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Die letzte Handlung des Regenten

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Die eben erwähnte Kundmachunj war faktisch der letzte Regierungsakt den ein Mitglied des Hauses Habsburg-Lothringen mit Bezug.„ auf da: Gebiet der heutigen Republik setzte Hatte allerdings Kaiser Karl dami; auch von sich auf seine Herrscherrechte verzichtet? Universitätsprofessor Dr. Hans Kelsen, dei verfassungsrechtliche Geburtshelfei der Ersten Republik, schreibt dazu „Diese Erklärung (Kaiser Karls), di( sich nur auf Deutschösterreich, nicht aber auf den gleichfalls in Bildung begriffenen tschechoslowakischen unc südslawischen Staat bezog, ist offenbai absichtlich bloß als ein Verzicht aul Geschäftsführung formuliert. Nur indirekt kann sie auch als Verzicht aul die monarchische Stellung — und zwai nicht bloß für die Person des damaligen Monarchen, sondern als Zustimmung zur Änderung der Staatsform überhaupt — gedeutet werden... Doch ist dies rechtlich ohne Bedeutung. Denn auf Grund der alten österreichischen Verfassung wäre weder ein beschränkter noch ein unbedingter Thronverzicht möglich gewesen. Nach dieser Verfassung gibt es nur einen einzigen Endigungsgrund für das Recht oder die Organstellung des einzelnen Monarchen, und das ist der Tod ... Beurteilt man aber die Verzichtserklärung des Monarchen nicht nach der alten österreichischen, sondern nach der neuen deutsch-österreichischen Verfassung, dann ist eine Willenserklärung schon darum irrelevant, weil für sie ein Monarch als Organ des Staates überhaupt nicht existiert.“

Ewiges Problem der Rechtskontinuität

Damit ist juristisch jenes Problem umschrieben, das unzählige Bürger des damaligen Österreichs in für uns heute Lebende vielleicht gar nicht mehr ganz nachfühlbare Gewissensqualen stürzte: Wem soll ich gehorchen? Dem angestammten Kaiserhaus, auf dessen Repräsentanten ich vereidigt worden bin? Oder der zweifellos unter Bruch der Rechtskontinuität, das heißt, auf revolutionärem Wege entstandenen Republik? Ein ewiges Problem jedes Rechts ist damit angeschnitten. Es gewinnt noch an Tragik bei dem Gedanken, daß ein anderer Teil von Österreichern von einer gerade entgegengesetzten Meinung ausging. Erst durch den Wegfall der Monarchie im Jahre

1918 sei dem einzelnen Österreicher eine rechtsmäßige Organisation des

gegenüber dem Staat überhaupt erst ab diesem Zeitpunkt eingetreten.

Die junge Republik versuchte bekanntlich, das dargelegte Dilemma für den Bereich ihrer Rechtsordnung durch das sogenannte Habsburger-gesetz vom 3. April 1919 zu lösen. Alle Herrscherrechte des Hauses Habsburg-Lothringen wurden aufgehoben. Der ehemalige Träger der Krone und die sonstigen Mitglieder des Hauses

Staates geschenkt und Treuepflicht

worden, eine Folge-des Staatsbürgers

Habsburg-Lothringen wurden des Landes verwiesen. Ob ein Verzicht auf alle Herrscherrechte verbunden mit einer Loyalitätserklärung gegenüber der Republik als ausreichend zu erkennen sei, um die Landesverweisung außer Kraft treten zu lassen, sollte die Staatsregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß der Nationalversammlung festsetzen. In der Folgezeit wurden von mehreren Mitgliedern des Hauses Habsburg-Lothringen Erklärungen im Sinne des 2 des Gesetzes vom 3. April 1919 abgegeben und von der Regierung angenommen, bis im Jahre 193 5 diese Bestimmung überhaupt aufgehoben wurde, jedoch im Jahre 1945, das staatsrechtlich an die Verfassung von 1929 anknüpfte, wieder in Geltung gesetzt wurde. Im Staatsverrfag 1955 verpflichtete sich Österreich zur Aufrechterhaltung des Habsburgerrechtes.

Das war der Stand der geschichtlichen Entwicklung, als am 5. Juni 1961 eine Erklärung von Dr. Otto Habsburg-Lothringen im Sinne des 2 des Gesetzes vom 3. April 1919 am Ballhausplatz hinterlegt wurde. Im Ministerrat kam es über die Annahme dieser Erklärung zu keiner Einigung, weshalb der Rechtsfreund von Doktor Habsburg zuerst den Verfassungsgerichtshof, dann den Verwaltungsgerichtshof, beide aus verschiedenen Gründen, anrief. Tatsächlich kann nun der Verwaltungsgerichtshof nach Art. 130 Abs. 1 B.-VG. angerufen werden, wenn es eine Verwaltungsbehörde unterläßt, ihrer Pflicht zur Entscheidung einer Sache nachzukommen. Gelangt der Verwaltungsgerichtshof zu Überzeugung, daß eine Säumnis vorliegt, so hat er nach dem Gesetz in der Sache selbst zu entscheiden. Dr. Otto Habsburg-Lothringen behauptete Säumnis der Regierung bei der Entscheidung, ob die angegebene Loyalitätserklärung als ausreichend anzusehen sei, um die Landesverweisung außer Kraft treten zu lassen. Der Verwaltungsgerichtshof bejahte den Eintritt einer Säumnis der Bundesregierung bei Behandlung der Loyalitätserklärung. Damit ging die Pflicht zur Sachentscheidung auf ihn über.

Eine innerösterreichische Angelegenheit

Die vom Verwaltungsgerichtshof in der Sache von Dr. Otto Habsburg-Lothringen gefällte Entscheidung steht seit deren Bekanntgabe im Kreuzfeuer öffentlicher Beurteilung.

Hier sind einige Irrtümer laut geworden, die es aufzuklären gilt. Zunächst: Der Verwaltungsgerichtshof hat das Habsburgergesetz vom 3. April 1919 nicht aufgehoben. Im Gegenteil! Er hat es angewendet und damit als geltendes Recht anerkannt. Von einer Verletzung des Staatsvertrags durch das Verwaltungsgerichtshoferkenntnis zu sprechen, ist daher abwegig. Denn im Staatsvertrag verpflichtete sich Österreich nicht, die Landesverweisung bezüglich einer bestimmten Person, hier Dr. Otto Habsburg-Lothringen, aufrechtzuerhalten. Im Text des Staatsvertrages heißt es vielmehr bloß (Art. 10 Zi. 2): „Österreich verpflichtet sich ferner, das Gesetz vom 3. April 1919, betreffend das Haus Habsburg-Lothringen, aufrechzuerhal-

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Es mag sein, daß die Aufnahme der eben zitierten Bestimmung in den Staatsvertrag von der Vorstellung begleitet war, damit eine Rückkehr von Dr. Otto Habsburg-Lothringen nach Österreich hintanhalten zu können. Einen Niederschlag im Vertragstext kann diese Annahme jedoch nicht für sich ins Treffen bringen. Österreich muß daher bloß darauf bestehen, von jedem Mitglied des Hauses Habsburg-Lothringen vor einer Aufhebung der Landesverweisung eine ausreichende Loyalitätserklärung zu erhalten. Wer über eine derartige Erklärung zu befinden hat, richtet sich nicht nur nach dem Text des Habsburgergesetzes, sondern nach der gesamten staatlichen Ordnung Österreichs, die im Staats-vertrag von allen Signatarmächten ausdrücklich anerkannt wurde. Ergibt sich bei der Auslegung des Habsburgergesetzes eine Meinungsverschiedenheit zwischen verschiedenen Staatsorganen, wer zuständig ist, so ist das eine inner österreichische Angelegenheit, die unter der völkerrechtlichten Pflichtenebene liegt.

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