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Eine harte Lehre

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Früher als sonst hat in diesem Jahr in Politik und öffentlichem Leben die traditionelle Vorfrühlingsunruhe eingesetzt, die an den Iden des März in die klassische Krisis zu treten pflegt. Daß diesmal auch Kunst und Kulturpolitik in den Bannkreis der Erregung gerieten, wird niemanden wundern, der die tausend Fäden von hüben nach drüben, vom Forum zum Tempel, in unseren Tagen kennt. Besonders zwei Vorfälle — auf dem Gebiet des Films — haben in letzter Zeit zu Protesten herausgefordert. Dabei ist der zeitliche Zusammenfall dieser beiden Kundgebungen vielleicht weniger beachtenswert als die verschiedene Art, in der sie erfolgten, und der höchst unterschiedliche Erfolg, den die eine — und den die andere hatte.

Mit einem demonstrativ unpolitischen und an sich unanfechtbaren Film nach einer Liebesnovelle von Storm versuchte der deutsche Filmregisseur Veit Harlan die Erinnerungen an seinen „Jud Süß“ auszulöschen und wieder Anschluß an den Film zu gewinnen. Er wähnte sich durch seinen Freispruch vor zwei deutschen Gerichtsinstanzen irgendwie legitimiert zu einem stillen, unauffälligen Come back, das durch die Wahl der verhaltenen Filmfabel noch unterstrichen sein sollte. Aber die bitteren Erinnerungen an sein Verfehlen sollten sich als stärker erweisen als seine Geste der Abbitte und Wandlung. Es hagelte Proteste von allen Seiten, und an drei deutschen „Versuchsstationen“ geriet der Film in das Kreuzfeuer erregter Demonstrationen. Obwohl der Fall Harlan, zur letzten Heftigkeit erst durch eine interne Hamburger Kontroverse aufgepeitscht, nicht im selben Maße auch eine österreichische Angelegenheit ist, war zu erwarten, daß die Vorfälle im Reich eine Rückwirkung auch auf Wien haben würden, etwa in Form einer unruhigen Erstaufführung, eines stillschweigenden Besucherstreiks oder ähnlichem. Nun, die Premiere, eine Sonntagsvormittagsvorstellung vor geladenen Gästen, verlief ruhig, und zu einer Publikumsäußerung ist es vorerst gar nicht gekommen: durch einen Protest des KZ-Verbandes und durch drei Telegramme der Israelitischen Kultusgemeinde an den Innenminister, an den Bürgermeister von Wien und den Polizeipräsidenten wurde nämlich die Verleihfirma binnen wenigen Stunden zur Zurückziehung des Films aus der bereits terminierten Aufführung in zwei Wiener Lichtspieltheatern verhalten. Was geschehen wäre, wenn sich die Verleihgesellschaft weniger nachgiebig gezeigt hätte — ein Fall, von dem gleich weiter unten die Rede sein wird —, steht hier nicht zur Rede. Genug, die Organisation auf der genannten Seite, der vor einiger Zeit in verblüffend kurzem Verfahren auch die Absetzung des englischen Films „Oliver Twist“ gelungen ist, klappte tadellos: der Film verschwand rasch und gründlich in der Versenkung, ehe ihn außer den Vorzugsgästen des Proberittes auch nur ein Mensch in der Stadt gesehen hatte. So weit, so gut

Am 25. Jänner fand die öffentliche Erstaufführung im Wiener Forum statt. Das deutsche Vorspiel: die unnachgiebige Haltung des Regisseurs und die schweren Konflikte im Ausschuß der deutschen Selbstkontrolle, ist bekannt. Bekannt ist auch die kühle Aufnahme des Films bei der Wiener Erstaufführung. Die Bewertung des Films in der Presse war vielleicht im Tonfall unterschiedlich, einmütig aber waren die Einwände gegen bestimmte Szenen, die drückende Fabel und die künstlerischen Mängel. (Die erstaunliche Lobpreisung des Films in einer ersten Sendung von Radio Wien stellt einen Ausnahmefall dar und scheint weniger auf eine wohlerwogene Haltung als auf unzuständige Berichterstattung zurückzuführen zu sein,- ihr Eindruck ist übrigens durch eine spätere Sendung derselben Station, die der Kritik der Öffentlichkeit mehr Rechnung trug, ausgeglichen worden.)

Die allgemeinen Einwände steigerten sich in der christlichen Presse zu heftiger Ablehnung des Films wegen seiner selbstverständlichen Darstellung der erwerbsmäßigen Prostitution, der gotteslästerlichen und unzüchtigen Szenen sowie der empfehlenden Ausbreitung von Selbstmord und Tötung auf Verlangen. Die Frauenschaft der ÖVP machte ferner die Staatsanwaltschaft in einer Anzeige auf die Geltendmachung des neuen Schmutz-und-Schund-Gesetzes aufmerksam. In einer Entschließung des Bundesausschusses der katholischen Lehrerschaft wurden gleichfalls die Faktoren der Gesetzgebung zu wirksamen Maßnahmen gegen solche Entgleisungen auf dem Gebiet des Films und des Rundfunks aufgefordert und eine Revision der österreichischen Vertretung bei der Landeskommission der UNESCO angeregt. Die von den Bischöfen autorisierte Katholische Filmkommission setzte die Bewertung des Films auf die tiefste Klasse („Abzulehnen“) herab.

Angelockt durch die einfach nicht zu umgehenden Andeutungen über Stoff und Darstellung in der Presse, gefördert durch eine schmierige Wisperpropaganda bestimmter Sujetliebhaber (nicht, wie Herr Forst in einer höhnischen Presseäußerung darstellte: „verlogener Mucker und Spießer“), balgen sich seither die Stammgäste solcher saftiger Filme und die berüchtigten Hyänen dieser Schlachtfelder: die Agioteure (nicht, wie Herr Forst in der gleichen Darstellung vorgab: „das Publikum“) um die Eintrittskarten. Und nirgends mehr ein Wort von Kunst und Pflicht des Künstlers, Impressionismus und Realismus, Urteil und Kritik: das Geschäft hat das Wort. Der Rubel rollt — er rollt, brüderlich geteilt, in die sauber getrennten Kassen einer bürgerlich-kapitalistischen Interessenvertretung und eines sozialistischen Kinogroßunternehmens ...

Und wir? Was sagt die christliche Bevölkerung dazu? Was unternehmen ihre geistigen Führer, Volksvertreter und vielgerühmten Organisationen dagegen? Hageln die unmißverständlichen Proteste nieder wie der des KZ-Verbandes? Zittern die Drähte unter dem Ansturm von nachdrücklichen Protesten wie jener der Israelitischen Kultusgemeinde? Nein. Bis auf die oben genannten Ausnahmen: vornehmes Schweigen ringsum. Die „Unsterbliche Geliebte“ ist tot, es lebe die „Sünderin“!

Wir haben es schwerer. Zugegeben. Wir lehnen es ab, mit Steinen und Zaunlatten zu drohen, ja es ist unter uns nicht einmal jedermann gegeben, diesen Film auch nur aus Anschauungsgründen zu besuchen. Aber die christliche Öffentlichkeit ist durch die Presse und die erwähnten vereinzelten Stellungnahmen genügend über den Charakter dieses Films unterrichtet — warum benützt sie nicht wenigstens die erlaubten demokratischen Mittel, um eine solche Beleidigung abzuwehren? Warum läßt sie einige ganz wenige ihrer Verantwortlichen, die auch in diesem Fall ihre Pflicht getan haben, allein auf vorderstem Gefechtsposten im Stich? Muß in Österreich unbedingt ein politisch-skandalöses Air um einen Film sein, damit er lautlos in der Versenkung verschwindet? Können nicht auch einmal so schlichte, alle Redlichen angehenden Dinge wie Sauberkeit, Sitte und Scham auf dem Spiele stehen?

Frau Justitia ist, wie sie im Fall Harlan gezeigt hat, auf dem einen Ohr nicht taub. Wer sagt, daß sie auf dem anderen nicht hört? Schweigen aber hört sie auf keinen Fall.

Wir haben — summa summarum — in diesen Tagen eine harte Lehre bekommen. Man hat uns gezeigt: So wird's gemachtl Die Sprache war eindringlich, und wir haben verstanden. Spät genug, aber noch nicht zu spät.

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