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Die Sünderin : eine Sünde am Film

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Bestimmte Stadien von Zellenerkrankungen, wie Tumor, Karzinom und Teratom, haben die Eigentümlichkeit, daß der Zeitpunkt des tödlichen Ausgangs annähernd genau berechnet werden kann. Das eröffnet nicht nur für den Arzt und Psychologen, sondern auch für den sehr häufig davon unterrichteten Erkrankten und seine engere Umgebung Ausblicke auf ein tiefes, dem Gesunden kaum mehr faßbares Erlebnis. Ärzte und Pfleger erklären sich immer wieder stark beeindruckt von dem unbändigen Willen dieser Todgeweihten zum Leben und — gegen das Ende zu — von der alles laute Heldentum in den Schatten stellenden Ergebung in ihr Schicksal. Auch in der engeren Umgebung des Unterzeichneten gingen zwei — durchaus sensible — Menschen diesen Weg zum bitteren Ende, der eine in aller menschlichen Größe des Leidenden, Steibenden, die andere mit der selbstverständlichen Treue und Würde der Mitleidenden, Überlebenden. So sind Leben und Tod in der Wirklichkeit.

Die Winkelzüge eines modernen Filmbuches wollen es anders. Der Maler Alexander in dem neuen Hamburger Willi-Foret-Film „D i e Sünderin“ wird von der ersten Kunde über den Ernst seines Zustande umgeworfen und versinkt in einer weinerlichen, alkoholersäuften Apathie. Von einer Prostituierten buchstäblich im Rinnsal aufgelesen, ergreift er noch einmal, zaghaft und bar aller männlichen Würde, die Hand des Lebens, um sich dann bei den ersten Anzeichen des nahen Endes völlig zerbrochen von der Geliebten den Giftbecher reichen zu lassen, den sie mit ihm teilt. Hier ergibt sich der erste schwerwiegende Einwand gegen den Film: gegen die müde, drückende Fabel, die jämmerliche Haltung der Gestalten und den trostlosen Schluß, der durch die romantische Verbrämung der existentiellen Angstfasainajtion und die rückhaltlose Empfehlung der Tötung auf Verlangen doppelt gefahrbringend wirkt.

Der zweite Einwand gilt den blasphemischen Entgleisungen des Dialogs und der Kamera, dem wiederholten dummen Geschwätz über Göttliches und Heidnisches sowie den Szenen mit der Kirche Santa Maria della Salute und den zum Gebet verkrampften, bis zur Scheußlichkeit „gepflegten“ Händen der Dirne.

Der dritte Einwand betrifft die grobschlächtige penetrante Sinnlichkeit des Films, genauer die Darstellung der erwerbsmäßigen Prostitution als einer selbstverständlichen Resultante aus Milieu und Zeitnot (der ganze erste Teil des Films) und die undelikate, dramaturgisch durchaus unnotwendige Darbietung von nackten Körpern und Verführungsszenen. Wenn ein Wiener Kritiker eine solche Szene (eine überdeutliche Szene, wie sie der Film seit der unrühmlichen „Ekstase“ nicht mehr gewagt hat) damit in Schutz nehmen zu müssen glaubt, daß man die Darstellerin bloß „aus geziemender Entfernung und mit recht unscharfer Optik photographiert“ nackt sehe, so waren — mit Verlaub — seine Brillengläser reichlich beschlagen. Wenn ein zweiter Wiener Kritiker (eines sozialistischen Abendblattes) sich über diese Szenen nicht aufhalten will, weil das schon andere besorgen würden, so sei die Vermutung des losen Schäkers durchaus bestätigt. Es gibt tatsächlich tausende solche „andere“. Auch ein Parteigänger des Spötters, der jetzige österreichische Justizminister, stellte sich etwa vor Jahresfrist in die Reihe dieser anderen, indem er die Entschlossenheit des staatlichen Zugriffes in dem Motivenbericht zum Entwurf des Jugendschutzgesetzes mit den Worten begründete: „Es ist schweres Unrecht, die Ubermacht des Erhaltungs- und Fortpflanzungstriebes der Menschen zum Ausgangspunkt schnöden Gewerbes zu nehmen; das schäbige Streben,aus natürlichen Regungen der Menschen Geldgewinn zu ziehen, muß bekämpft werden. Dieser Kampf gegen körperliche und geistige Verelendung darf niemals als Prüderie abschätzig beurteilt oder gar lächerlich gemacht werden. Er ist Pflicht des Staates zur Verhütung physischer und' psychischer Schäden.“

Wer übrigens den technischen Vorgang bei solchen Dreharbeiten mit einer völlig unbekleideten Frau, etwa die Mindestanzahl d- c dabei notwendig anwesenden Personen, kenn;, den muß ein solches Spiel geradezu mit Ekel erfüllen. Mußte es nicht auch dem Regisseur, ja mußte es nicht gerade Willi Forst als völlig abwegig erscheinen?

Ein letzter Einwand gilt der künstlerischen Brüchigkeit des Films. Die oft gerühmte elegante Klinge Willi Forsts ist hier nur in wenigen Augenblicken spürbar und einem nervösen, stillosen, fehlerstrotzenden .Eklektizismus gewichen. Pseudoveristen, kleine Rosselinis hat die Welt in Mengen, Willi Forsts hat es bisher nicht eben viele gegeben. *

Die Freigabe des Films für die Uraufführung in Frankfurt hat zu einem tiefen Riß in der bisher vorbildlichen deutschen Filmselbstkontrolle geführt. Der prüfende Arbeitsausschuß der Filmselbstkontrolle hatte Änderungen in dem Film gefordert, die von Willi Forst brüsk abgelehnt wurden. In zweiter Instanz hat daraufhin der Hauptausschuß kurz von der Uraufführung, wie ausdrücklich betont wird: „nur unter dem Druck der Verhältnisse“ (der teure, auch mit Bundesmitteln dotierte Film war bereits für sechzig deutsche Lichtspieltheater programmiert) mit Jugendverbot freigegeben, der Filmwirtschaft jedoch gleichzeitig mitgeteilt, daß dieser Film „an der Grenze des Zulässigen“ liege. Diese Verlegenheitsklausel genügte begreiflicherweise den Vertretern der beiden christlichen Kirchen nicht: sie erklärten ihren Austritt, womit die Institution vor die Frage einer Neuordnung gestellt, wenn nicht in ihrer Existenz bedroht ist.

Die Wiener Erstaufführung fand im Forum statt. Offenbar zu Redaktionsschluß nur mehr flüchtig informiert, berichtet das sonst sehr gewissenhafte Zentralorgan der österreichischen Filmwirtschaft, daß der Film „teils mit spontanem Beifall, teils mit Ergriffenheit“ aufgenommen wurde. Demgegenüber sei festgestellt, daß der Vorführung des Films vorerst betroffenes Schweigen folgte. Gemessen höflicher Beifall, der den persönlich anwesenden Gästen galt, setzte erst nach einer gewissen Pause ein.

Der Premiere folgten die nicht ganz einheitliche, vorwiegend aber scharf kritische Stellungnahme der Wiener Tagespresse sowie erregte Diskussionen in der Fachwelt und beim Publikum. Es herrscht die Meinung vor, daß dieser Film, an dessen Regisseur und' künstlerischen Stab sich mit Recht große Erwartungen knüpften, eine grenzenlose Enttäuschung, ja ein Unglück schlechtweg sei. Wohl die weittragendste Folge dürfte sein, daß die manchenorts still gehegte Hoffnung, •in Willi Forst stehe für das große Vorhaben des Österreich-Films eine schlechtweg unentbehrliche künstlerische Potenz zur Verfügung, nach diesem peinlichen Vorfall wohl endgültig begraben werden muß.

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