synodalbeschlüsse beweisen, waren von dem Aberglauben ergriffen. Wahrscheinlich wurden diese „Volksliturgien“ in Klöstern und Wallfahrtsorten, da diesen eine größere Kraft eignet, ausgebildet. Transalpine Synoden, größtenteils Diözesansynoden, also unechte Kirchenversammlungen, sind die Hauptquelle der kirchlichen Verordnungen, in denen die Gottesurteile ihre rechtliche Verankerung erhalten. Von besonderem Interesse ist die Stellung von namhaften Theologen und Kanonisten, so die Lehre Augustins, die die Lehre der Kirche bis zum heutigen Tage ist, daß man die natürlichen Mittel verwenden müsse, solange dies möglich

t m a i e r, Privatdozent an der Universität Wien, eh vom Institut für Europäische Rechtsgeschichte Wien. 139 Seiten. Preis 45 S.

sei; und darüber Gott eingreifen könne, aber nicht müsse.

Hinkmar von Reims ist der einzige, der eine religiöse Theorie der Gottesurteile, die ihm als fränkischer Bischof „ehrwürdig“ vorkamen, aufstellte. Die Päpste haben sie abgelehnt, so Nikolaus I. (858 bis 867). Im fränkischen Gebiet, das einst ein Bollwerk für die Gottesurteile 'war, wirkte auch ihr ausgesprochenster Gegner, der gefeierte Pariser Lehrer Petrus Cantor. Das Zusammenleben mit dem Germanen ließ die Frage der Gottesurteile akut werden. Dazu hatte das Gottesurteil, dieser Pfeiler germanischen Beweis-yerfahrens, religiösen Charakter. Dort, wo das Land kirchliche Personen stark in seinen Machtkreis zog, haben wir die eigentliche Hauptquelle des Ordalgebrauches zu suchen, bei den Eigenkirchen. Besonders dort, wo die Bischöfe königliche Beamte und Richter waren, wie im fränkischen Reiche, glaubte „die Kirche“ Gottesurteile anwenden zu müssen. Wichtig indes ist die Unterscheidung, daß neben der fränkischen später die deutsche, französische, spanische, lombardische, englische Kirche die Gottesurteile verwendete, niemals aber die Kirche als solche, das heißt die Päpste im Verein mit der Gesamtheit der Bischöfe. Es läßt sich nicht leugnen, daß augustinisches Denken abergläubischen Menschen Nahrung für ihre Auffassung bot; mit dem Erstarken des päpstlichen Einflusses auf die Synodaltätigkeit und mit dem Durchbruch aristotelisch-thomistischen Denkens im 13. Jahrhundert war in der Kulturgeschichte das Schicksal der Ordale besiegelt. Ueberzeugend hat die Verfasserin den Erweis erbracht, daß die Verwendung der Ordale durch die Kirche eine historische Erscheinung der Germanisierung der Kirche ist. Diese ausgezeichnete rechtshistorische Studie kann neben dem Fachmann besonders dem Theologen und Kulturhistoriker nur bestens empfohlen werden.

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